Das Unwohlsein der modernen Mutter

by Mareice Kaiser

Mareice Kaiser
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Das Buch zum Essay gibt’s ab April 2021 bei Rowohlt.

Dieser Text entsteht als Sprachnachricht auf dem Fahrrad, ich fahre vom Büro zur Kita. Zehn Minuten habe ich noch, bevor die Kita schließt. Wenn ich schnell fahre, brauche ich eine Viertelstunde. Während ich auf meinem Fahrrad in mein Smartphone spreche, fahre ich über zwei rote Ampeln und das ist mehr als eine Metapher. Ich bin spät dran, wie immer. Gern hätte ich heute noch länger gearbeitet. Mein Kind mag es nicht, wenn es pünktlich abgeholt wird. Pünktlich bedeutet hier 16 Uhr, Schließzeit der Kita. Um 16 Uhr bin ich fast immer die Mutter, die später kommt als alle anderen Eltern. Ich habe keine Ahnung, wie die anderen Familien das machen.

Ich bin also genau um 16 Uhr an der Kita-Tür und schließe mit Schweiß auf der Stirn und außer Atem die Tür auf. „Dein Kind wartet schon sehnsüchtig“, begrüßt mich ein Vater. Zack, das sitzt. Schlechte Mutter, warum kommst du so spät? Mein Kind begrüßt mich mit trauriger Miene und der Frage „Warum bist du so spät?“ Mir fällt keine pädagogischere Antwort ein als das ehrliche: „Erstens bin ich pünktlich und zweitens muss ich arbeiten, um unsere Miete zahlen zu können.“ Meine Genervtheit landet hier definitiv bei der falschen Person.

Vor der Kita-Tür schreibe ich einem Kollegen eine kurze Nachricht, der gerade einen Text von mir redigiert. Ich bin nicht mehr dazu gekommen, auf seine Kommentare zu reagieren. Währenddessen jammert mein Kind neben mir nach Eis. „Wann gehen wir endlich los?“ „Gleich“, sage ich. Ich kann nicht zählen, wie oft am Tag ich „gleich“ oder „sofort“ zu meinem Kind sage – und in den seltensten Fällen bin ich ehrlich damit. Meistens wird aus gleich oder sofort ein später. Ich finde mich dabei selbst sehr ätzend. Neben uns steht eine andere Kita-Mutter mit Kind an ihrem Fahrrad und bekommt das Schloss nicht auf.

Wir versuchen seit Anfang des Sommers, uns zu verabreden. Jetzt verfärben sich langsam die Blätter an den Bäumen. Ich mag diese Frau wirklich gern, es ist mir unangenehm, dass wir es bis jetzt nicht geschafft haben. Ich überlege kurz wegzuschauen, schaue dann aber doch hin. „Es tut mir leid, ich schaffe gerade gar nichts, außer überleben“, sage ich. Sie schaut zurück, lächelt müde und antwortet: „Ich weiß genau, was du meinst. Ich könnte jetzt sofort heulen.“ Wir lächeln uns solidarisch zu, heulen beide nicht und fahren mit unseren Kindern los. Ich mit einem Kloß im Hals, sie vielleicht auch.

Es wundert mich nicht, dass eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nun belegt: In den sieben Jahren nach der Geburt eines Kindes verschlechtert sich das mentale Wohlbefinden von einem Drittel aller Mütter deutlich. Es handelt sich um eine „substanzielle Verschlechterung“, so heißt es in der Studie. Das Unwohlsein der befragten Mütter äußert sich in drei Dimensionen: mentaler Stress, stressbedingter und sozialer Rückzug, depressive Verstimmungen und Angstgefühle.

Ja, ja, und ja. Ich kenne all das und die meisten meiner Freundinnen, die Mütter sind, ebenfalls. Zwischen einer Freundin und mir ist unser seit Monaten geplantes Treffen mittlerweile ein Running Gag geworden. Ich möchte seit einem Jahr wieder regelmäßig tanzen und habe bisher nur die Google-Recherche nach Jazzdance-Kursen in meiner Gegend hinbekommen. Eine glückliche Beziehung führen, das schaffe ich nur mit meinem Vibrator. Für das letzte Buch, das ich gelesen habe, brauchte ich mehrere Wochen. Und ich bin eine schnelle Leserin und das Buch ist sehr gut.

