Liebe Susanne, liebe Anja,
danke für Euren inspirierenden Briefwechsel! (Susannes Text hier, Anjas Antwort hier)
Eure Briefe zeigen, warum ich Elternblogs mittlerweile mag: Ich schaue beim Lesen über den eigenen Tellerrand, denke immer wieder “ja, so kann man das auch machen”, manchmal auch “Herrje!” und kann mir oft hier und da ein Scheibchen abschneiden für das Leben mit meinen Kindern; auch wenn meine Kaiserin 1 mehrfach behindert ist. In vielerlei Hinsicht macht die Behinderung des eigenen Kindes einen Unterschied – bei den Elternthemen, die Ihr angesprochen habt, eher nicht.
Die Leitfrage Eures Briefwechsels lautet: Wie bin/werde ich eine gute Mutter?
Die amerikanische Autorin Jill Churchill hat dazu gesagt: There`s no way to be a perfect mother and a million ways to be a good one. Frei übersetzt: Es gibt keinen Weg, eine perfekte Mutter, aber Millionen Wege, eine gute Mutter zu sein. Ein Plädoyer gegen den Perfektionismus, das ich so unterschreiben möchte!
Wir alle bloggen, weil wir etwas zu sagen haben, weil wir Überzeugungen haben und Wertvorstellungen. Ich meine, das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen für Elternschaft. Dass wir uns Gedanken machen, uns reflektieren, auch gegenseitig. Das geschieht ja auch zum Teil in den Kommentaren zu unseren Blogartikeln und dieses Miteinander schätze ich sehr. Euer Austausch hat mich die vergangenen Tage so beschäftigt, dass ich Euch heute einfach schreiben muss.
Ich gestehe: Die Tage, die Du (Susanne) als manche Tage beschreibst, sind mein Alltag. Ich habe bisher kein einziges Kleidungsstück meiner Kinder gebügelt, nicht für einen Flicken und nicht gegen Falten. Zu uns kommt glücklicherweise ein Mal in der Woche unsere bezaubernde Haushaltshilfe, die das übernimmt – falls sie neben dem anderen zu beseitigenden Chaos Zeit dafür hat. Ich mag mir nicht ausmalen, wie es bei uns ohne unsere Perle aussähe.
Ich gestehe: Ich stille Kaiserin 2, die jetzt 17 Monate alt ist, nur noch aus Faulheit. Langzeitstillende (was immer das auch heißen mag) waren mir immer suspekt. “Die können nicht loslassen”, fand ich. “Spätestens wenn die Kinder verbal nach der Brust verlangen wird’s doch echt komisch”, sagte ich. Heute tippt Kaiserin 2 mir morgens auf die Brust, sagt “Titti” und ich gebe ihr, was sie verlangt. Aus Faulheit, damit ich danach noch zwei Stunden weiterschlafen kann.
Ich gestehe: Wir haben mehr Plastik- als Holzspielzeug. Einfach das, was so zusammenkommt aus Geschenken von Freunden und Familie. Ziemlich egal ist mir dabei das Prädikat “pädagogisch wertvoll”, wenn es mir ein paar Minuten Ruhe beschert. Je mehr Minuten, desto tolleres Spielzeug – finde ich. Auch wenn’s mein iPhone ist.
Ich gestehe: Ich kann mich mit der KiTa-Schließzeit nicht anfreunden. Ich bin nicht dafür gemacht, meine Kinder von morgens bis abends und durch die Nacht zu begleiten. Ich freue mich, sie um 16 Uhr aus der KiTa abzuholen – aber noch mehr, sie morgens dort (in gute Hände) abzugeben.
Ich gestehe: Ich sage mindestens zehn Mal am Tag “Scheiße”. Nicht immer, aber auch manchmal vor meinen Kindern.
Ich gestehe: Die glücklichste Woche, seitdem ich meine Kinder habe, war die vergangene Woche. Ich habe nach drei Jahren endlich mal wieder eine Woche, fünf Tage am Stück, in einem Büro gesessen und gearbeitet. Es fühlte sich für mich an wie Urlaub. Wenn ich nachmittags um halb vier aufs Fahrrad stieg, um meine Mädchen aus der KiTa zu holen, fühlte sich das für mich an wie ein Arbeitsbeginn. Ja, meine Kinder empfinde ich oft als Arbeit – nicht nur die Pflege von Kaiserin 1, sondern auch die Betreuung von Kaiserin 2.
Ich gestehe: Ich koche nicht mehr als ein oder zei Mal die Woche und wenn, dann eher pragmatisch. “Nudeln” ist eines der ersten Wörter von Kaiserin 2 gewesen. Ich bin froh darüber, dass sie ansonsten in der KiTa gut versorgt wird. Ein Brot habe ich noch nie in meinem Leben gebacken und ich glaube, ich bin trotzdem recht lebensfähig.
