Die unerwünschten Geschenke

by Bárbara Zimmermann

Es ist immer das Gleiche: Wenn wir als Familie mit unserer behinderten Tochter unterwegs sind, bekommen wir unterschiedliche Reaktionen von anderen Menschen wie auf einem Tablett serviert. Es können starrende Blicke sein, Fragen zu ihrer Behinderung – „Was hat sie denn?“ -, ungefragte Therapievorschläge, und – der Hit! (Ironie) – Geschenke von fremden Menschen.

Hier eine nicht vollständige Liste von solchen Geschenken: einen Schutzengel auf einem Straßenfest von einem Mann bekommen, zwei Euro von einer älteren Dame am Supermarkt – „Kauf dir was Schönes, meine Süße!“ und kneift ihr an die Backe dabei -, Luftballons von Clowns am Spielplatz – obwohl sie damals große Angst von ihnen hatte – und neulich eine Kette im Wert von 15€ von einem Mann der Schmuck in Hannover Innenstadt verkaufte.

Das ist alles lieb gemeint. Diese Menschen wollen meinem Kind etwas Gutes tun, ihm etwas schenken, eine Freude machen. An sich kein Problem, oder? Leider doch.

Problem #1

Ich habe drei Kinder, nur eines meiner drei Kinder bekommt diese Art von Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Oft sind die Schwestern mit dabei und beobachten die Situation, wie ihre jüngere Schwester im Rollstuhl diese interessierte Zuwendung Fremder bekommt, ganz genau. Nicht selten kommt meine mittlere Tochter direkt danach zu mir oder zu meinem Mann und will wissen, warum nur ihre jüngere Schwester ein Geschenk bekam und sie nicht. Ufff wie ich solche Situationen liebe! (wieder ironisch gemeint)

Problem #2

In dieser Haltung steckt die Idee – bewusst oder unbewusst –, dass das Leben eines Kindes mit Behinderung sicherlich nicht gut ist oder zumindest nicht genauso gut wie das Leben eines Kindes ohne Behinderung. Wir leben in einer Gesellschaft, wo das Bild von Behinderung mit Leid und Schmerzen verbunden ist. Und Kindheit soll mit Glück und Lebensfreude verbunden sein. Wer Kinder hat, welche kennt oder schon mal welche begegnet ist, weiß sicherlich, dass Kinder mal glücklich sind, mal anhänglich, mal trotzig, mal freudig, mal traurig oder wütend – manchmal das alles innerhalb eines halben Tages. Mit einem behinderten Kind ist das nicht anders, das kann ich euch versichern! Sie sind auch Menschen – so absurd es für mich ist, diesen Satz zu schreiben, so notwendig ist es manchmal das wortwörtlich zu formulieren. Was zu einer glücklichen Kindheit meiner Tochter real beitragen könnte, wären z.B. Spielplätze wo sie wirklich mitspielen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv sein kann. Spielplätze, auf denen sie nicht nur zugucken kann, auf denen sie nicht den Sandkasten als einzige Option hat, hier aber nicht selbstständig vom Rollstuhl runter- und hochkommt und dieses irgendwann nicht mehr attraktiv findet.

Es ist für mich als Mutter nicht leicht diese Situationen mit den gut gemeinten Geschenken zu erleben, denn ich diese nicht ausgesprochene Gewalt scharf erkennen kann. Ich sehe allerdings auch, wie sich mein Kind freut, die glitzernde Kette zu bekommen oder stolz mit „ihrem Geld“ durch den Supermarkt zu schlendern und sich aussuchen darf, was sie will. Zumindest glaubt sie dies, d.h. wieder eine Situation die ich begleiten muss. Ihr könnt euch vorstellen, wie ich so etwas liebe (schon wieder ironisch gemeint).

