Powerfrau, Supermom, Workingmom, pflegende Mutter – Gedanken zum Frauentag

by Simone

Ich bin eine Frau und ich bin eine pflegende Mutter. Meistens bin ich weniger Frau und mehr Mutter und ganz viel Pflege. Und es gibt Menschen, die finden, dass ich mich als Frau echt verändert habe in den letzen sieben Jahren, als ich Mutter wurde und dann auch noch pflegende Mutter. Ich wurde anstrengend. Vorher war ich angepasst und habe funktioniert. Ich hatte einen gesellschaftlich anerkannten Job, bin Akademikerin und einen intellektuellen Freundeskreis. Ich ging ins Theater, auf Reisen und diskutierte. Jetzt pflege ich. Frau bin ich immer noch. Aber ich stelle Ansprüche und Erwartungen, dass pflegende Mütter mehr Sichtbarkeit bekommen und mehr gesellschaftliche Anerkennung. Ich bin politisch geworden.

Jetzt finden Menschen mich unbequem. Sie nennen mich feministisch. Sie fragen, warum ich mich nicht einfach um mein Kind kümmere. Und, dass es doch normal ist, dass ich mein Kind pflege. Denn ich bin Mutter und Frau. Das sei doch meine Aufgabe. Warum regt es mich denn so auf, dass ich wegen der Pflege meines Kindes nicht mehr Vollzeit arbeiten gehen kann? Ich kann doch zufrieden sein. Ich habe einen Mann, der das Geld nach Hause bringt, der für uns da ist. Er sorgt für uns. Das ist doch gut. Und ich antworte trotzig: ich will aber arbeiten! Ich arbeite gerne und ich will mein eigenes Geld verdienen! Ich mag es, meinen Verstand zu beschäftigen. Ich gehe gerne arbeiten und ich will das selbst entscheiden dürfen. Und nicht fremdbestimmt werden, nur weil die Pflege meines Kindes so aufwendig ist, dass ich 4 Jahre nicht mehr arbeiten konnte, weil wir als Familie einfach überhaupt keine Unterstützung bekommen haben.

Andere haben entschieden, was gut ist für mich. Weil ich eine Frau bin. Weil ich Mutter bin. Für meinen Mann hat das keiner entschieden. Ich habe nach 3 Jahren Elternzeit meinen Job verloren, mir wurde ein Auflösungsvertrag auf den Tisch gelegt, weil mein Kind Pflegegrad 4 und 100 Prozent Schwerbehinderung hat. Meinem Mann hat keiner einen Auflösungsvertrag hingelegt. Zu ihm hat man gesagt, wie toll er das macht mit der weinenden Frau zauhause, dem kranken Kind und dem Beruf. Er war ein Held. Ich war ein Häufchen Elend. Man wollte mir weiß machen, dass ich überfordert wäre. Tatsache war: ich bin verdammt stark und war es zu jedem Zeitpunkt meiner pflegenden Elternschaft.

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Die Pflegebedürftigkeit meines Kindes hat mir meine Berufstätigkeit, meinen Traum von einer Karriere und meine Vorstellung von Mutterschaft geraubt. Nein, das stimmt so nicht: die Gesellschaft hat mich hängen lassen. Plötzlich war ich nicht mehr mitten drin. Eloquent, berufstätig und anerkannt. Plötzlich war ich eine Randgruppe. Eine pflegende Angehörige. Eine Frau die pflegt. 24/7. Warum sollte sie mehr wollen?

Ich musste mich neu erfinden. Ich ganz alleine. Ich bin aufgestanden und habe meine Einzelteile zusammengesucht. Habe mich Stück für Stück wieder zusammengesetzt. Sie haben mich Feministin genannt. Sie haben mich unbequem genannt. Ich war das alles nicht. Ich war eine Frau, die ihre Träume nicht aufgeben wollte, nur, weil ihr Kind schwer krank und pflegebedürftig ist. Ich wollte festhalten und verändern. Sie haben mich nicht verstanden. Sie fanden mich falsch und wollten, dass ich mich mit Mutterliebe zufrieden gebe. Ich wollte mehr. Ich will immer noch mehr. Ich bin nicht nur das Eine. Wenn ich Missstände anspreche, dann will ich kein Momshaming, dann bin ich nicht überfordert. Dann sage ich einfach, was mich bewegt, was mir wichtig ist und welche gesellschaftlichen Ziele ich verfolge. Ich kann Mutter und Frau und pflegende Angehörige sein und trotzdem all das wollen: berufliche Anerkennung, intellektuelle Gespräche, Kunst und Kultur. Ich bin ein Frau, nicht nur eine Rolle. Ich bin kein Label. Ich bin ein Individuum, das Träume hat, ganz abgekoppelt von meinem Leben als pflegende Mutter, welches ich ziemlich gut im Griff habe. Denn nachdem ich mich wieder neu erschaffen habe, wusste ich eines: es ist mein Weg. Niemand kann mir vorschreiben, wie dieser als pflegende Mutter auszusehen hat. Ich kann ihn mir zumindest erträumen, denn umsetzbar ist er oft nicht – einfach weil die gesellschaftliche Perspektive fehlt. Denn wie soll man sich beruflich verwirklichen ohne Mittagsbetreuung, Ferienbetreuung und Fachkräftemangel?