Ich gestehe: Manchmal fühle ich mich falsch im Mutti-Kostüm. Viel lieber würde ich in Schuhen mit mindestens fünf Zentimeter Absatz an einer Bar stehen und Wodka Lemon schlürfen, wie früher.
Ich gestehe: Ich ärgere mich über rosarote Darstellungen von Mutterschaft, hier zum Beispiel vom Wochenbett als Alleinerziehende. Ich freue mich, wenn es anderen gut geht, bitte nicht falsch verstehen. Aber so erlebe ich es weder bei mir noch bei Freundinnen in der Realität. Als Chance des Internets sehe ich die Möglichkeit, sich ehrlich auszutauschen und ich finde es tröstlich, zu lesen, dass bei anderen auch nicht alles Gold ist, was digital glänzt.
Deshalb schreibe ich Euch auch diesen Brief. Ich möchte mich Dir (Anja) anschließen, wenn Du Jesper Juul zitierst: “Seid nicht so perfektionistisch. Bis man wirklich gut ist im Erziehen, muss man mindestens vier Kinder haben. Aber glücklicherweise brauchen und wollen Kinder keine fix und fertigen Eltern. Kinder haben viel Verständnis für Fehler – sie machen ja selbst den ganzen Tag welche und lernen daraus.” Ich weiß zwar nicht, ob das mit den vier Kindern stimmt, aber immerhin habe ich das Gefühl bei meinen Töchtern, dass ich die Erziehungsweisheit nicht mit der Muttermilch geliefert bekommen habe. Es ist eher ein Ausprobieren des passenden Wegs à la Trial and Error (im besten Fall ohne Error).
Ich möchte kein schlechtes Gewissen haben müssen, weil ich nicht perfekt bin. Auch nicht, wenn ich Elternblogs lese. Ich glaube, ich bin als Mutter okay. Bestimmt nicht perfekt, manchmal gut, manchmal nicht. Ich gebe mein Bestes und das ist manchmal genau das richtige und manchmal nicht. Ich versuche, meine Kinder zu sehen – aber auch mich selbst. Ohne Zeit für mich, wie sie Carola vom Blog Frische Brise beschreibt, könnte ich nicht glücklich leben. Ich bin überzeugt davon, dass es stimmt: Ohne glückliche Mutter keine glücklichen Kinder. Ich versuche, mir die Messlatte nicht zu hoch zu legen. Nur so kann ich zufrieden sein. Übrigens habe ich mir das von Kaiserin 1 abgeschaut. Sie ist zufrieden, wenn sie im Nacken gekrault wird. Wenn sie Stuhlgang haben konnte ohne Schmerzen. Wenn sie auf einem kleinen Tuch herumkauen kann. Sie braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Und doch spürt man als Mama, gerade als Mama eines behinderten Kindes, immer auch den Druck von außen. So lange hatte sie keine Physiotherapie!? Isst sie immer noch nur flüssig? Keine Logopädie? Wir sind oft einfach froh, den Alltag mit Ach und Krach zu wuppen. An Brot selbst backen ist bei uns gar nicht zu denken (abgesehen davon, dass ich auch gar keine Lust dazu hätte).
In einem Vortrag zum Thema “Erziehung von behinderten Kindern” hörte ich vor ein paar Wochen den Satz: “Kein Kind bekommt die Eltern, die es verdient”. Ich finde ihn tröstlich. Wir sind Menschen, mit Talenten und Defiziten. Wir kommen nicht mit dem perfekten Erziehungsplan zur Welt. Das ginge ja auch gar nicht, weil jedes Kind andere Bedürfnisse hat. Wir können uns noch so sehr bemühen, perfekt oder mindestens gut zu sein – wir sind alle fehlbar. Ich finde es toll, wenn meine Kinder von Anfang an lernen, das niemand perfekt ist. Dass Menschen Fehler machen und sich dafür (im besten Fall) entschuldigen. Dass auch Mama und Papa Fehler machen, bemerken sie ja dann spätestens in der Pubertät. Jedenfalls erinnere ich mich noch bei mir daran, wie das perfekte Bild meiner Eltern zu dieser Zeit langsam bröckelte…
Auch Anna hat sich auf ihrem Blog in einem bewegenden Artikel gefragt, was eine gute Mutter überhaupt auszeichnet und kommt zu dem Schluss, dass uns die einzig gültige Antwort irgendwann nur unsere Kinder geben können. Im Fall meiner behinderten Tochter werden das keine Worte sein, sondern vielleicht Gebärden oder kleine Zeichen. Aber ich werde sie sehen – so wie ihr Eure Kinder und ihre Zeichen seht.

Entspannte Grüße, Mareice
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Nachtrag vom 27. August 2014: Auch Carolin ist Mutter und hat einen ehrlichen Brief verfasst.
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