Über Annas und Elsas. Über Katheterisieren und Politik

by Bárbara Zimmermann

„Es tut uns leid, aber Ihr Kind ist uns zu billig“, hörte Manuela die Absage vom Pflegedienst.

Sie lebt mit ihrer Familie in der Stadt, war damals mit ihrem zweiten Kind hochschwanger und sehr erleichtert, als sie nach mehreren Monaten endlich einen Pflegedienst gefunden hat, der – so dachte sie – auch Kinder betreut.

Ihr erstes Kind hat Spina bifida, wie auch meins. Laura wird mehrmals am Tag katheterisiert (d.h. die Einführung eines Einwegkatheters in die Harnröhre für die Entleerung der Blase), was während der Kindergartenzeit von einer Pflegekraft eines Pflegedienstes übernommen wird. Nein, nicht von dem Pflegedienst der ihr diese unverschämte Antwort lieferte – es ist mir klar, dass wenn ein Pflegedienst so eine Aussage gibt, dass sie auch Ausdruck der Pflegekrise ist, die stark in Deutschland herrscht. Manuela und ihr Mann mussten weitersuchen, bis sie endlich Glück hatten. Ja, in einem Bereich wie Pflege und Inklusion, in dem eine angemessene Unterstützung eigentlich selbstverständlich sein sollte, sind wir in Deutschland darauf angewiesen, Glück zu haben. Pech kommt aber leider auch oft vor. Es sind viele Verhandlungen und guter Wille nötig. 

Weiterlesen

Happy Welt-Down-Syndrom-Tag!

by Anna

Mit dem heutigen Tag möchten wir und alle, die ihn feiern, auf Menschen mit Down-Syndrom aufmerksam machen. Der WDST 2023 steht unter dem Motto “Nicht ohn uns”. Wir möchten sie sichtbar machen, mit allen Rahmenbedingungen, die sie mitbringen, und allem, was sie sind und können und lieben, nicht trotz sondern mit Down-Syndrom. Wir wollen aufklären und Stereotype ersetzen, wir wollen zu Inklusion und Revolution anstiften.

Ihr findet heute unter den Hashtags #WDST oder #Worlddownssyndromday ganz viele Geschichten und Bilder von Menschen, die entgegen der üblichen Bezeichnung nicht an Down-Syndrom „leiden“, sondern ein gutes Leben führen und dies auch aktiv einfordern. Unter dem Motto „Rock your socks“ soll mit dem Tragen verschiedener Socken darauf hingewiesen werden, dass das Leben bunt ist. Genaueres lest ihr hier bei Jolinas Welt.

Auf dem Blog hat Martina auch eine Vorlage für den heutigen Tag erstellt, ihr findet sie hier. Vielen Dank dafür, Martina, und für deine unermüdliche Aufklärungsarbeit.

Weiterlesen

Über (schulische) Integration in der Schweiz

by Simone

Heute begrüßen wir Nadine (Instagram: @inklu_do) mit einer weiteren Perspektive zum Thema inklusive Beschulung. Nadine berichtet von ihren Erfahrungen in der Schweiz. Ihre Tochter wird nun seit mittlerweile einem Jahr zuhause im Homeschooling beschult – Larina hat das Downsyndrom und ist 11 Jahre alt. Nadine berichtet sehr berührend über die Probleme mit der Inklusion, die ihre Familie ab dem Kindergarten dann begleiteten und warum sie sich letztlich für eine Beschulung zuhause entschieden haben.


Unsere Larina ist nun 11 Jahre alt, sie hat das Down Syndrom. Seit etwas mehr als einem Jahr unterrichten wir sie im Homeschooling. In einigen Kantonen der Schweiz ist das erlaubt, so auch bei uns in Bern. Wir haben ohne Probleme die Bewilligung bekommen. Aber so ganz freiwillig machen wir das nicht. Mir fehlen für Larina die Kindergruppe, der Turnunterricht, das gemeinsame Gestalten, die Lieder und Spiele, die Schulreise und einfach der tägliche soziale Kontakt. Den hatte sie mal! Sie durfte so selbstverständlich mit drei jährig in die Spielgruppe, wie vorher auch ihre beiden Geschwister. Die Kinder konnten mit ihr Inklusion lernen, sie hören, sie sehen, sie kennenlernen und sie ganz normal finden. Auch in der Kita hatten wir grosses Glück, Larina war voll dabei, ohne besondere zusätzliche Begleitung. Kein Wunder, dass auch der Kindergarteneinstieg hier im Dorf geglückt ist! Es war unglaublich berührend mitzuerleben, wie sich Larina jeden Morgen fröhlich vor dem Kindergarten in die Kinderschar einreihte! 6 Lektionen für eine Heilpädagogin wurden zu dieser Zeit als Maximum an Begleitung im Kanton Bern gesprochen. Trotzdem durfte Larina ihr Pensum bald aufstocken und fast so viel in den Kindergarten gehen, wie die anderen Kinder. Die grossen Mädchen nahmen sie so gerne mit ins Spiel und kümmerten sich rührend. Larina bekam auch Freundebücher mit nach Hause und wurde zu Geburtstagen eingeladen.

