Buchvorstellung: Annas Buch “WIR – Geschichten aus dem Alltag mit behinderten Kindern” – Ein Blick hinter die Kulissen.

by Anna

Vor ziemlich genau zwei Jahren schrieb mir Marsha Richarz eine E-Mail. Sie bot mir einen Buchvertrag in ihrem soon-to-be Verlag an.

„Er wird Brimborium Verlag heißen, eben weil wir ein großes Brimborium um gesellschaftliche Themen machen wollen. Aus mehreren Gründen kam mir die Idee mit dem Verlag: Ich möchte Geschichten veröffentlichen, die nicht unbedingt die breite normative Masse darstellen, es gibt genug Storys von weißen cis-Männern. Die neue Perspektiven eröffnen. Intersektionale feministische, politische Bücher. Dazu möchte ich perspektivisch auch inklusive Arbeitsstellen schaffen (da in Deutschland nach der Schule leider meistens Schluss ist mit Inklusion), bspw. im Vertrieb, aber auch in der Herstellung von Produkten (Postkarten, Magazine etc.) als Kunstschaffende. Ich habe ein  Team aus engagierten Leuten, die sich mit Lektorat, Layout und Öffentlichkeitsarbeit auskennen. Das ist so die Kurzform zu unseren Werten.“

Ein paar Tage zuvor hatte ich folgenden Instagram-Post veröffentlicht. Natürlich in der leisen Hoffnung, dass sich vielleicht ein Verlag bei mir meldet und mich als Newcomerin unter Vertrag nehmen würde. Aber falls nicht, bliebe es eben eine Hoffnung.

Was soll ich sagen, zwei Jahre später, zackzack, ist mein Buch draußen. Naja, ok, nicht so ganz zackzack. Als Marshas E-Mail rein kam, hatte ich das erste Kapitel „Drinnen, draußen“ schon geschrieben und wollte auf jeden Fall damit weiter machen. Es fühlte sich richtig und gut an, meine Gedanken und unsere Erfahrungen einmal richtig aufzuschreiben und sie nicht ins Internet zu pusten, wo sie zwischen all dem anderen Internetzeug vielleicht untergingen. Als Marsha mir eine Deadline im Juli 2022 gab, dachte ich erst, uff, das ist ja noch ewig hin, bis dahin hab ich das Buch ja schon drei Mal geschrieben. Spoiler: hatte ich nicht, ich hab sogar zwei Wochen überzogen. Ich hab natürlich auch darauf vertraut, dass Marsha sich auskennt und das viel besser einschätzen konnte als ich, zudem waren die Plätze für Veröffentlichungen im Verlag für 2021 schon vergeben. Mittlerweile weiß ich, dass ein Buch eine unglaublich lange Vorlaufzeit hat und zwei Jahre tatsächlich nicht außergewöhnlich lang sind. Gleichzeitig schien Marsha auch ein gutes Gefühl dafür zu haben, dass ich diese Zeit brauchen würde. Immerhin war Maya erst 6 Monate alt und wir steckten mitten in einer Pandemie und ich war schon fast ein ganzes Jahr lang depressiv und hatte entsprechend Medikamente genommen und war eigentlich durchaus schon gut beschäftigt mit unseren drei Kindern.

„Mehr Eisen, Sonne, Urlaub haben nicht geholfen, ich ging mit noch größerem Bauch, noch weniger Schlaf, noch weniger Kilos in den Herbst [2020]. Ich aß nur noch ein- bis zweimal Mal am Tag, tendenziell eher einmal. Und wenn ich doch mal wieder ein Lieblingsessen aß, auf das ich mich tagelang gefreut hatte, das wir bestellten oder sogar selbst zubereiteten, dann machte es nichts mit mir, nichts machte mehr Spaß, richtig schöne Gefühle hatten es immer schwerer, zu mir durchzudringen. Ich nahm mehrere Kilo ab, Schlaf war immer noch nicht wieder meine Freundin, dann kamen die Panikattacken.“ (aus dem Kapitel Die Tablette gegen’s traurig sein)

Wenn meine Leser*innen mir Feedback geben, (vor allem die, die selber pflegen) kommt immer wieder die Frage: „Wann hast du dieses Buch geschrieben?“ Und  meine Antwort ist immer: „Nebenher.“ Nebenher, während meine Tochter auf der Decke lag und vor sich hin geguckt hat. Nebenher, während sie Mittagschlaf gemacht hat. Nebenher, während ich bei der Logopädie auf Lukas gewartet hab. Nebenher, wenn Sonntags alle noch um 6 Uhr morgens geschlafen haben. Nebenher, wenn ich am selben Sonntag um 6:15 Uhr mit Simon Legoteile auf dem Boden gesucht hab. Während für mich selber dieses Nebenher meine Arbeit abwertete, weil ich ja nicht wie andere Autor*innen meine ganze Konzentration über einige, dafür nicht so lange Monate darauf verwenden konnte, fanden viele es unglaublich, dass es mir überhaupt gelingen konnte. Wie ich es geschafft hab, all das zusammen zu tragen zu einem Ganzen. Wie ich es geschafft hab, aus meinen Erinnerungen Geschichten zu formen. Geschichten, in denen sich andere wieder finden konnten. Und die gleichzeitig auch diejenigen erreichen, die nicht so leben wie wir.

