
Ich bin eine Frau und ich bin eine pflegende Mutter. Meistens bin ich weniger Frau und mehr Mutter und ganz viel Pflege. Und es gibt Menschen, die finden, dass ich mich als Frau echt verändert habe in den letzen sieben Jahren, als ich Mutter wurde und dann auch noch pflegende Mutter. Ich wurde anstrengend. Vorher war ich angepasst und habe funktioniert. Ich hatte einen gesellschaftlich anerkannten Job, bin Akademikerin und einen intellektuellen Freundeskreis. Ich ging ins Theater, auf Reisen und diskutierte. Jetzt pflege ich. Frau bin ich immer noch. Aber ich stelle Ansprüche und Erwartungen, dass pflegende Mütter mehr Sichtbarkeit bekommen und mehr gesellschaftliche Anerkennung. Ich bin politisch geworden.
Jetzt finden Menschen mich unbequem. Sie nennen mich feministisch. Sie fragen, warum ich mich nicht einfach um mein Kind kümmere. Und, dass es doch normal ist, dass ich mein Kind pflege. Denn ich bin Mutter und Frau. Das sei doch meine Aufgabe. Warum regt es mich denn so auf, dass ich wegen der Pflege meines Kindes nicht mehr Vollzeit arbeiten gehen kann? Ich kann doch zufrieden sein. Ich habe einen Mann, der das Geld nach Hause bringt, der für uns da ist. Er sorgt für uns. Das ist doch gut. Und ich antworte trotzig: ich will aber arbeiten! Ich arbeite gerne und ich will mein eigenes Geld verdienen! Ich mag es, meinen Verstand zu beschäftigen. Ich gehe gerne arbeiten und ich will das selbst entscheiden dürfen. Und nicht fremdbestimmt werden, nur weil die Pflege meines Kindes so aufwendig ist, dass ich 4 Jahre nicht mehr arbeiten konnte, weil wir als Familie einfach überhaupt keine Unterstützung bekommen haben.
Andere haben entschieden, was gut ist für mich. Weil ich eine Frau bin. Weil ich Mutter bin. Für meinen Mann hat das keiner entschieden. Ich habe nach 3 Jahren Elternzeit meinen Job verloren, mir wurde ein Auflösungsvertrag auf den Tisch gelegt, weil mein Kind Pflegegrad 4 und 100 Prozent Schwerbehinderung hat. Meinem Mann hat keiner einen Auflösungsvertrag hingelegt. Zu ihm hat man gesagt, wie toll er das macht mit der weinenden Frau zauhause, dem kranken Kind und dem Beruf. Er war ein Held. Ich war ein Häufchen Elend. Man wollte mir weiß machen, dass ich überfordert wäre. Tatsache war: ich bin verdammt stark und war es zu jedem Zeitpunkt meiner pflegenden Elternschaft.

Die Pflegebedürftigkeit meines Kindes hat mir meine Berufstätigkeit, meinen Traum von einer Karriere und meine Vorstellung von Mutterschaft geraubt. Nein, das stimmt so nicht: die Gesellschaft hat mich hängen lassen. Plötzlich war ich nicht mehr mitten drin. Eloquent, berufstätig und anerkannt. Plötzlich war ich eine Randgruppe. Eine pflegende Angehörige. Eine Frau die pflegt. 24/7. Warum sollte sie mehr wollen?
Ich musste mich neu erfinden. Ich ganz alleine. Ich bin aufgestanden und habe meine Einzelteile zusammengesucht. Habe mich Stück für Stück wieder zusammengesetzt. Sie haben mich Feministin genannt. Sie haben mich unbequem genannt. Ich war das alles nicht. Ich war eine Frau, die ihre Träume nicht aufgeben wollte, nur, weil ihr Kind schwer krank und pflegebedürftig ist. Ich wollte festhalten und verändern. Sie haben mich nicht verstanden. Sie fanden mich falsch und wollten, dass ich mich mit Mutterliebe zufrieden gebe. Ich wollte mehr. Ich will immer noch mehr. Ich bin nicht nur das Eine. Wenn ich Missstände anspreche, dann will ich kein Momshaming, dann bin ich nicht überfordert. Dann sage ich einfach, was mich bewegt, was mir wichtig ist und welche gesellschaftlichen Ziele ich verfolge. Ich kann Mutter und Frau und pflegende Angehörige sein und trotzdem all das wollen: berufliche Anerkennung, intellektuelle Gespräche, Kunst und Kultur. Ich bin ein Frau, nicht nur eine Rolle. Ich bin kein Label. Ich bin ein Individuum, das Träume hat, ganz abgekoppelt von meinem Leben als pflegende Mutter, welches ich ziemlich gut im Griff habe. Denn nachdem ich mich wieder neu erschaffen habe, wusste ich eines: es ist mein Weg. Niemand kann mir vorschreiben, wie dieser als pflegende Mutter auszusehen hat. Ich kann ihn mir zumindest erträumen, denn umsetzbar ist er oft nicht – einfach weil die gesellschaftliche Perspektive fehlt. Denn wie soll man sich beruflich verwirklichen ohne Mittagsbetreuung, Ferienbetreuung und Fachkräftemangel?

Also pflege ich und träume und mache das beste daraus. Ich bin ein bisschen erwerbstätig, also bezahlt und pflege sehr viel mehr ehrenamtlich mein Kind. Davon kann ich nur leider nicht leben. Also bin ich dankbar, dass ich einen Mann habe, der für uns sorgt und das ist das 21. Jahrhundert und heute ist der feministische Kampftag oder der internationale Frauentag. Und ihr seht schon auf was das raus läuft: so wirklich viel weiter sind wir noch nicht, wenn man die Perspektiven von pflegenden Müttern einmal durchdenkt. Denn wenn es immer noch so ist, dass wir dankbar sein müssen, dass unsere Ehen nicht an der Situation zerbrechen, weil wir gesellschaftlich dann als pflegende Mütter keine Chance mehr haben, dann kann mir keiner sagen, dass wir hier viel geschafft haben. Ich bin keine Powerfrau, keine Supermom, keine Workingmom und keine pflegende Mutter. Ich bin eine (Ehe-)Frau mit Ambitionen, Träumen und auch eine Mutter.
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