Das Buch hat Antonia Baum geschrieben, es heißt Stillleben und dreht sich um die Frage, wie man Mutterschaft und ein eigenes Leben verbindet und warum es Mütter eigentlich niemandem recht machen können. Oft vor allem nicht mal sich selbst. Woran das liegt?

Baby belastet Mamas Psyche titelte die ÄrzteZeitung zur Studie. Das ist in den meisten Fällen Quatsch und viel zu kurz gedacht. Natürlich ist das Leben mit einem Baby oder einem (Klein-)Kind oft anstrengender, vor allem fremdbestimmter, als ohne. Es ist aber nicht das Kind, das die Psyche belastet, sondern die Bedingungen, zu denen Mutterschaft in Deutschland möglich ist. Und die Leitbilder und Ideale, die Mütter betreffen.

Da gibt es das Leitbild der das Kind versorgenden Mutter mit starken sozialen Erwartungen. Das Leitbild der erwerbstätigen Mutter, die zu funktionieren hat, weil sie ja heutzutage schließlich genau die gleichen Chancen hat wie ihre Kollegen. (Ich lache an dieser Stelle leise und augenrollend.) Das Leitbild der Mutter als Vorbild für ihr Kind. Vor allem bei getrennten Eltern dann noch das Leitbild der MILF, der Mom I’d Like to Fuck.

So viele Bilder, und alle sollen sich in einer Person wiederfinden. Wer soll das schaffen? Außer Beyoncé fällt mir niemand ein. Wobei bei ihr natürlich ein Thema keine Rolle spielt. Beyoncé kann sich acht Nannys für ihre Kinder leisten. Die meisten Mütter, die ich kenne, können das nicht. Kinder sind teuer, heißt es immer wieder. Das stimmt so nicht, finde ich. Ja, natürlich bezahlt man mehr für Kleidung und Essen. Das geht aber auch günstig, wenn es sein muss. Was teuer ist, ist ein gutes Leben mit Kindern.

Alle Mutterideale vereint in einer Person: Beyoncé. / Illustration: Elif Kücük

„Hinter den Ergebnissen unserer Studie liegt ein soziales Problem“, sagt Marco Giesselmann vom DIW. 19 Prozent der befragten Mütter beschreiben eine Verbesserung ihres Wohlbefindens. Mutterschaft ist eine Entlarvung, eine Polarisierung. Lebt eine Frau in sozialer Sicherheit, besteht eine hohe Chance, dass es ihr auch nach der Geburt eines Kindes gut gehen wird. Lebt eine Frau prekär, polarisiert Mutterschaft die Herausforderungen ihres Lebens. Gut zu sehen ist das am Beispiel von Ein-Eltern-Familien.

Rund ein Drittel aller Alleinerziehenden sind von Armut bedroht. Das Familienleben ist häufig ein wackliges Konstrukt – sobald eine Säule ins Wanken gerät, bricht das Konstrukt zusammen. Wenn das alleinerziehende Elternteil krank wird – zu rund 90 Prozent sind das Frauen –, ein Kind krank ist oder wenn die Waschmaschine kaputt geht. Zu wissen, dass das Konstrukt jederzeit auseinanderfallen könnte, macht Stress. Zu wissen, dass da niemand ist, um Sorgen und Belastungen zu teilen, macht Stress. An alles allein denken zu müssen und alles allein machen zu müssen, macht Stress.

Stress, den auch viele Mütter in heterosexuellen Partnerschaften kennen. Der Begriff Mental Load beschreibt die sichtbaren und unsichtbaren Aufgaben im Alltagsleben, ohne die kein Haushalt und keine Familie funktionieren kann. Wer schreibt die Einkaufsliste? Wer näht kaputte Kleidungsstücke? Wer kümmert sich um die Geburtstagsgeschenke? Wer schneidet dem Kind die Fingernägel? Wer denkt daran, dem Kind neue Schuhe für die nächste Jahreszeit zu kaufen? Fragen, die sich nach wie vor meistens zuerst die Mütter stellen.

Ja, es gibt sie, die Väter, die gleichberechtigte Elternschaft leben wollen. Die Familienstrippen halten jedoch weiterhin noch viel zu oft die Mütter in den Händen. Und auch Aufgaben zu delegieren ist Arbeit. Immer an alles denken zu müssen ist Arbeit und nimmt einen Teil der vorhandenen Energie. An Sachen denken kostet Energie, Verantwortung kostet Energie.