Weiterlesen

Sandwichpflege – ein Gastartikel von Constanze

by Anna

Heute begrüßen wir Constanze Fortnagel (Instagram: @tim_tanzt_trotzdem) mit einem Thema, das für viele von uns vielleicht noch weit weg ist, aber schneller näher kommen kann, als wir glauben. Ich selber kenne Sandwichpflege aus meiner Familie, in der es einige Pflegegrade gab und gibt. Vielen Dank, Constanze, für eine weitere gefühvoll erzählte Geschichte aus der Community, der wir dringend zuhören sollten.

“Sandwichpflege”: Fürsorge zwischen dem eigenen, behinderten Kind und der chronisch kranken Mutter – eine emotionale Unvereinbarkeit

Am 15. November 2019 rief mich mein Vater an. Meiner Mutter ging es sehr schlecht und ich solle besser heim kommen. An diesem Tag wurde ich von einer pflegenden Mutter zur pflegenden Angehörigen in doppelter Ausführung. Aber ich beginne von vorn:

Mein Name ist Constanze, 37 Jahre alt, seit 9 Jahren verheiratet und Mutter eines 7-jährigen Sohnes. Mein Sohn Tim hat die Diagnose Autismusspektrumstörung. Schon früh merkte ich, da ist irgendetwas anders mit meinem Kind und trotzdem wollte ich es zuerst gar nicht so wahr haben. Vielleicht erkannte ich auch einfach von Berufs wegen nicht, was genau vor mir lag, denn als Sprachtherapeutin habe ich schon viele Jahre mit autistischen Kindern gearbeitet und kannte mich dementsprechend aus. Aber wie es oft so ist, ist die Betroffenheit beim eigenen Kind etwas völlig anderes. Ich habe getrauert, als die Verdachtsdiagnose zum ersten Mal ausgesprochen wurde. Ich habe getrauert und war gleichzeitig erleichtert, als die Diagnostik dann im Januar 2022 vollständig abgeschlossen war.

Weiterlesen

Powerfrau, Supermom, Workingmom, pflegende Mutter – Gedanken zum Frauentag

by Simone

Ich bin eine Frau und ich bin eine pflegende Mutter. Meistens bin ich weniger Frau und mehr Mutter und ganz viel Pflege. Und es gibt Menschen, die finden, dass ich mich als Frau echt verändert habe in den letzen sieben Jahren, als ich Mutter wurde und dann auch noch pflegende Mutter. Ich wurde anstrengend. Vorher war ich angepasst und habe funktioniert. Ich hatte einen gesellschaftlich anerkannten Job, bin Akademikerin und einen intellektuellen Freundeskreis. Ich ging ins Theater, auf Reisen und diskutierte. Jetzt pflege ich. Frau bin ich immer noch. Aber ich stelle Ansprüche und Erwartungen, dass pflegende Mütter mehr Sichtbarkeit bekommen und mehr gesellschaftliche Anerkennung. Ich bin politisch geworden.

Jetzt finden Menschen mich unbequem. Sie nennen mich feministisch. Sie fragen, warum ich mich nicht einfach um mein Kind kümmere. Und, dass es doch normal ist, dass ich mein Kind pflege. Denn ich bin Mutter und Frau. Das sei doch meine Aufgabe. Warum regt es mich denn so auf, dass ich wegen der Pflege meines Kindes nicht mehr Vollzeit arbeiten gehen kann? Ich kann doch zufrieden sein. Ich habe einen Mann, der das Geld nach Hause bringt, der für uns da ist. Er sorgt für uns. Das ist doch gut. Und ich antworte trotzig: ich will aber arbeiten! Ich arbeite gerne und ich will mein eigenes Geld verdienen! Ich mag es, meinen Verstand zu beschäftigen. Ich gehe gerne arbeiten und ich will das selbst entscheiden dürfen. Und nicht fremdbestimmt werden, nur weil die Pflege meines Kindes so aufwendig ist, dass ich 4 Jahre nicht mehr arbeiten konnte, weil wir als Familie einfach überhaupt keine Unterstützung bekommen haben.

Weiterlesen

Die beste Entscheidung – eine Förderklasse für autistische Kinder

by Anna

„Mama, rate mal, was es zum Essen gab! Rate!“ „Ich weiß nicht, vielleicht Pizza?“ „Neeeiheiiin!“ Simon lacht, als hätte ich einen wirklich lustigen Witz gemacht. „ Es gab Schnitzel und Spaghetti mit Tomatensoße. Beides, zusammen.“ „Echt?“ „ Ja, echt!!“ Er zupft sich Mütze und Schal vom Kopf, hängt die Jacke auf und stellt die Stiefel ganz ordentlich neben den Haufen Schuhe, den seine Schwester erst vor ein paar Minuten konstruiert hat. Aus dem Bad höre ich, wie er sich die Hände wäscht und wie er ruft: „Und in der Abschlussrunde gab es…“ dramatische Pause.. „Milchreis!“ Er kommt grinsend ums Eck.

