Hirndruck. Die erste große OP steht uns bevor. Eine Woche vor Weihnachten. Wir waren in dem Jahr frisch und stolz Eltern geworden und die unvorhersehbare angeborene Krankheit unseres Räuberkindes hatte uns mit voller Wucht getroffen. Es gab zwischen den Krankenhaus und Ärzte Marathon Terminen eigentlich keine Zeit die Diagnose zu verarbeiten. Corona noch dazu. Besuchsverbote machen alles nicht leichter. Aber die Zeit war trotzdem auch von viel Hoffnung und Zuversicht geprägt. Wir schaffen das schon, alles wird gut! Die Räuberkind Liebe unendlich groß. Die Shunt OP verlief gut.
Unser Wunsch für Weihnachten?
Einfach nur am 23. rechtzeitig entlassen werden um Weihnachten Zuhause feiern zu können! Das erste Weihnachten zu dritt. Es hat geklappt!
Mein Sohn wurde eingeschult – vor 1,5 Jahren und dann kam alles anders als gedacht. Statt in die Schule zu gehen, kämpft er seither um sein Leben. Ein Krankenhausaufenthalt nach dem anderen, mehr als 18 schwere Operationen am Gehirn. Aber ein Schulkind, das ist er ja immer noch – trotz seiner schweren Erkrankung. Nur ist es für ihn leider aktuell nicht möglich in die Schule zu gehen. Ein kleiner Junge, der gerne lernen und Zeit mit seinen Klassenkameraden verbringen möchte. Soziale Isolation ist plötzlich ein Thema. Wie kann er teilhaben, ohne im Klassenzimmer zu sitzen? Wie kann er an Klassenausflügen teilnehmen und mit seinen Mitschülern Zeit verbringen? Alltag eines Schulkindes, der ihm bisher nicht möglich war. Denn er führt ein leben zwischen OP-Sälen und Krankenhausbetten.
Die Lösung
Mit einem Avatar kann er endlich auch mittendrin sein! Der Vorschlag kam von seinen Klassenlehrer*innen. Ich hatte davon schon einmal gehört und war sofort begeistert. Mein Sohn hat nun also einen sogenannten AV1 Telepräsenzroboter für mehr soziale Teilhabe bekommen. Die Erfinder schreiben zu AV1 ” Schulabwesenheit ist die größte Herausforderung im Bildungswesen. Der AV1 Avatar ermöglicht abwesenden Schulkindern das gemeinsame Lernen und die soziale Integration und unterstützt die Wiedereingliederung in den Schulalltag.” Und so ist es auch. Am Montag startet mein Sohn nun offiziell von zuhause aus mit dem Unterricht. Wir sind beide schon sehr aufgeregt. Und freuen uns über diese Möglichkeit über Teilhabe am Präsenzunterricht. Mein Sohn hat seinen AV1 auch schon einen eigenen Namen gegeben, die Leher*innen haben ihn mit einem Foto personalisiert und er sitzt nun anstelle meines Sohnes an seinem Platz im Klassenzimmer. Schule für alle wird mit dem AV1 möglich. Es ist meiner Meinung nach ein wirklich guter Weg auch Kindern mit sehr schweren Erkrankungen, Immundefekten und/oder Angststörungen den Schulbesuch möglichst barrierefrei zu ermöglichen.
Mein Sohn besucht eine Förderschule mit dem Schwerpunkt körperliche Behinderung. Er ist nicht das einzige Kind, dass dort mit einem AV1 am Unterricht teilnimmt. Für uns ist es natürlich ein Abenteuer. Für andere Schulen und Familien, die noch keine Erfahrungen damit haben, wahrscheinlich ebenso. Deshalb gibt es natürlich Fragen, die geklärt werden müssen. Zum Beispiel die Frage der Finanzierung.
Wie wird der Telepräsenzroboter finanziert?
“Grundlegend ist die Finanzierung bzw. Anschaffung der AV1 Technologie folgendermaßen möglich: über den Schulträger, über ein Medienzentrum, über die Schule selbst, über einen Förderverein, über eine Stiftung,” schreibt noisolation auf seiner Webseite. Bei uns wurde die Finanzierung von der Schule übernommen. Der Roboter kann gemietet oder gekauft werden. Auch kann er erstmals getestet werden, bevor er dann tatsächlich im Klassenzimmer zum Einsatz kommt. Wie es mit der Regelung in den einzelnen Bundesländern aussieht, bespricht man bestenfalls mit der Schule. In Bayern ist die Technologie über die Schule für Kranke relativ präsent. Das kann man hier nachlesen.