„Es ist ganz einfach, dachte ich (…), ich will ein Mann sein. (…) Ich will ein Mann sein, aber ich will nicht aussehen wie einer. (…) Aber die Möglichkeit aufzustehen, sich nicht zuständig zu fühlen und weiterzugehen, diese Möglichkeit wollte ich besitzen, für immer.“ (aus: Stillleben)

Die Lösung kann natürlich nicht sein, dass Mütter nun Väter werden. Die Lösung kann aber sein, dass Mütter und Väter Eltern werden. Die Bemühung darum, keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern zu machen. Im Denken und im Handeln. Und nein, dass nur Mütter stillen können, ist für mich kein relevantes Argument. Wenn man gleichberechtigte Elternschaft leben will, geht das sehr wohl auch mit einem Kind, das stillt. Es müssen bloß alle wirklich wollen.

Die Verantwortung für die gesellschaftliche Veränderung liegt bei der Politik. Sie muss Bedingungen schaffen, in denen gleichberechtigte Elternschaft gelebt werden kann – und in denen auch Ein-Eltern-Familien gut leben können; immerhin die am stärksten wachsende Familienform. „Eine hochqualifizierte Betreuungssituation steigert das Wohlbefinden“, sagt Marco Giesselmann vom DIW. Nur über eine veränderte Politik kann es zu einer veränderten Norm der Gesellschaft kommen. Nur so können die starren Mutterideale aufgeweicht werden.

Manchmal treffen all diese überhöhten Mutterideale und alle Rufe nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf die Realität. In Thüringen musste gerade eine Abgeordnete den Landtag verlassen, weil sie ihr Baby dabei hatte. Mütter sollen alles sein – aber nur, wenn es auch allen passt. Eine Mutter im Wochenbett im Landtag, gern – das Baby soll sie aber bitte zu Hause, oder wo auch immer, lassen. Eine Mutter, die gern Sex hat, prima – aber laut und öffentlich darüber sprechen, das schickt sich nicht. MILF bleibt währenddessen das beliebteste Porno-Genre. Eine Mutter soll selbstverständlich berufstätig sein – aber bitte nicht karrieregeil. Was Mütter wollen, scheint nicht relevant zu sein.

Dass es vielen Müttern in den ersten Jahren nach der Geburt ihrer Kinder mental und emotional schlechter geht als vorher, liegt nicht an ihren Kindern. Es liegt an den gesellschaftlichen Strukturen, die nicht für Frauen und erst recht nicht für Frauen mit Kindern gemacht wurden. Sondern von Männern für Männer. Strukturen, die für die Leistungsgesellschaft gemacht wurden. Für Menschen ohne familiäre Verpflichtungen rund um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige. Familiäre Fürsorgearbeiten haben in diesen Strukturen bisher keinen Platz – das bekommen vor allem Mütter zu spüren, tagtäglich.

Ich möchte mal an einer Ampel stehen und warten, bis es grün wird. Bis die Ampel wieder rot wird. Und dann wieder grün. Einfach da stehen und warten. Und irgendwann bei grün losgehen, wenn ich Lust darauf habe. Am liebsten gemeinsam mit meinem Kind.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst am 3. September 2018 auf ze.tt.

21 Kommentare zu “Das Unwohlsein der modernen Mutter

  1. Vielen Dank für diesen Text und auch für das Interview auf NDR Info vom 2. Mai.
    Ich bin seit der Geburt meines Kindes vor drei Jahren daheim und Vollzeitmutter. Meine Freundin, seit 3 Jahren Mutter, arbeitet seit kurzem Vollzeit. In einem augenöffnenden Gespräch bemerkten wir, dass wir beide ein unheimlich schlechtes Gewissen und das Gefühl ‘nicht zu genügen’ haben.
    Ich – weil ich ‘nur’ daheim bin und das Kind betreue und mich somit ‘faul’ fühle, wo doch alle anderen so viel mehr schaffen.
    Sie – weil sie 40 Stunden/Woche arbeitet. Ihr macht der Job Spaß und das ‘darf’ er doch nicht, weil sie als ‘gute Mutter’ am allerliebsten beim Kind sein sollte, für das sie jederzeit da sein müsste.
    …scheint so als ob man in unserer Gesellschaft Frauen/Müttern einfach ein schlechtes Gewissen machen MUSS…

  2. Ein sehr kluger Artikel über gesellschaftliche Erwartungen und das Rollenbild der Frau.
    Ein Thema, das uns noch in den nächsten Jahren beschäftigen wird.
    Vielen Dank.

