“Umarmen und loslassen” – was wir in 13 Jahren mit unserer todkranken Tochter über das Leben gelernt haben

by Simone

„Umarmen und loslassen“ ist ein Buch, das vom Sterben erzählt und dabei das Lebenund die Kostbarkeit jedes Augenblicks feiert. Es ist eine Liebesgeschichte mit Happyend, denn Jaël hat uns zu glücklichen Eltern gemacht. Unsere Lernerfahrungen aus 13 Jahren mit unserer Tochter mitsamt allen Höhen und Tiefen haben Wolfgang und ich in einem einjährigen gemeinsamen Schreibprozess in diese 256 Seiten verpackt, und unser Verlag hat die Geschichte zu einem wunderschönen Buch gestaltet.” (Shabnam Arzt)

“Es ist ein Buch, das mich nach der Diagnose meines Sohnes begleitet hat. Ich habe viel von Shabnam gelernt, obwohl ich sie nicht kenne. Ich habe geweint und gelacht, als ich ‘Umarmen und loslassen’ las. Aber vor allem passierte eines: ich schöpfte Kraft und Mut und Zuversicht für eine gemeinsame und glückliche Zukunft mit einem Kind mit einem seltenen Gendefekt.” (Simone Brugger)

Shabnam, warum wolltet ihr ein Buch über eure Tochter Jaël schreiben?

Da waren zum einen Freundinnen und Freunde, die uns eng begleitet hatten und mittlerweile selbst Eltern sind. Sie sagten: „Wir möchten unseren Kindern Jaël vorstellen, sobald sie alt genug sind. Schreibt doch ein Buch.“ Zum anderen hatten wir das Gefühl, unsere Tochter hat uns etwas hinterlassen, wie eine Art Erbe, ein Geschenk, bestehend aus Liebe und Lebensfreude und einer besonderen Haltung dem Leben gegenüber. Wir spürten den Wunsch, dies für uns und andere festzuhalten.”

Welche Auswirkungen erhoffst du dir, auf Menschen, die euer Buch lesen?

Jaël hat uns mitgenommen auf eine Reise, die unsere Welt auf den Kopf gestellt hat. Unsere Leserinnen und Leser laden wir ein, diese Reise in Kurzversion nachzuerleben und währenddessen mit uns in den Dialog zu kommen. Über die Kostbarkeiten des eigenen Lebens mit allem Guten und Schönen und auch den Krisen und Tiefpunkten. Am Ende dieser Reise stellen sich hoffentlich Dankbarkeit für die kleinen Dinge ein und Resilienz für die persönlichen und globalen Herausforderungen, in denen sich jede und jeder wiederfindet. Die Rückmeldungen, die wir bisher erhalten haben, spiegeln, dass es uns gut gelungen ist.   

“Sie sprachen vom Tod, wir feierten das Leben”

Du engagierst dich sehr für Kinderhospizarbeit – warum ist Kinderhospizarbeit so wichtig und welche Rolle hat sie in eurem Leben als pflegende Eltern gespielt?

Als pflegende Familie fühlt man sich in der Gesellschaft manchmal wie Außerirdische, von einem anderen Planeten stammend. Während draußen das Leben wie gewohnt weiterläuft, sind für betroffene Familien neben der Pflege viele bürokratische Hürden zu bewältigen. Da bleibt wenig Zeit für Selbstfürsorge, denn die Sorge um das Kind steht ganz oben auf der Tagesordnung. Die Kinderhospizarbeit kann die Familien ab dem Zeitpunkt der Diagnose einer lebenszeitverkürzenden Erkrankung entlasten und unterstützen.   Für uns waren die Zeiten im Kinderhospiz Balthasar echte Oasen. Hier fühlten wir uns verstanden, wir wussten Jaël in besten Händen und konnten neue Kraft schöpfen und Zeit in unsere Beziehung investieren. Die Rolle der Pflegenden und den unsichtbaren Rucksack mit allen Sorgen  abzulegen, wenn auch nur für ein paar Stunden, ist lebenswichtig. Heute engagieren wir uns als Botschafterin und Botschafter für das Bergische Kinderhospiz Burgholz in Wuppertal, um auf das Unterstützungsangebot aufmerksam zu machen und Menschen für die wichtige Arbeit zu sensibilisieren.