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Also pflege ich und träume und mache das beste daraus. Ich bin ein bisschen erwerbstätig, also bezahlt und pflege sehr viel mehr ehrenamtlich mein Kind. Davon kann ich nur leider nicht leben. Also bin ich dankbar, dass ich einen Mann habe, der für uns sorgt und das ist das 21. Jahrhundert und heute ist der feministische Kampftag oder der internationale Frauentag. Und ihr seht schon auf was das raus läuft: so wirklich viel weiter sind wir noch nicht, wenn man die Perspektiven von pflegenden Müttern einmal durchdenkt. Denn wenn es immer noch so ist, dass wir dankbar sein müssen, dass unsere Ehen nicht an der Situation zerbrechen, weil wir gesellschaftlich dann als pflegende Mütter keine Chance mehr haben, dann kann mir keiner sagen, dass wir hier viel geschafft haben. Ich bin keine Powerfrau, keine Supermom, keine Workingmom und keine pflegende Mutter. Ich bin eine (Ehe-)Frau mit Ambitionen, Träumen und auch eine Mutter.

13 Kommentare zu “Powerfrau, Supermom, Workingmom, pflegende Mutter – Gedanken zum Frauentag

  1. Ich würde gerne verstehen, worum es Dir in einem sehr konkreten Sinne geht, wenn Du davon schreibst, dass die Gesellschaft Dich hat hängen lassen – was wünschst Du Dir? Was brauchst Du, um gut leben zu können? Ich meine diese Frage ernst. Die Frustration kann ich sehr gut nachvollziehen – ich würde aber gerne wissen, was genau Deine Vision ist. Du schreibst davon, dass Du “ehrenamtlich” Dein Kind pflegst. Diese Formulierung finde ich irgendwie komisch. Müssen wir denn Beziehungen zu Menschen, die wir lieben, im arbeitsrechtlichen Sinne definieren? Ich habe zwei gesunde Söhne und bin dankbar dafür. Aber natürlich verläuft auch mein Leben sehr, sehr anders als das von kinderlosen Singles. Und jetzt? Ist meine Mutterschaft “Ehrenamt”? Vielleicht, in gewisser Weise, wenn ich meine Kinder als künftigen Beitrag zur Gesellschaft sehe – naja. Ich habe mich ja aber für das Muttersein entschieden. Dafür möchte ich Verantwortung übernehmen. Meine Freundin hat sich gegen das Muttersein entschieden. Sie wollte keine Mutter sein. Nun sind wir eben das, was wir sind: sie ist KEINE Mutter mit allen Konsequenzen, ich bin Mutter mit allen Konsequenzen. Was genau ist es, das die anderen für Dich tun können und sollen? Wäre es für Dich eine Option, dass Dein Kind ausser Haus gepflegt wird? Oder jemand zu Dir nach Hause kommt? Du schreibst von Mittagsbetreuung und Ferienbetreuung, das ist sehr klar und deutlich – das verstehe ich. Darüber hinaus aber bleibt mir manches verborgen – viel “ich will”, “ich möchte”, ich WILL Vollzeit arbeiten, ich WILL mich verwirklichen..puhh. Kann ich alles verstehen, wie gesagt, und JA, ich bin doch auch der Auffassung, dass es viele Menschen braucht, um Kinder großzuziehen, nur: bin ich jetzt mit Schuld an Deinem Karriereknick? Ich bin ja auch “Gesellschaft”. Deshalb, nochmal: wen brauchst Du im Boot, WER genau soll helfen? Und bitte keine abgedroschenen Allgemeinplätze: DIE Politik, DIE Gesellschaft. Das gibt’s nicht. Das sind wir alle. Ich würde es gerne verstehen und wissen, WAS ich, als Mutter von zwei gesunden Kindern tun kann, um Dich zu unterstützen, um das richtige zu tun, damit sich politisch etwas ändert… . Margie

