Ich wollte einfach nach Hause. Mein Körper wollte angefasst und geliebt werden, gerettet von der ernüchternden Routine einer pflegenden Mutter* im Krankenhaus. So fühlte ich mich im Frühling, als ich für eine Woche mit meinem Kind stationär war.
Es wird momentan viel (aber längst noch nicht genug) über Mutterideale gesprochen und geschrieben. Aber wie zeigen sich diese gesellschaftlichen Erwartungen gegenüber pflegenden Müttern? Was wird von uns erwartet, während wir z.B. stationär unsere Kinder im Krankenhaus begleiten? Darf eine pflegende Mutter etwas komplett anders machen wollen, als nur in der Exklusivität für das Kind zu sein? Wie viel darf es von dieser Frau jenseits der Rolle der pflegenden Mutter geben, während sie pflegt, liebt und begleitet?
Was, wenn sie schnell aus dem Krankenhaus und zurück nach Hause gehen will, weil sie Lust auf Sex hat? Oder darf sie nur zurück zu ihren anderen Kindern wollen, die seit einigen Tagen oder Wochen ohne sie sind? Sie vermisst bestimmt die Kinder, ja, aber was wenn nicht nur? Vielleicht vermisst sie auch den Sex, ihr Bett mit ihre*m Partner*in. „Mütter sind sexuelle Mischwesen – auf der einen Seite werden sie übersexualisiert, Stichwort Milf, auf der anderen Seite am liebsten als heilige asexuelle, treusorgende Mütter gesehen“, schreibt Mareice Kaiser in Das Unwohlsein der modernen Mutter.
Ich gebe zu: Viele von diesen Gedanken können für uns neu, eventuell auch unangenehmen und auch extrem sein. Ich traue mich aber trotzdem diesen Text zu schreiben. Es ist mir aber wichtig zu sagen, dass unsere Verantwortung für unsere pflegebedürftigen Kinder eine Dringlichkeit hat und nicht vernachlässigt werden darf. Mein Fokus hier sind aber Gefühle, die eventuell gegensprüchlich zu dieser Pflicht sein können und die Frage: Wie viel von der Frau die ich auch noch bin, kann in diesem Kontext von Pflicht, Liebe und Verantwortung noch geben?
Wie kommt es an, wenn wir pflegende Mütter uns im Krankenhaus schminken und uns schön anziehen, während unser Kind vielleicht einen Tag mit vielen Untersuchungen erlebt oder operiert wird, oder sogar auf der Intensivstation ist? Oder erlauben hier die (unausgesprochenen) Spielregeln nur Jogginghose, ungekämmte Haare und Crocs? Woran wird die Liebe gemessen? Führen ein roter Lippenstift oder ein tief ausgeschnittenes Shirt zum Punktabzug beim Status als „gute Mutter“? Wer bestimmt das?
Wer diese Situation schon mehrmals erleben musste, hat sicherlich mehrere Sprüche aus dem Umfeld – und von sich selbst – gehört, als ob es nichts Anderes geben dürfte, als nur die Zeit für und mit dem Kind. „Sie arbeiten jetzt?“, fragte mich irritiert die Krankenschwester, während mein Kind nach der Untersuchung schlief. Ja, antwortete ich. Und schnell wollte ich mich rechtfertigen: mein Kind ist doch stabil und schläft; ich habe eine Deadline; ich habe Freude dabei. Ich bin froh, doch nichts außer dem Ja gesagt zu haben. Ich bin nicht nur Mutter und das muss ich nicht rechtfertigen.
Wir werden seit Jahrhunderten mit Botschaften vom Patriarchat bombardiert, die uns Müttern den Druck vermitteln, die super moms sein zu müssen und was das bedeutet. Wir, die super moms von besonderen Kindern, die ableistische Form von behinderten Kindern, bekommen hier ganz bestimmte Erwartungen vorgeschrieben. Damit wird auch impliziert, wie sich die super special needs mom im Krankenhaus verhalten soll. Das Patriarchat hat sein Ziel erreicht, wenn wir nicht nur glauben, sondernauch so agieren, als ob das Natürlichste der Welt wäre, dass eine Mutter exklusiv für ihr Kind da wäre. Wie ein „2 für 1“ kommen hier die Schattenseiten, die für viele von uns kein Geheimnis, sondern Alltag sind, ins Spiel: Schuldgefühle, Erschöpfung, Einsamkeit, Mangel an Unterstützung, Armutsrisiko, Burnout, Depression – und im schlimmsten Fall auch Suizid. Aber Hauptsache die Mutti ist nur für das Kind da, gibt ihre Individualität ab, will keinen Sex, hat keine eigenen Interessen, – und lächelt natürlich dabei.
Ich fing diesen Text im Frühling an zu schreiben, als ich mein jüngstes Kind für eine Woche im Krankenhaus begleitet habe. Wir sind an dem Dienstagabend sehr schnell mit dem Krankenwagen gefahren. Es war nicht schön. Aber bald ging es ihr schon wieder gut, sie lachte, sie schlief gut, hatte ihre Trotzmomente, aß Eis am Eingang des Krankenhauses und musste trotzdem weiterhin im Kopf untersucht werden. Wir erlebten eine Mischung aus Normalität und, die für ein vier jähriges behindertes Kind, blöde Routine des Krankenhauses. Ich war für meine Tochter da – mehr als 100%. Aber ich bin nicht nur ihre Mutter.
Ich habe Träume, Ideen, Gelüste, Phantasien, Wünsche, Projekte, Worte, Gefühle die nichts mit der Pflege meines Kindes zu tun haben – und das bedeutet überhaupt nicht, dass ich mein Kind im Stich lassen würde.
Als ich am letzten Tag im Flur der Kinderstation ein Bild sah, mit einer Ente mit Schürze, mit einer Wäscheleine im Hintergrund, sie mit einem Kochlöffel an einer Hand, die Babyente auf dem anderen Arm und oben drauf der Satz Super Mom zu lesen war – gerade an einem Ort mit einer extremen hohen Mutterquote! – , wollte ich noch schneller nach Hause und einen schönen Abend mit meinem Mann haben.
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P.S: Im diesen Text verwende ich das generische Feminin, was aber nicht bedeutet, dass jede Mutter oder die Personen, die so gelesen werden, auch Frauen sind und sich mit dem Pronom sie identifizieren.
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