Wie funktioniert der Schul-Avatar?
Bei der Avatar-Technologie kommuniziert der vom Schüler gesteuerter Roboter über eine Kamera und ein Mikrofon mit der Klasse. Durch die Präsenz des Avatars im Klassenzimmer können Schülerinnen und Schüler aus der Distanz sozial interagieren und am Unterricht teilnehmen – ganz so, als wären sie vor Ort. Über die App auf einem digitalen Endgerät kann der/die Schüler*in sogar Emotionen ausdrücken, die Hand heben, oder den Pause-Modus aktivieren. Der Avatar leuchtet dann in verschiedenen Farben und seine Augen zeigen die gewünschte Emotion den Mitschüler*innen an. Durch leicht erkennbare LEDs auf seinem Kopf können Lehrer und Mitschüler dann erkennen, ob das Kind online ist, eine Frage beantworten oder stellen möchte oder gerade nur zuschauen will.
Bei uns in der Klasse sind alle schon total begeistert von ihrem kleinen Freund, der nun als Stellvertreter für meinen Sohn in der Eichhörnchenklasse sitzt. Es gibt einen guten Grund, warum der Avatar so konzipiert ist, denn: “Die AV1 Avatare sind für Schülerinnen und Schüler mit Langzeiterkrankungen, anderen medizinischen Bedürfnissen oder Ängsten konzipiert. In den meisten Fällen möchten diese Kinder und Jugendliche nicht unter Druck gesetzt werden, gesehen zu werden.” Auf diese Weise kann die Teilhabe reizarm und ohne Druck von Außen gestaltet werden. Das abwesende Kind kann mit seinem Avatar im Krankenhaus oder von zuhause die Lehrer und Mitschüler sehen, hören und mit ihnen sprechen. Es kann aktiv am Unterricht oder an Gruppenarbeiten teilnehmen und sogar die Pausen mit seinen Freunden verbringen.
Hürden
Damit ein abwesender Schüler einen Avatar nutzen kann, müssen natürlich Datenschutzrichtlinien eingehalten werden. Wichtig ist deshalb, dass die Eltern aller Schüler im Klassenzimmer ihr Einverständnis für die Nutzung eines Avatars geben. Die Aufklärung der Mitschüler und ihrer Eltern ist deshalb enorm wichtig. Es ist durchaus schon passiert, dass ein Kind keinen Avatar nutzen konnte, weil die Eltern der Mitschüler der Nutzung aus Datenschutzgründen nicht zugestimmt haben. Das ist natürlich eine Katastrophe für die betroffenen Familien, denen deshalb die Teilhabe am Unterricht und am Sozialleben der Schüler verwehrt bleibt. Die AV1 Telepäsenzroboter wurden für den Einsatz im Klassenzimmer entwickelt und verfügen über zahlreiche Funktionen und Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre und der Sicherheit. Die Videoverbindung ist gesichert und Verschlüsselt. Es besteht daher keine Gefahr für den Datenschutz im Klassenzimmer. Ganz im Gegenteil – ein Avatar bietet eine deutlich sicherere Möglichkeit als herkömmliche Video-Chats, die wir sonst täglich zur Onlinekommunikation nutzen.
Hier findet ihr ein paar Best-Practice-Beispiele für die Nutzung eines Avatars
Wir beschließen die Woche (oder beginnen sie, je nach Perspektive) mit einem ganz besonderen Text von Sarah, die uns diesen Artikel über die Themen Tod eines Kindes, Trauer und Geld geschenkt hat. Sie erzählt uns davon, wie es für sie war, nach dem Tod ihrer Tochter Romy wieder die Erwerbsarbeit aufzunehmen, diese wieder zu kündigen und wie Trauer, Stress und Geld zusammen hängen können. Sarah findet ihr unter dem Account @phyxchen auf Instagram.
Bitte beachtet, dass dieser Artikel die Themen Tod eines Kindes, Trauer, Stress, Erschöpfung und psychische Krankheiten, sowie Armut beinhaltet. Wendet euch bei Bedarf an eine Trauerberatung oder -begleitung in eurer Nähe.
Valo Christiansen ist [gender]queere*r [spoken] word artist, [sensitivity] reader*in, Übersetzer*in und Referent*in aus Bochum. Dey schreibt mehrsprachig über Feminismus, Queerness, Identität und Neurodivergenz, sowie den Überschneidungen dazwischen und darüber hinaus. 2024 erschien mit der Anthologie Sonderzeichen, herausgegeben von Valo Christiansen und Sam Sackbrook, die erste deutschsprachige Spoken-Word-Textsammlung mit Beiträgen von ausschließlich trans, inter, agender und nichtbinären Personen.