  3. Danke für diesen Text! Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es wirklich, wirklich einfacher wird, je größer und selbständiger die Kinder sind. Aber festgefahrene Strukturen bleiben: Männer, die mehr verdienen und das Ehegattensplitting, die dazu beitragen, dass dann eben doch die Frau kürzer tritt, (noch) weniger verdient, Teilzeit arbeitet – so auch bei mir. Die 450EUR-Teilzeit-Falle, aus der man nur schwer rauskommt, weil der AG nicht bereit ist, ein vernünftiges Arbeitsverhältnis mit Nebenkosten zu bezahlen – also fließt auch weniger in die Sozialversicherungskassen.
    Und ja: ich kenne diese last-minute-Hetze zum KiGa.

  4. Ich muss hier mal aus der Sicht eines Mannes schreiben, der versucht in einen Männerberuf des Handwerks die Gleichstellung zu leben.

    Ich finde den Text sehr treffend. Aber nicht nur für Mütter. Sonder wirklich für alle die versuchen Kinder und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Und ich habe die Reihenfolge mit Absicht so gewählt.

    Geht man früher aus der Arbeit gibt es Kommentare, kommt man später, weil man die Kinder wegbringt auch. Ich habe nun das Glück das ich mir in einem mittelständischen Betrieb eine Position erarbeitet habe bei der ich sage, wann ich komme und gehe. Es bleibt aber auch nichts liegen. Damit ja keiner etwas sagen kann! Aber das geht nur über früher anfangen. Was dann auch mal zwischen fünf und sechs Uhr früh sein kann. Und wir haben keine Schicht!

    Ich finde wir sind auf einem guten Weg! Aber bis zur wirklich guten Gleichstellung haben wir auch noch einiges zu erreichen. Z.B. verkürzte Arbeitszeiten für Männer. Diese sind in vielen Berufen nicht so einfach umsetzen oder es traut sich kaum ein Chef ran.

    Wie am Anfang schon geschrieben, spricht auch mir der Text aus der Seele!

  5. Ich finde mich in diesem Text so wieder! Das Gefühl als Familie mit kleinen Kindern in diesem Hamsterrad zu stecken, sämtlichen Erwartungen gerecht werden zu wollen und dabei an die Grenzen zu stoßen, das kenne ich so gut. Doch ich teile nicht die Auffassung, dass das nur uns Mütter betrifft. Der Vater meiner Kinder ist genau wie ich am Limit: wir beide bringen uns gleichermaßen ein, jeder gibt sein Bestes und trotzdem reicht es nicht, bzw. ist alles einfach zu knapp bemessen. Ob Finanzieller oder Zeit-Druck, ein unvorhergesehnes Ereignis bringt das ganze Konstrukt ins Wanken. Und das erzeugt Stress! Das betrifft meinen Mann genau wie mich. Familien brauchen Entlastung. Mit Geschlechterrollen hat das bei uns erstmal gar nichts zu tun.

  6. Danke! Danke für diesen Text!
    Jetzt fühle ich mich gleich ein bisschen besser.
    Wie oft habe ich schon den Satz gehört „Aber
    die anderen Mütter schaffen dass doch auch“, wenn ich mal am Ende war und ein paar aufmunternde Worte und ein wenig Unterstützung gebraucht hätte.
    Stimmt also gar nicht, andere Mütter haben auch ihre Krisen und schaffen es nicht allen von ihnen erwarteten Aufgaben gerecht zu werden.

  7. Ja! Genau so ist es! Wir leben unser Ideal, beide 75% arbeiten, Kinderbetreuung bis 15.00 Uhr. Es fällt auf, dass ich immer zu hören bekomme (von Anderen Müttern in erster Linie) „so viel arbeitest du mit zwei kleinen Kindern!“ und mein Mann hat keine Chance Karriere zu machen, weil echte Männer ja nicht Stunden reduzieren um sich um die Kinder zu kümmern. Uns gefällt es trotzdem!

