Masking als pflegende Mutter

Pflegende Eltern sind genauso individuell und divers wie alle anderen Eltern auch. Eine Konstellation, der wir heute mit einem Gastartikel Raum geben wollen, ist die behinderte pflegende Mutter. Genauer gesagt, die autistische pflegende Mutter. A. gibt uns einen Einblick in etwas, das “Maskieren” genannt wird.

Niemals hätte ich gedacht, wie viel medizinisches Fachwissen ich als pflegende Mutter mitbringen muss, um meinen Kindern eine gute Grundversorgung zu garantieren. Niemals hätte ich aber auch erwartet, wie wenig ich wissen darf, um mich nicht verdächtig zu machen. Ich habe nicht vergessen, wie ich als Achtjährige verschnupft beim Kinderarzt saß und skeptisch das Nasenspray Rezept über die Tischplatte beäugte. “Das mit Xylometazolinhydrochlorid brauche ich, das andere hilft nix!”


Der Kinderarzt warf mir einen irritierten Blick zu und sagte nichts weiter. Ich war eine seltsam Achtjährige. Und jetzt bin ich eine seltsame Dreißigjährige. Mein autistisches Spezialinteresse für
Medizin und Pharmakologie hat mir schon mal das Leben gerettet, meine Merkfähigkeit für alle möglichen Syndrome und Laborwerte habe ich schließlich gut gebrauchen können, um mich zu versichern, dass meine erste Tochter nicht nur ein Schreibaby war, sondern schwer krank.


Im Laufe der Zeit habe ich aber auch gelernt, dass ich Menschen dadurch suspekt bin. Manchmal ist es nur eine Ahnung. Ich sitze im Krankenhaus und bespreche einen Befund und merke dann, mein internes Kontrollprogramm geht an. Ich maskiere meine eigenen Kenntnisse. Manchmal streue ich bewusst Aussagen ein wie “ich habe nur mal gehört dass….”, obwohl ich etwas sicher weiß. Manchmal benutze ich in Praxen bewusst umgangssprachliche Begriffe anstatt den korrekten Ausdruck, um nicht seltsam zu wirken.
Der medizinische Betrieb reflektiert wie jeder andere öffentliche Bereich auch Machtverhältnisse und ist anfällig für strukturelle Diskriminierung. Die Grenze zwischen Patient*innen und Ärzt*innen ist auch ein Kristallisationspunkt dieser Machtverhältnisse. Der autoritäre und pathologisierende Umgang der Psychiatrie mit Autismus prägt bis heute viele Ärzt*innen im Umgang mit autistischen Müttern.


Ich habe gelernt nur die Spezialinteressen zu zeigen, die nicht mit dem traditionellen Bild der fürsorglichen, aber immer nur mittelmäßig gebildeten Mutter konkurrieren. Ich habe gelernt subtil Diagnostik und Hilfsmittel einzufordern, wie eine Ehefrau der 1960er das Haushaltsgeld. Nicht zufällig hängen Ableismus und Sexismus zusammen. Das “Kühlschrankmutter” Stereotyp wird mir als autistischer Mutter gefährlich, während mein Mann wohlwollend “sachlich” und “etwas verschroben” gelesen wird. Oder er wird im Zweifel einfach ignoriert – es gibt ja schließlich noch die Mutter. Nicht jede Praxis ist ein Safespace.


Meine Realität ist, oft gibt es keinen Platz für autistische Kommunikation in solchen Räumen. Wissen eignet man sich im geordneten Rahmen eines Studiums an, ansonsten handelt es sich um ein Hobby, das nicht allzu bedrückend oder langweilig sein sollte, so suggeriert es mir die Gesellschaft. Aber so funktioniert mein Kopf nicht. So linear verlief mein Leben nicht. In meinem Kopf leben mietfrei sächsische Bauordnungen neben der Leitlinie zur Behandlung Vitamin D resistenter Rachitis und der modischen Entwicklung der Nürnberger Tracht des 16. Jahrhunderts. Was mich interessiert verschwindet nie wieder, und eine Art meine Kinder zu lieben ist auch Wissen zu sammeln, über ihre Interessen und Eigenarten und eben auch ihre Behinderungen und Erkrankungen. Maskieren ist für mich als autistische Mutter autistischer Kinder ein Automatismus, um sie und mich zu schützen und gleichzeitig ein Dilemma – denn nichts wünsche ich mir mehr für meine Kinder, als dass sie sich trauen können offen zu kommunizieren wie sie sind. Trotzdem lächele ich in Arztgesprächen aktiv mehr, baue Blickkontakt auf, wähle ein Outfit, das irgendwo zwischen bedürfnisorientiert erziehender Mutti im Waldkindergarten und bürotauglich liegt. Nur nichts riskieren.


Manchmal wird es für uns sogar gefährlich. Als ich beim Notfall-Kinderarzt zu hören bekam, dass ich mich vielleicht nicht so auf etwas “fixieren” soll, Mütter lesen ja viel zu viel im Internet. Warum ich meinen Kopf mit Laborwerten voll mache, wenn das Kind doch einfach nur einen Infekt ausbrütet, warum ich ihn als Laie eine Blutabnahme einreden will. Eine Woche später war klar, da waren die Blutwerte schon wieder gefährlich schlecht gewesen. Ich kenne viele Eltern, die ihren Autismus verheimlichen, um nicht (noch mehr) diskriminiert zu werden. Das raubt Energie und trifft insbesondere pflegende Eltern besonders hart. Nicht nur weil durch schwer zugängliche Unterstützung im Alltag und starker körperlicher und seelischerBelastung die Batterien ohnehin schnell leer sind, sondern auch weil behinderten Eltern noch weniger zugetraut wird, den Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu werden und daher die Hemmschwelle, eigene Bedürfnisse zu formulieren und Hilfebedarf anzumelden noch höher sein kann.
Glücklicherweise haben wir ein kleines Netzwerk an Therapeut*innen, die uns ohne diese Vorurteile akzeptieren und unsere Art zu sein auch als Ressource für die Gesundheit unserer Kinder betrachten. Ich wünsche mir sehr, dass Kommunikation zum Wohl unserer Kinder kein Drahtseilakt sein muss. Dass wir endlich alle ein Team sein können.


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Kommentare

2 Antworten zu „Masking als pflegende Mutter“

  1. Joona

    Liebe fremde und doch so vertraut wirkende Mama,

    mir liefen die Tränen, als ich Deinen Artikel gelesen habe.
    Es ist, als ob Du mich beschreibst. Auch ich bin eine autistische Mama mit autistischen Kindern. Zwei davon pflege ich seit über 10 Jahren . Eines meiner Spezialinteressen ist die Medizin. Ich habe den Pschyrembel bereits als Teenager als Bettlektüre verschlungen. Ebenso wie Du habe ich gelernt mich und mein medizinisches Wissen zu maskieren und in den verschiedensten Arztterminen, bzw. stationären Aufenthalten schlichtweg dumm zu stellen. Bloß nicht auffallen. Den ärztlichen Vorwurf, ich sei “überinformiert” und ob bei mir nicht der Verdacht des Münchhausen-Syndroms bestünde, musste ich mir schon anhören. Dabei hat mein Wissen und mein Gedächtnis unsere schwer mehrfachbehinderte Tochter bereits vor dem Tod gerettet.
    So lasse ich meinen Asperger vor der Arztpraxis, bzw. Krankenhauspforte stehen.

    Ich danke Dir sehr für Deine ehrlichen, schonungslosen Worte.

    Joona

  2. Brenda

    Danke für diesen wertvollen Einblick

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