Wäre ich ganz ehrlich, würde ich der Person gerne sagen: „Vielen Dank für die Geste. Es ist sehr nett gemeint von Ihnen, aber das brauchen wir nicht. Und das was Sie machen ist eine Grenzüberschreitung oder oder oder“. Das tue ich aber nicht, sonst hätte ich zwei Menschen vor mir, die ich emotional auffangen müsste: meine fünfjährige Tochter und die erwachsene Person, die sich angegriffen fühlen und sehr wahrscheinlich meinen Punkt nicht verstehen würde. Und ganz ehrlich: ich habe nicht immer Bock und Zeit anderen Menschen die Welt zu erklären. Also lächle ich oberflächlich, atme innerlich mehrmals ein und aus und bedanke mich für eine Sache, die ich eigentlich nicht haben wollte.

Problem #3

Und da ist ein letzter Aspekt, der mich auch tief bewegt: Meine beiden älteren Kinder sind Zeuginnen von diesen ableistischen Gesten. Sie bekommen direkt vor Augen serviert, dass ihre Schwester anders ist als sie – anders hier im negativen Sinn – und dass sie Mitleid erfahren muss, einfach weil sie ist, wie sie ist. Wenn diese Situationen beginnen, führe ich mir vor Augen, dass wir danach reden werden müssen und ich dann ihnen die Welt anders erklären muss.

Es ist an der Zeit, dass wir als Gesellschaft, als erwachsene Individuen uns unserer Vorurteile bewusst werden, insbesondere über Menschen die anders sind als die Normgesellschaft – so eine Lüge dieser Begriff!

Das sollte auch unsere Verantwortung sein. Für uns und für die neuen Generationen.

3 Kommentare zu “Die unerwünschten Geschenke

  1. Danke für diesen Bericht.
    Mir fällt es gerade wie Schuppen von den Augen!
    Ich habe auch ein behindertes Kind, ein Mädchen mit Down Syndrom. Und jahrelang bin ich durch die Welt gelaufen und war überzeugt, die Leute gucken mein Kind an, weil es so bezaubernd und so süß ist. So bezaubernd und süß, wie ich es eben auch finde! Irgendwann habe ich verstanden, dass sie gucken, weil mein Mädchen ANDERS aussieht als alle anderen.
    Und ja, auch “wir” bekommen ständig Geschenke. Nachdem ich Deinen Bericht gelesen habe, verstehe ich: Es sind Entschädigungen. Dafür, dass meine Tochter behindert ist. Die Leute sehen den Schaden, sie sehen, dass mein Kind “nicht normal” ist. Und sie wollen mir, uns etwas schenken, damit DAS wieder gut gemacht wird.
    Ich wünsche mir so sehr – für alle! – dass diese Gesellschaft sich ändert!

    Herzliche Grüße, Ella

  2. Wunderbar und zumutbar:”Vielen Dank für die Geste. Es ist sehr nett gemeint von Ihnen, aber das brauchen wir nicht. Und das was Sie machen ist eine Grenzüberschreitung bitte nehmen Sie meine Tochter als Kind wahr, mit all sei en menschlichen facetten.” #makeachange

  3. Doch, ich glaube genau das wär’s : freundlich, aber bestimmt zu erklären, warum du diese Geschenke nicht willst!
    Und ich glaube, tatsächlich würden es nahezu alle Schenkenden verstehen, wenn im ersten Impuls vielleicht auch Kränkung oder gar Empörung über deine Ablehnung überwiegen würde. Einige würden es vielleicht auch Familie und Freunden erzählen, wie ablehnend die Mutter doch auf ihre liebe Geste reagierte und wären dann mit einer Reaktion konfrontiert, die deiner Haltung zustimmt.
    Ich denke, es würde den meisten – etwas zeitverzögert – wie Schuppen von den Augen fallen, was an ihrem gutgemeinten, aber nicht gut überlegten Verhalten alles wirklich problematisch ist.

    Das ist von mir jetzt natürlich nicht als Appell an dich gedacht, hier Aufklärung betreiben zu sollen, dass es dir dafür an Zeit und Lust mangelt, kann ich sehr gut verstehen !!

    LG Barbara !

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