  8. Liebe Mareice, ja! Genau!
    Die Bedingungen, unter denen wir hier momentan Kinder großziehen, sind zum Kotzen!
    Meine Rettung war, das Spiel nicht mehr mitzumachen. Karriere wird jetzt nichts mehr. Nicht bei mir und nicht bei meinem Mann. Dafür wird das Kindergartenkind schon um 14 Uhr abgeholt und eine*r von uns hat Zeit mit den Kindern und für die Kinder. Wir wohnen in einer Kommune, das nimmt einen Teil des Drucks. Den ökonomischen und den, immer ganz allein verantwortlich sein zu müssen.
    Natürlich ist es traurig, den Beruf, den ich gern machen würde, nicht machen zu können. Aber ehrlich: Es ist nicht die mangelnde Betreuung oder der Druck. Um das zu tun, was ich gern tun würde, mit Leidenschaft und Versenkung, bräuchte ich jemanden, der mir die Kinder 12 Stunden am Tag vom Hals hält und nachts aufsteht. Dann würde ich meine Kinder kaum noch sehen und erleben. Das will ich doch gar nicht! Für mich passt es ganz gut, beruflich erst einmal nebenher und nur ein bisschen zu arbeiten.
    Das geht aber nur, weil ich in einer Gemeinschaft, in einem solidarischen System lebe, das das ermöglicht. Auf dem Land und mit weniger Lebenshaltungskosten.
    Das ist die einzige Selbstverteidigung, die mir eingefallen ist und ich kann nur alle ermutigen, wieder mehr Banden zu bilden!
    Da klappt das dann vielleicht auch irgendwann wieder mit der Selbstverwirklichung, beruflich und überhaupt. Wenn die Kinder größer sind und eh keine Zeit mehr mit mir verbringen wollen. Zumindest hoffe ich das.

  9. Ja, genau das! Ich war finanziell und emotional unabhängig mit wirklich gutem Job, aber weil mein Mann trotzdem mehr verdient, sitze ich jetzt mit Kind zuhause und frage mich, ob er immer schon so spät nach Hause gekommen ist. Ich koche Biohühnchen und Pastinaken, gehe bei jedem Wetter spazieren, wechsle Windeln und putze das Bad (die Putzfrau brauchen wir ja nicht mehr wo ich jetzt doch zuhause bin), dabei höre ich so oft, wie gut ich es doch habe, den ganzen Tag mit dem Kind verbringen zu dürfen, dass ich es selbst glaube. Nachts springe ich beim kleinsten Zucken des Babys auf, renne in die Küche und mache ein Fläschchen. Wenn ich zurückkomme und das Kind neben dem Mann schläft, hoffe ich, noch schnell auf die Toilette schleichen zu können. Natürlich wacht das Kind in diesen 30 Sekunden weinend auf und ich bin schuld daran, weil ich so getrödelt habe. Wenn ich ein einziges Mal abends mit einer Freundin ausgehe, ruft mein Mann an, weil er trotz schriftlicher Anweisung nicht weiß, was er füttern soll. Er ruft an, weil er nicht weiß, was für einen Schlafanzug er anziehen soll, obwohl ich den schon auf den Wickeltisch gelegt habe. Er ruft an, dass ich sofort heimkommen muss, weil das Kind nicht schläft…. die Abende und Nächte, die ich mit Kind alleine war, kann ich gar nicht zählen. Wen soll ich denn anrufen, wenn ich nicht weiterweiß?

  10. Liebe Mareice!
    Du sprichst mir aus der Seele!!!!!
    Danke für diesen klasse Text, der rundum stimmt.
    Du bist ein tolles Vorbild für mehr Ehrlichkeit und Loyalität unter Frauen!

    Denn viele Mütter tun so als wäre das alles doch für sie ein Leichtes. Und ich wünschte mir mehr Frauen hätten den Mut über ihre wahren Gefühle zu sprechen, hätten weniger Konkurrenzdenken und kommen zu neuen Ideen sich gegenseitig zu unterstützen.

    Nehmt euch gegenseitig in die Arme und schaut wie ihr euch zusammen tun könnt um euch zu entlasten. Die Männerwelt, in der wir leben wird für sich nicht für uns ändern, die Veränderung müssen wir selbst herbei führen.

  11. Alles richtig was oben beschrieben wurde. Aber so ein bisschen, so ein ganz kleines bisschen liegt es auch an den Müttern selber. An deren Perfektionismus und vergleichen und – leider auch – Konkurrenz untereinander. Nur ein Beispiel: Kindergartenfest, ein Kuchen soll gebracht werden – wieviel können sagen: ich hab keine Zeit, Lust, was weiß ich zu backen – der Kuchen wird gekauft. Und wieviel backen trotzdem – wegen der anderen Mütter, nicht wegen den Männern, die würden es doch ehrlicherweise eher selten merken und wenn wäre es ihnen egal.