“Wir lieben unser Kind und wollen es haben. So wie es ist. Fertig”

Deine Tochter hatte die Diagnose Trisomie 18  – was würdest du Eltern, deren ungeborenes Kind diese Diagnose erhält, heute mit auf den Weg geben wollen?

Die Diagnose Trisomie 18 ist automatisch mit vielen negativen Bildern und dunklen Prognosen verbunden. Der Lebenswert der Kinder wird in Frage gestellt. Aber das Leben ist nicht schwarz-weiß, sondern bunt. Eine Diagnose hat noch keine Aussagekraft über die Liebenswürdigkeit und den Wert eines Menschen. Wie genau eine Krankheit oder Behinderung sich nach der Geburt auswirkt, kann kein Mediziner vorhersehen. Keiner von den Ärzten hatte uns gesagt, wie wundervoll unsere Tochter sein würde. Jaël war eine Meisterin der Lebensfreude. Ihr Lachen war ein Strahlen über das ganze Gesicht, bis man die Augen kaum mehr sehen konnte. Wir fühlen uns reich beschenkt.

Kannst du uns eine besondere Begegnung im Rahmen eurer pflegenden Elternschaft mit anderen Menschen erzählen?

Da gibt es viele schöne Erlebnisse.  Z.B. meine erste Begegnung mit der Oberärztin der Kinderintensivstation in Solingen: Ich war noch traumatisiert von den zwei Wochen nach Jaëls Geburt auf der Intensivstation der Geburtsklinik und hatte Angst, sie alleine in der Klinik lassen zu müssen. Die Oberärztin hatte sofort ein Gespür für die Verbindung zwischen Jaël und mir und ließ ein Zimmer frei räumen, damit ich mit aufgenommen werden und auch nachts bei ihr bleiben konnte. Ihre Worte „Wenn wir Sie trennen, verlieren wir sie.“ werde ich nie vergessen. So viel medizinische Kompetenz, gepaart mit Menschlichkeit und Empathie haben mich tief beeindruckt.

Was kannst du Eltern von einem Kind mit einer lebensverkürzenden Erkrankung heute mit auf den Weg geben?

Bitte sorgt gut für euch. Unsere Kinder benötigen unsere ganze Kraft, gerade deshalb sollten wir unsere eigenen Bedürfnisse nicht ignorieren. Zehn Minuten mit einem Kaffee in der Sonne können so viel Energie freisetzen, wenn wir sie uns gönnen. Inmitten aller Herausforderungen braucht es kleine Glücksoasen. Findet heraus, was euch gut tut. Bitte nehmt keine falsche Rücksicht auf andere Menschen. In herausfordernden Zeiten brauchen wir Menschen um uns, die Energie spenden. Menschen, die Kraft rauben, können wir uns nicht leisten. Von ihnen dürfen wir uns in schweren Zeiten verabschieden, weil es um unser Überleben geht. Genauso von negativen Glaubenssätzen („Ich bin nicht gut genug“, usw.), die uns in eine Spirale der Negativität treiben. Auch das ist Teil der Selbstfürsorge. Ebenso wichtig ist es Hilfe anderer anzunehmen. Mir fiel das Loslassen am Anfang nicht leicht, selbst wenn es die Fachkräfte im Kinderhospiz waren, aber ich lernte diese wertvolle Unterstützung anzunehmen. Und erhielt dadurch Freiraum, um meine Energiereserven aufzufüllen.

“Die Jahre mit unserer Tochter sind für uns wie ein kostbares Geheimnis, das wir gar nicht endgültig in Worte fassen können.”

Shabnam und Wolfgang Arzt

Wie hat das Schreiben des Buches euch beeinflusst?

Wir sind unendlich dankbar, dass unsere kleine Jaël große Spuren in dieser Welt hinterlässt. Seit dem Erscheinen sind wir mit dem Buch im deutschsprachigen Raum unterwegs. Jede Lesung und Veranstaltung ist neu und anders. Anders schön. Ob in Buchhandlungen, Cafés, Schulen, Universitäten, Kirchen, ob vor medizinischem oder pädagogischen Fachpersonal, betroffenen Eltern oder anderen interessierten Mitmenschen: Wir dürfen unsere veränderte Perspektive auf das Leben einbringen und mit unseren Leserinnen und Lesern vor Ort ins Gespräch kommen und erfahren, wie Jaëls Geschichte sie durch die Herausforderungen ihres Lebens begleitet und ermutigt. Das ist unbeschreiblich schön und macht uns froh.

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