„Dieses Buch habe ich auch für all die Eltern,  Familien und auch kinderlose Menschen geschrieben, die nicht so sind wie wir. Deren Kinder ohne Behinderungen aufwachsen, die irgendwann einfach so aus der Tür raus gehen, die nur eine Anmeldung für den Schulbesuch brauchen, die gar nicht wissen, was ein SPZ ist. Für diese Menschen habe ich meine und unsere Geschichten aufgeschrieben. Um mit ihnen zusammen eine neue Generation voller Verständnis und Mitgefühl aufzubauen. Nicht voller Mitleid und Dankbarkeit, dass es bei ihnen nicht so ist. Sondern mit dem Wissen, dass es Unsichtbares in anderen Familien gibt und dass wir uns mit viel Klarheit und Offenheit begegnen müssen.“ (Einleitung)

Schreiben ist ganz schön einsam, musste ich feststellen. Nur mein Mann hat ab und zu Korrektur gelesen. Natürlich auch, weil er selber Teil der Geschichten ist. Ansonsten lief alles zwischen mir und meinem Laptop ab, zwischendurch gab es noch Kontakt zu Marsha. Manchmal lief es richtig gut, manchmal eher schleppend. Im Nachhinein erklärt sich dadurch auch, warum es in den Weihnachtsferien 2021/22 so furchtbar anstrengend daheim war. Mein Kopf war ja immer ein bisschen beim Buch, bei der nächsten Deadline, bei der nächsten Formulierung, immer am Überlegen, ob die Szene, die sich gerade ereignet hat, ins Buch passt. Gleichzeitig waren unsere Kinder eben unsere Kinder mit allem, was sie mitbringen an Persönlichkeit und Rahmenbedingungen.

„Simon ist seit Tagen im Overload, der durch nicht sichtbare oder scheinbar kleine Dinge in einen sich schnell aufbauenden Meltdown übergeht. Es ist einer von denen, die den ganzen Tag über eher leise, aber andauernd sind und dann nach dem Essen oder kurz vor dem Ins-Bett-gehen raus brechen. Lautes Lachen, ständiges Wiederholen von Wörtern oder Begriffen oder scheinbar wahllos gewählten Lauten, spucken, kneifen, beißen, hauen, weinen, das direkt hinter der Oberfläche wartet und durch die kleinste Berührung oder ein falsches Wort rausbricht (Rw). Diese Art Overload ist ein Dauerzustand, der durch Dauerüberreizung verursacht wird. Dauerüberreizungen können ungewohnte Umstände, ständige Veränderungen über einen längeren Zeitraum wie Umzug oder Urlaub sein. Oder, so wie jetzt gerade im Winter 2021, die Vorweihnachtszeit. Was für viele die schönste Zeit im Jahr ist, sind für Simon sechs Wochen lang einfach heftigste Reize aneinandergereiht.“ (Kapitel Oh du fröhliche Überreizung)

Als dann der Veröffentlichungstermin nahte, hatte ich gedanklich schon fast abgeschlossen mit dem Projekt Buch, dabei ging es jetzt ja erst so richtig los. Um ehrlich zu sein, war ich ziemlich überwältigt, auch mit der Resonanz und den verschiedenen Reaktionen darauf. Auf der einen Seite fand ich es nicht erwähnenswert, auf der anderen wollte ich gern, dass bestimmte Menschen in meinem Umfeld sich dazu äußern. Vielleicht hätte ich als Thema für mein erstes Buch nicht mein eigenes Leben wählen sollen, dann wäre es einfacher.

Die Überwältigung nimmt jetzt vier Wochen nach Vorverkaufsbeginn und zwei Wochen nach Veröffentlichung langsam ab. Mein Kopf und mein Herz rasen nicht mehr andauernd, ich schlafe zwischendurch auch mal wieder besser. Aber das ist echt eine Sache, mit der ich nicht gerechnet hatte. Dass mich alles rund um dieses Buch so sehr mit nimmt. Da ist es schön, dass Menschen mir schreiben, wie sehr sie meine Worte berührt haben, dass sie einzelne Kapitel nebenher beim Kind sondieren oder Kind baden lesen, dass sie sich gesehen fühlen.

Schaut gern mal auf unserem Instagram-Kanal rein, da könnt ihr heute ein Exemplar meines Buches gewinnen.

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