    • Eine gute und sehr wichtige Frage. Danke dafür. Eine große Unterstützung ist, wenn Einzelpersonen und Nichtbetroffene sich in ihrem Umfeld für Inklusion engagieren und Kinder mit Behinderung aktiv mit einbinden, mitdenken. Wenn man pflegende Eltern aktiv unterstützt und sie sieht – denn in jeder Nachbarschaft gibt es sie. Meistens sind sie unsichtbar. Und genau bitte den Gedanken abschalten, dass für ein gutes Leben mein Kind nicht in ein Pflegeheim muss. Jeder Kindergarten sollte integrative Plätze anbieten. Viele Eltern wollen aber keine Kinder mit Behinderung in “ihrer” Grundschule oder “ihrem” Kindergarten. Hier fangen meine Probleme schon an. Von der ehrenamtlichen Pflege schreibe ich, weil das so ist. Wir Angehörigen pflegen unentgeltlich, bekommen aber auch keine staatlichen Betreuungsangebote, Förderschulen haben kaum Plätze. Zunächst einmal bin ich Mutter geworden. Die Herausforderungen einer Elternschaft kann man aber nicht mit der Pflege eines Kindes vergleichen. Also wenn wir Eltern (die Gesellschaft) mehr Integration zulassen würden, wenn Arbeitgeber (die Gesellschaft) pflegenden Eltern Wiedereinstiegsprogramme anbieten, wenn Freunde (die Gesellschaft) bei Anträgen, Einkäufen usw unterstützen, und der Staat (die Gesellschaft) adäquate Betreuung, Bildung und Pflege für Menschen mit Behinderung bietet, dann gibt es auch für mich die Möglichkeit ein normales Leben mit Berufstätigkeit, Urlaub und Elternschaft zu führen. Die Gesellschaft, das klingt für dich vielleicht abstrakt, aber das sind wir alle. Und Inklusion beginnt im Kopf. Eben da, wo du denkst, ich würde dir Schuld geben, sage ich nur, lasst uns mal gemeinsam darüber nachdenken, was jeder Einzelne von uns für Inklusion tun kann, denn das ist ein Menschenrecht und wir alle (also die Gesellschaft) sind eigentlich dazu verpflichtet Menschen mit Behinderung in unserer Mitte aufzunehmen. Würde das klappen, dann würdest du nicht denken, dass ich mich über einen “Karriereknick” beschwere, sondern genauso Geld verdienen muss, wie alle Eltern, um Leben zu können. Das hat wenig mit meiner Karriere zu tun, sondern mit einem Grundrecht und einer Grundpflicht. Oder?

      • VIelen Dank, Simone! Ja, stimmt – bei Grundrecht und Grundpflicht bin ich vollkommen d’accord. Ich denke zwar immer noch, dass der Bereich “Inklusion” sehr viel komplexer ist als das, was gemeinhin darunter verstanden wird und frage mich auch, ob “Integration” tatsächlich darüber zu erreichen ist, dass über den Kindergarten hinaus (wo es selbstverständlich sein sollte, dass Kinder aller Coleur zusammen spielen) möglich ist, unterschiedlichste Kinder gemeinsam zu beschulen (oder ob das zwingend notwendig oder überhaupt sinnvoll ist – manchmal ist es auch sinnvoll, Kinder nach ihren Begabungen zu unterrichten, finde ich: dafür gibt es ja auch unterschiedliche Schultypen und das kann auch eine Entlastung für Kinder sein) – aber ich sehe Deinen Punkt und JA, auf jeden Fall: es ist wichtig, dass sich auch Menschen, die selbst nicht in der pflegenden Rolle sind für Integration im weiteren Sinne einsetzen. Den Begriff “nicht-Betroffene” sollten wir vielleicht als erstes aus unseren Köpfen streichen, denn wenn wir uns als Gemeinschaft verstehen wollen, sind wir ja eigentlich alle “Betroffene” oder sollten uns betroffen fühlen. :-). Übrigens finde ich, dass zum Konzept der Integration auch alte, kranke und demente Menschen (wie meine Mutter) zählen sollten, denn ich finde es seit Jahren herzlos und diskriminierend, wie wir mit Menschen umgehen, die nicht (mehr) produktiv sind und die gnadenlos aussortiert werden. Weites Feld. Danke für Deinen Beitrag.