Stell dir vor, du hast endlich einen heiß begehrten Kita-Platz für dein Kind bekommen, und dann darf es doch nicht hingehen. So ergeht es aktuell vielen Eltern in NRW, deren Kinder eine schwere Behinderung haben und daher auf eine Inklusionskraft, sogenannte Kita-Assistenz, angewiesen sind. Ohne diese 1:1-Betreuung ist es für die Kinder unmöglich, am Kita-Alltag teilzunehmen und Teil der Gemeinschaft zu sein.
Meine vierjährige Tochter Fritzi ist aufgrund eines seltenen Gendefekts schwer mehrfachbehindert. Sie ist das einzige schwer behinderte Kind in ihrer Kita. Sie kann nicht sprechen, nicht laufen, nicht alleine sitzen, nicht alleine essen oder trinken. Ohne ihre geliebte Inklusionskraft Janna könnte sie nicht dorthin gehen. Janna tanzt mit ihr, malt und bastelt mit ihr, stützt sie, wenn sie laufen will, und übersetzt ihre Körpersprache für die anderen Kinder. Sie ist Fritzis Schlüssel zur Kita-Welt. In den letzten zwei Jahren wurde uns die Assistenz ohne Probleme in der notwendigen Stundenanzahl bewilligt. Doch 2024 mussten wir uns sorgen.
Ich höre nur, wie sie den Stock fallen lässt. Ich drehe mich zu ihr, ihr Kopf hängt zur Seite. Lucy* spielt weiter auf dem Sofa. Scheiße, Kind3 krampft. Ihre Atmung ist flach, ihre Augen bewegen sich unwillkürlich. „Rapha, komm schnell!“, rufe ich meinen Mann. „Schnell!“ Scheiße, sie krampft. Die Zeit steht plötzlich still, während im Hintergrund „Die Laser-Falle“ läuft. Vor wenigen Minuten haben Kind3 und Lucy im Chor das Intro-Lied von den „Drei??? Kids“ gesungen. Und jetzt das. Auch wenn ich weiß, dass es nichts bringt, sie zu rufen, kann ich einfach nicht untätig bleiben. „Lucy, Kind3 ist gerade ziemlich schlapp geworden, deswegen schauen wir, dass es ihr bald besser geht, okay?“
Wenn ich mich in solchen Situationen von außen beobachten würde, wie ich innerlich ruhig mein eigenes Kind bei einem epileptischen Krampf begleite und gleichzeitig altersgerecht ihrer Freundin die Situation erkläre, erscheint mir das ziemlich surreal. Kind2 und Kind1 kommen dazu. Ihre Augen sehen auch anders aus. Scheiße. Mein Mann geht zu ihnen und erklärt die Situation. Sie wirken okay. „Kind2, magst du vielleicht mit Lucy die Geschichte in deinem Zimmer weiter hören?“
Drei Minuten vergehen, die sich wie Stunden anfühlen. Das Notfallmedikament wird zum ersten Mal benötigt. Die Hälfte in die eine Backe, die andere Hälfte in die andere. Keine Wirkung. Meinem Verständnis nach sollte der Krampf ziemlich schnell aufhören. Er hört aber nicht auf. Ich habe Angst. „Drehe sie noch mehr zur Seite.“ 112. Stadtteil, Adresse, Alter. Der Arzt kommt. Abwarten. Sie krampft heftiger. Ich habe noch mehr Angst. 112. „Ist der Arzt wirklich unterwegs?“ „Ja, Sie haben vor einer Minute angerufen, er braucht auch ein paar Minuten, bis er bei Ihnen ist.“ Ja, das weiß ich. Fuck! Und dann plötzlich ist das Gewitter vorbei. Sie reagiert auf unsere Stimmen. Ruhe kehrt ein. „Du hast gerade gekrampft, meu amor.“ „Ja“, sagt sie und schläft ein. Puff. Wir legen sie auf das Sofa. Und umarmen uns.
„Wenn große Gruppen von Menschen in unserer Gesellschaft von anderen ausgegrenzt werden, schwächt dies das Gefüge unserer Gesellschaft. Wenn wir zulassen, dass wir langsam zu einem Land werden, in dem wir uns einfach nicht mehr in andere hineinversetzen können, werden wir die Komplexität von Diskriminierung und die damit verbundenen Gefühle nicht mehr verstehen. (…) Wir müssen aus der Passivität – aus dem Gefühl, eine einsame individuelle Stimme zu sein – zu einer aktiven kollektiven Stimme werden“.