    • Nein, denn niemand kann sich von gesellschaftlichen Erwartungen frei machen.
      Es ist leider klassisch, dass Frauen die Schuld bei sich selbst suchen – da liegt sie aber nicht, sondern in den Strukturen. Und die müssen geändert werden. Damit auch Eltern Kuchen backen – oder eben niemand. Kuchen backen für die, die Bock drauf haben und Zeit dafür. (Ich gehöre nicht dazu.)

      • Ich glaube, ein bisschen ist es von beidem. Die Strukturen, nach denen schon Mädchen perfekt, eifrig, brav, angepasst, erfolgreich sein müssen. Und dieses verdammt schwere ablegen-können dieser verinnerlichten glaubenssätze.

      • Natürlich kann man sich von gesellschaftlichen Erwartungen frei machen. Wir sind doch keine fremdgesteuerten Maschinen. Ich kann versuchen, alle Erwartungen zu erfüllen oder ich kann sagen, “ihr könnt mich mal”. Es muß für mich passen, für die Kinder und meinen Partner. Und noch was anderes, was ist den die Alternative: keine Kinder haben – konnte ich mir nicht vorstellen, zu Hause zu sein – hätte ich auch im Leben nicht gewollt.( Ich habe 3 Kinder, eines davon behindert, meine Mann und ich arbeiten beide Teilzeit (ich 70, er 85 Prozent) Und das sehr gerne. Karriere machen wir beide sicher keine mehr, aber das wollen wir auch gar nicht.

      • Frauen sind aber nun mal auch an der Schaffung gesellschaftlicher Strukturen beteiligt. Ich sehe mich nicht in der Opferrolle. Ich bin HANDELNDE, nicht nur Reagierende. Ja, es stimmt: die Handlungsspielräume von Frauen sind auf den ersten Blick oft kleiner als die von Männern – aber sie sind sehr wohl vorhanden und werden aus meiner Sicht zu wenig genutzt. Wo ist denn der Vater des Kindes, wenn Du um kurz vor 16:00 zur Kita radelst? Und wenn Du Dein Kind mal nicht abholst? Muss er eben hin – und tut es vermutlich auch, oder nein? Sorry: immer nur auf die “Strukturen” zu schimpfen, als wären Strukturen ein abstraktes Gebilde, an deren Schaffung jeder (mit Betonung auf JEDER) beteiligt ist, nur nicht frau selbst finde ich wenig hilfreich. Muss auch leider Silke zustimmen: den größten Druck und die bissigsten Kommentare habe ich bislang von Mit-Müttern erfahren. Genau denselben Müttern, die dann offenbar wieder die braven, angepassten, Kuchen-backenden, auf-den-letzten-Drücker-zur Kita radelnden Mädchen und Frauen von morgen erziehen. Also irgendwo ist da der Wurm drin.

        • Also, ich selbst bin keine Mutter, aber viele meiner Freundinnen sind es und genau solche bissigen “Oh man, hat sie schon so schnell beim Stillen aufgegeben?” Oder “Beingt sie wirklich ihr Kind so lange in die KiTa? Wofür krieg ich denn dann ein Kind?” – Argumente, kommen vom ganz klaren Konkurrenzdenken der Frauen. Daran ist auch hundertprozentig diese gesellschaftliche Prägung Schuld, denn der gefühlte Druck wird einfach nur ungefiltert an einer anderen Person, mit selben Hochmut weitergegeben. Aber wieso müssen wir immer aufeinander losgehen, wenn doch in der gesellschaftlichen Prägung schon der Wurm drin ist? Es ist mit so vielen Dingen so, die in unserer Gesellschaft gegen die Wand fahren und ich finde es sehr traurig. Wir sollten einander unterstützen und gegen die Ursachen vorgehen und nicht gegen einander … man ey, dann scheißen wir eben mal auf den Kack Kuchen und sagen ganz klar “Sorry ey, ich bin völlig auf. Ich kann gerne was vom Bäcker holen.” Das könnte andere Mütter helfen, genauso offen zu agieren und reagieren. Aber dieser ständige Druck von “mit dem Alltag klarkommen” und “den Schein waren” (worauf wir als Gesellschaft immernoch so einen großen Wert legen, obwohl wir doch alle wissen, dass wir Mist bezahlen!) Ist doch ätzend. Da hab ich kaum Lust ein Kind zu bekommen, ganz ehrlich … also! Mehr Liebe und mehr Ehrlichkeit und ein laut werden gegen gegebene Strukturen

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