Simon kommt immer recht spät am Tag aus der Tagesgruppe. Oder wie es im Fachjargon heißt: ein sozialpädagogisches und sonderpädagogisches teilstationäres Förderangebot für den Nischenbedarf von autistischen Kindern und Jugendlichen, „die sich in den entsprechenden Regelschulen aufgrund ihrer autistischen und sonstigen Erlebens- und Verhaltensweisen nicht zurechtfinden, obwohl sie dort ansonsten in der Lage wären, dem Bildungsgang zu folgen.“ (Quelle) Gemeint ist damit die Kombination aus förderschulischer Beschulung am Vormittag und Tagesgruppe mit sozialpädagogischer Betreuung und Förderung am Nachmittag, beides auf demselben Gelände, beides in derselben kleinen Gruppe von maximal 6 Kindern, dazwischen gibt es Mittagessen, engmaschige Begleitung, viel Engagement, viel Verständnis.

(Gerd Altman über Pixababy)
Weiterlesen

Über Zugehörigkeiten, Zebras und eine Community am Rare Disease Day

by Simone

„Wenn Du Hufgetrappel hörst, dann denke alle an Pferde und nicht an Zebras.“ Eine Redewendung, die in der Medizin deutlich machen soll, dass häufige Krankheiten wahrscheinlicher sind als seltene, auch wenn die Symptome eines Patienten zu beidem passen würden. Für rund vier Millionen Menschen in Deutschland ist genau das ein Problem: Sie sind Zebras, denn sie haben eine seltene Erkrankung. So wurde das Zebra zum internationalen Symboltier für die seltenen Erkrankungen.” Quelle Willkommen in der Welt der Zebras am “Tag der seltenen Erkrankungen” 2023.

Weiterlesen

Inklusionsgespräche – Podcastfolge mit “Selbsthilfe im Trend”

by Simone

Bárbara und Simone haben im Podcast “Selbsthilfe im Trend” mit der Moderatorin Sabine über Inklusion und Selbsthilfe aus der Perspektive pflegender Eltern gesprochen. Wir haben darüber gesprochen, wie wir Selbsthilfe verstehen und wie wir persönlich als pflegend Mütter Selbsthilfe im (Pflege)Alltag leben. Und wir blicken auch auf die Bedeutung von inklusiven Strukturen für die Selbsthilfearbeit.

Pflegende Eltern sind oft “laut” auf sozialen Netzwerken. Schreiben über ihre Belange und knüpfen Netzwerke – oftmals ohne dafür eigentlich noch Ressourcen zu haben. Selbsthilfe liegt uns. Sie muss uns liegen, weil die inklusiven Strukturen fehlen. Wir helfen uns selbst. Manchmal sind wir stolz darauf, manchmal fühlt sich das wie eine zusätzliche Belastung an. Sollte uns nicht vielmehr von Außen geholfen werden?

Darüber und welche Erwartungen wir an die organisierte Selbsthilfe als Betroffene haben, konnten wir mit Sabine in diesem Podcast sprechen. Hört es euch einfach an – 35 Minuten mit Bárbara und mir zum Thema. Ihr könnt es auf allen gängigen Streamingdiensten finden oder ihr hört ihn direkt auf der Seite von “Selbsthilfe im Trend”.

Zur Podcastfolge

Wenn Chaos im Kopf ist – ein Kinderbuch über Epilepsie

by Anna

Leni und ihr großer Bruder Lorenz sitzen beim Frühstück, als die  Welle in Lorenz‘ Kopf zum ersten Mal kommt. Seine Hand zittert und seine Augen bewegen sich ganz schnell. Er hat einen epileptischen Anfall. Er muss schnell ins Krankenhaus, damit herausgefunden werden kann, was los ist.

Im Erklärtext am Schluss erfahren wir, dass Lorenz Rolandoepilepsie hat. Er hat fokale Anfälle, die in einem bestimmten Teil seines Gehirns stattfinden. Er selbst ist dabei bei Bewusstsein und kann danach auch einfach weiter machen, wie vorher. Zum Beispiel mit seiner Schwester Leni Pirat*innen spielen. Für Leni ist das mit den Anfällen schwer zu verstehen, aber Lorenz erklärt es ihr genau:

Weiterlesen

Die unerwünschte Gästin

by Bárbara Zimmermann

Sie kam wieder, diese unerwünschte Gästin! Und so nach ihrer Art, kommt sie immer ohne irgendein Anzeichen zu geben – und das hasse ich an ihr! Es gibt keine Vorbereitung, keine Absprache. Egal ob kurz vor dem Einschlafen im Bett, beim Geschichtehören am Nachmittag oder mit den Geschwistern im Zimmer, sie kommt, wann sie will. Zum Glück bleibt sie nicht lange, aber die wenigen Sekunden oder Minuten von ihrer Präsenz bringen einiges durcheinander im geplanten Alltag und vor allem das Gefühl, dass unser Leben ein bisschen normaler geworden ist – oder eben nicht? Fuck Epilepsie!

Weiterlesen