Das sind die letzten Worte von Judith Heumann in ihrem sehr empfehlenswerten Buch „Being Heumann. The unrepentant Memoir of a Disability Rights Activist“. Ich habe viel von ihr gelernt, schon damals im Film Crip Camp – auch sehr zu empfehlen!
Zu Beginn des Buches erzählt Heumann, wie ihre Mutter eine Pilgerreise unternahm, um ihr als behindertes Kind den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Dieser Weg und diese Odyssee kamen mir sehr bekannt vor, obwohl es in diesem Teil des Buches um ihre Kindheit in den 50er Jahren in den USA handelt. Und heute, 70 Jahre später, kämpfen wir pflegenden Mütter weiter. Wie viele Generationen von Familien mit behinderten und chronisch kranken Kindern werden noch so leben müssen?
Wie wäre es aber, wenn wir in einer Welt leben könnten, in der Familien die notwendigen Strukturen hätten, um sich um ihre Kinder und die Pflege ihrer Angehörigen zu kümmern – mit ausreichenden Ressourcen? Wie wäre es, wenn Pflege nicht automatisch mit Armutsrisiko, psychischer Erschöpfung und sozialer Ausgrenzung verbunden wäre? Das wäre wirklich gut! Brenda könnte Urlaub auf Mallorca machen, Simone könnte mit einem tollen Teamihr Drachenkind pflegen und gleichzeitig erwerbstätig sein. Das wäre doch gut – und so sollte es sein! Mit der Petition für die Weiterzahlung des Pflegegeldes nach 28 Tagen kämpfen wir genau für dieses Ideal: für mehr Gerechtigkeit für Familien mit pflegebedürftigen Kindern.
Ich kaue die letzten Reste des bioorganischen Nussriegels, den ich mir noch während des Beine-aus-dem-Bett-schwingens in den Mund gesteckt hab. 5:50 Uhr ist nicht meine bevorzugte Zeit, um etwas zu essen, das so viel Kauarbeit verlangt. Aber damit das, was ich als Nächstes zu mir nehmen muss oder möchte oder sollte, gut wirkt und sinnvoll wirkt, darf mein Magen nicht leer sein. “Ein paar Bissen reichen, damit die Wirkung nicht total hoch geht und dann verpufft” sagte meine Therapeutin bei dem Trainings-Wochendende. An manchen Tagen funktioniert es gut. n anderen pusht es, noch während ich aus dem Dachgeschoss herunter steige.
Ich kippe die vier Tabletten aus dem vorbereiteten Tabletten-Sortierer in meine Hand.
Ich bin die Mutti, Mutter oder Mama von. Denn ich bin eine Krankenhaus-Mutti. Es ist, als würde ich als Person langsam verschwinden. Niemand beachtet mich, ich werde nicht wahrgenommen. Außer, meine Kenntnisse als „Mama von“ werden benötigt. Dann habe ich die gesamte Aufmerksamkeit von Ärzten und Fachpersonen. Im Krankenhaus nennt mich niemand beim Namen. Alle sagen nur: „Mutti können Sie mal schauen.“ Es ist, als würde ich mich langsam auflösen. Kinderkliniken sind keine Orte für Eltern. Wir wurden nie mitgedacht, wr sind notwendiges Beiwerk. Medizinisch notwendige Begleitpersonen, ohne Bedürfnisse, Gefühle, oder Privatsphäre. Wenn ich telefoniere, dann muss ich auflegen, sobald jemand das Zimmer betritt. Ich kann nicht duschen und die Türe offen lassen, um zu hören, ob es meinem kranken Kind gut geht, weil jederzeit jemand die Türe öffnen könnte, dich ich niemals absperren kann. Ich kann nicht essen, wann ich will, weil das Tablett abgeholt wird und man mir dann vorwirft, dass ich mich nicht an die Regeln halte. Ich kann nicht mit meinem Kind das Zimmer verlassen, wie ich möchte, denn wir müssen uns an die Vorgaben halten. Wie soll ich „eine gute Mutter von“ sein, wenn meine Werte und meine Gedanken nichts wert sind? Wie soll ich mich selbst spüren und meinem Kind ein gutes Vorbild sein, wenn das System verlangt, dass ich alles, was mich ausmacht, neutralisiere? Dem System zuliebe.