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Sie kam wieder, diese unerwünschte Gästin! Und so nach ihrer Art, kommt sie immer ohne irgendein Anzeichen zu geben – und das hasse ich an ihr! Es gibt keine Vorbereitung, keine Absprache. Egal ob kurz vor dem Einschlafen im Bett, beim Geschichtehören am Nachmittag oder mit den Geschwistern im Zimmer, sie kommt, wann sie will. Zum Glück bleibt sie nicht lange, aber die wenigen Sekunden oder Minuten von ihrer Präsenz bringen einiges durcheinander im geplanten Alltag und vor allem das Gefühl, dass unser Leben ein bisschen normaler geworden ist – oder eben nicht? Fuck Epilepsie!
Bei dem ersten Mal war es am Sonntagnachmittag. Wir waren in Brasilien bei meinen Eltern und wie alle Sonntage war ihr Haus voll mit Verwandten. Sogar die lustige Tia Nena, die Tante von meinem Vater war da. Sie kam extra um mich nach einigen Jahren wiederzusehen und meine Familie kennenzulernen. Ich saß mit Zoe auf dem Sofa als der Eindringling kam. Alle waren in Panik, insbesondere die 87-jährige Tia Nena, als Zoe spuckte, auf unsere Stimme nicht reagierte, flach atmete und ihre Augen sich verdrehten.
Letzte Woche war es anders. Als die unerwünschte Gästin kam, war ich die einzige Zeugin von ihrem Besuch. Zoe hatte einen Termin am Sanitätshaus für das Abholen ihrem neuen Rollstuhl. Der Termin war ziemlich lang, zwei Stunden, aber wie immer ist das Team dort total lieb und macht alles möglich, damit es für sie angenehmen ist. Und so war es. Als wir fertig waren, fuhr sie so stolz aus dem Gebäude mit ihrer neuen „Ferrari“ raus. Ich grinste stolz auf mein 4-jähriges Kind und musste an den Nachmittag in August vor drei Jahren denken, als sie ihren ersten Testdrive auf einem Rollstuhl hatte. Mein süßes Kind wird groß und der Rollstuhl sozusagen, ist ein wichtiger Teil von ihr.
Wir fuhren Auto auf der Autobahn – ich hatte vor, noch zu Ikea zu fahren und ein Billy Regal zu kaufen – als ich durch den Ruckspiegel sah, dass meine Tochter am Krampfen war. Ich war allein mit ihr und musste schnell reagieren. Schnell aber auch vorsichtig, wir waren ja auf der Autobahn. Ich bin schnell wie ein Blitz die Autobahn von der linken Spur bis zu dem Seitenstreifen quergefahren, Warnlicht angemacht, geparkt, Handbremse festgezogen und gebetet, dass wir da sicher stehen können.

Was danach passierte, dauert sicherlich keine drei Minuten, aber es fühlte sich unendlich an. Jeder meiner Schritte wurden von mir mit einer extremen Präsenz und Genauigkeit geleistet: ich habe auf die Uhr geschaut, um die Dauer des Krampfes zu kontrollieren; soweit es möglich war, sicher geparkt; das Notfallmedikament gesucht – und zum Glück schnell gefunden! –; und mein Kind während des Anfalles begleitet. Und weiter gebetet, dass kein LKW uns überfährt. Ich hatte so eine Angst! Zum Glück war Zoe schnell wieder da und wir konnten weiterfahren.
Wie erleichtert war ich, als ich meinen Mann anrief und er sofort dranging. Zumindest per Telefon konnte er für mich da sein und ich meine Hilflosigkeit nicht mehr alleine tragen musste. Ikea war natürlich nicht mehr möglich – und ich fand das ziemlich doof! -, so nahm ich die Richtung wieder nach Hause. Wenige Minuten später ging alles von vorne los. Sie hatte wieder einen Anfall! Zum Glück stand ich kurz vor einem Parkplatz, konnte dieses Mal sicherer parken und „nur“ Sorge um mein Kind haben. Auf ihrem Daumen – sie nuckelt gerne an Daumen – sehe ich plötzlich den starken Biss von dem vorherigen Krampf. Fuck, rief ich los. Ich hasse dich, Epilepsie! Die weitere Strecke, immer noch eine ganze Stunde, fuhr ich mit ihr auf dem Beifahrersitz auf der Sitzschale meiner mittleren Tochter. Zoes Kindersitz ist so robust und schwer, dass ich ihn alleine nicht rausgekriegt hätte. Ich fuhr mit einem Auge auf den Verkehr und mit einem auf mein Kind. Es gibt sicherlich Erfahrungen, die angenehmer sind.
Am Ende letzter Woche hat es viel in Rio de Janeiro gedonnert. Im Internet sah ich ein Foto von Christus mit einem Blitz am Kopf und dieses Bild passte genau zu unserem Erlebnis zwei Tage davor. Man sagt, dass ein epileptischer Anfall wie ein Gewitter im Kopf ähnlich ist. Auch ich fühlte eine Art von Entladung von Energie an diesem Nachmittag, natürlich kein Vergleich zu einem echten Anfall. Ich war aber so unter Strom, dass als ich zu Hause ankam, eine Runde joggen musste. Ich musste mich, meine Belastbarkeit und meine Kraft spüren und nicht nur diese Scheiße Hilflosigkeit. Auf eine seltsame Weise fühlte ich mich am nächsten Tag stark und gleichzeitig extrem sensibel. Ob ich will oder nicht, pflegende Mutter zu sein, macht mich in einem Moment stark wie eine Löwin – oder vielleicht wie hunderte Löwinnen – und im anderen Moment vulnerabel wie eine zarte Blume, wenn das Gewitter kommt.
Liebe Barbara, ich kann so mitfühlen. Clara hat mit 16 ihren ersten Anfall gehabt. Sie hatte gerade mit ihren Führerschein angefangen. Man hatte sich mit der Spina bifida arrangiert, aber jetzt noch die f…. Epilepsie dazu. Ich stelle mir fast täglich die Frage, warum der Mist auch noch? Das Problem ist auch die Psyche geworden. Aus meinem selbstbewussten Mädchen ist ein psychisches Wrack geworden. Immer wieder stellt sie mir die Frage, warum ich und nicht meine Geschwister? Und ich kann es ihr leider nicht beantworten. Auch in der BVB Maßnahme, wo sie seit August ist, wird keinerlei Rücksicht genommen. Sie kann den Erwartungsdruck dort nicht standhalten. Ich wollte eigentlich das sie nach Fulda zur Startbahn geht, eine dreijährige Berufsvorbereitung ohne Druck. Aber mit der Epilepsie, die uns fast täglich einholt, war es für uns unmöglich, sie so weit entfernt unterzubringen. Ich könnte jeden Tag laut schreien, wenn ich erlebe, wie von außen noch mit der Epilepsie umgegangen wird. Ist man nicht schon als junges Mädchen genug bestraft, diesen Sch….zu haben, bekommt man von den Bildungseinrichtungen auch noch Druck. Wo ist die inklusion, die wir ja so leben? Also ich erkenne immer mehr, wenn du den Standards nicht entsprichst wirst du ganz schnell selektiert. Hört sich jetzt hart an, ist aber leider so…. Sorry für mein auskotzen
Das ist ja richtig heftig. Ich habe einen solchen Anfall mal unterwegs miterlebt bei einer mir unbekannten Person. Glücklicherweise wußte ich, was zu tun war. Aber ich will mir gar nicht vorstellen, wie das beim eigenen Kind ist und frau das nicht nur einmalig erlebt. Viel Kraft allen in der Familie und die Unterstützung, die Sie brauchen.