        • Liebe Margie, dazu kann ich nur sagen: Inklusion ist zwingend und immer sinnvoll. Ja. Das heißt nicht, dass Förderschulen nicht auch Sinn machen. Aber solange wir hier sprechen müssen, ob Kinder aufgrund ihrer “Begabungen”, wie du die Behinderung meines Kindes nennst, nicht besser woanders unter gebracht sind, haben wir noch einen weiten weg vor uns. Den Begriff Nicht-Betroffene sollten wir auch nicht streichen, denn jemand der nicht selbst pflegt, ist auch nicht betroffen. Das ist ein Fakt. Eine pflegende Elternschaft kann niemals mit einer herkömmlichen verglichen werden. In beide Richtungen nicht.

          • Mit Begabungen meinte ich die Möglichkeiten und Fähigkeiten aller Kinder, nicht nur die Deines eigenen Kindes. Auch ich muss mir überlegen, ob mein Kind besser auf einem Gymnasium, einer Realschule oder doch eher woanders beschult werden sollte: ich wollte damit sagen – nicht alle Schultypen passen zu allen Kindern. Mag sein, dass ich mit dieser Überlegung nicht Deinen Nerv treffe. Vielleicht interpretierst Du meine Worte anders, siehst mein Beispiel als Luxusproblem. Aber wenn Inklusion einfach nur bedeutet: alle Kinder zwingend in einer Klasse und in einer Schule zu beschulen finde ich: das ist zu kurz gegriffen. Kann man aber natürlich diskutieren. Auch finde ich schade, dass Du zwar zunächst die Betroffenheit und das Verantwortungsgefühl der Gesellschaft anmahnst, dann aber doch wieder den Begriff der Betroffenen als Alleinstellungsmerkmal für Dich in Anspruch nimmst. Klar können wir unsere Belastung nicht vergleichen, das wäre vermessen – ich habe ja aber von “Betroffenheit” im Sinne von “sich betroffen, sich verantwortlich” fühlen gesprochen. Ich dachte, dass Du genau dies möchtest: dass Menschen, die keine Kinder mit speziellen Bedarfen großziehen, weil sie deren Mamas oder Papas und deshalb direkt verantwortlich sind, sich nicht einfach davonstehlen, nach dem Motto: geht mich nichts an. Ich meine Deine Verwundbarkeit zu hören. Aber auch sehr viel Abwehr. Schwierig. Aber ein guter Denkanstoß.

          • Liebe Margie. Mein Kind ist zum Beispiel körperbehindert. Er hat genauso Begabungen wie Kinder ohne. Also wieso braucht er eine spezielle Schule für seine “Talente”? Das passt doch nicht zusammen. Ein Kind ohne Behinderung braucht doch auch keine spezielle Schule für seine “Begabung”, oder? Also sorry. Und nein. Nicht alle Schultypen passen zu allen Kindern. Aber man muss Kinder mit Behinderung nicht per se aufgrund einer Behinderung separieren. Sie sind Menschen, wie du und ich und gehören in die Mitte dieser Gesellschaft. Würdest du nicht wollen, wenn du erkrankst oder ein Familienmitglied einen Unfall hat, dass es dann weiterhin alle Möglichkeiten hat, um wieder teilhaben zu dürfen? Schon oder? Also was bitte soll denn dann für menschen mit Behinderung besser sein, wenn sie “unter sich bleiben”, hm? Sorry, not sorry. Und da reißt mir jetzt langsam der Geduldsfaden bei dieser Diskussion. Die ist so überflüssig. Inklusion ist ein Menschenrecht.

  2. Eigentlich ist eine Frau, die Mutter ist schon mehr als unterbezahlt und auch in punkto Rente wird das mit Brosamen abgespeist. Wenn man ihre Tätigkeiten der Reihe nach finanziell bewerten würde (von Putzfrau, über Köchin, über Lehrerin, Erzieherin usw.9 dann käme da sicher ein guter Monatslohn zusammen – und jetzt hier noch die die Pflege eines hilfsbedürftigen Kindes, einer der für die Gesellschaft wesentlichsten Berufe aber absolut beschämend unterbezahlt – Wow, das ist wahrhaftig eine Powerfrau – und dann möchte sie noch zusätzlich wieder ins Berufsleben, weil sie dort wenigstens anerkannt wird, das kann ich als Mann voll verstehen und bewundern. Dass Frauen für diese Arbeit dann auch noch in punkto Rente mit “Almöschen” abgespeist werden, ist für uns als Gesellschaft schon mehr als blamabel!
    Irgendwie ist unser System alles andere als sozial.

  3. Toll und wahrhaftig beschrieben! Danke dafür! Ich habe es zwar trotz der notwendigen Pflege geschafft, immer voll zu arbeiten, aber das ging auch nur mit Hilfe eines sehr einsatzbereiten Ehemannes und glücklicherweise erkämpfter Betreuungsstrukturen. Trotzdem blieb viel auf der Strecke und der Frust auf gesellschaftliche und behördliche Hindernisse wächst. Das macht auch mich ansonsten sehr tolerante Frau zur Unbequemen!

  4. Ja, es hat sich nichts geändert. Wer pflegt oder gepflegt werden muss und Hilfe braucht,
    muss oft dafür kämpfen, dass er /sie bekommt, was er/sie braucht.
    Aber was, wenn man damit Schwierigkeiten hat ? Das fängt für hörgeschädigte Personen schon damit an, dass es immer noch Behörden, Ärzte und Dienstleister gibt, die nicht bereit sind,
    auf eine e-mail zu antworten, sondern erwarten, dass das Anliegen per Telefon geklärt wird……am liebsten auch noch mit Anrufbeantworter “bei Anliegen A drücken Sie die 1 und bei Anliegen B drücken Sie die 2” und der hörgeschädigte Mensch versteht nur Bahnhof und gibt auf.
    Ausserdem ist man dann auf fremde Hilfe angewiesen und möchte doch lieber seine Sache schon aus Datenschutzgründen selbst erledigen, was durch oben genannte Schilderung natürlich verhindert wird. Weiß ich denn, ob der Nachbar, Kollege, Bekannte über diese Hilfe für mich dann auch wirklich schweigt ? Oder ob er nicht doch dazwischen grätscht und irgendwas falsch erzählt , was ich nicht hören kann ? Klar, die meisten Leute helfen gern und sind ehrlich, zumal wenn man sich länger kennt. Aber eine Garantie ist es nicht. Und es ist ja auch letztendlich eine Form von Demütigung, wenn man entgegen der vorhandenen technischen Möglichkeiten wieder mal auf anderer Leute Hilfe angewiesen ist.
    Richtig problematisch wird es, wenn ich als Pflegeperson von jetzt auf gleich aus den Latschen kippe und ins Krankenhaus muss. Dann findet sich meist keine Möglichkeit zur Unterbringung des pflegebedürftigen Partners ,weil die Einrichtungen selten Kurzzeitpflegeplätze vorhalten.
    Und wenn es welche gibt, muss man sie Monate im Voraus beantragen.
    Dadurch kann ich nicht mal eben an einem schönen WE – Seminar oder Treffen für Hörbehinderte teilnehmen ohne meinen Mann, weil zum Beispiel die Anreise mit Rollstuhl zu beschwerlich wäre oder das Quartier ungünstig liegt, zum Beispiel auf einem Berg.
    Die Angehörigen können und sollen nicht einspringen, weil sie ausgelastet sind.
    Die Freunde sind selbst schwer behindert.
    Also heisst es immer wieder anpassen und zurück stecken.
    Und da tut es dann sehr weh, wenn man auch noch von der Krankenkasse mancherlei Ablehnung erfährt für beantragte Hilfen. Klar, ich kann in Widerspruch gehen, aber ich habe dazu keine Kraft, mich länger auseinanderzusetzen. So, das soll als Kommentar genügen, denn es dürfte vielen anderen Betroffenen ähnlich gehen.
    Es ist darum gut, Menschen mit Behinderung zu kennen, wenn auch meist nur durch die Medien, die Vorbild sein können und wollen und durch ihre Aktivitäten all jenen eine Stimme geben, die verstummt sind.

  5. Es ist wahnsinnig toll beschrieben. Genauso ist es. Dankeschön für Deinen Artikel 🙂 Du schreibst mir aus dem Herzen.

  6. Huch, auch ich pflege und bin sicherlich viel älter. Aber die Problematik ist die gleiche. Auch ich werde und wurde als schwierig angesehen. Meine Kinder (ich pflege 2) sind längst erwachsen und wohnen bei mir. Jetzt suche ich Hilfe zur Selbsthilfe, denn meine Zeit ist endlich. Zukunftsangst macht sich breit. Was ist, wenn ich nicht mehr kann? Wo bleibe ich? Wo gibt es eine gute Wohnmöglichkeit für meine Kinder?
    Okay, das gehört nicht in den Kommentar – nur soviel, dass sich in der Pflege in all den langen Jahren nichts geändert hat. Es machen meistens immer noch die Mütter. Leider!

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