Die unerwünschte Gästin

by Bárbara Zimmermann

Sie kam wieder, diese unerwünschte Gästin! Und so nach ihrer Art, kommt sie immer ohne irgendein Anzeichen zu geben – und das hasse ich an ihr! Es gibt keine Vorbereitung, keine Absprache. Egal ob kurz vor dem Einschlafen im Bett, beim Geschichtehören am Nachmittag oder mit den Geschwistern im Zimmer, sie kommt, wann sie will. Zum Glück bleibt sie nicht lange, aber die wenigen Sekunden oder Minuten von ihrer Präsenz bringen einiges durcheinander im geplanten Alltag und vor allem das Gefühl, dass unser Leben ein bisschen normaler geworden ist – oder eben nicht? Fuck Epilepsie!

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»Behindert und Stolz«. Das neue Buch von Luisa L´Audace

by Bárbara Zimmermann

“Ich finde die Frage nach sichtbaren Fortschritten in Bezug auf Inklusion ist immer sehr schwer zu beantworten, denn: Woran messen wir das? Wenn wir es daran messen, wie viele behinderte Menschen uns im Alltag begegnen können, dann sieht der jetzige Stand miserabel aus und so ist leider auch mein genereller Eindruck. Während wir immer noch um so fundamentale Rechte kämpfen müssen, behinderte Menschen immer noch aufgrund von Ableismus sterben und von Armut und Gewalt bedroht sind, fällt es mir also schwer, bereits von einem Fortschritt zu sprechen. Wenn wir uns allerdings mal nur auf die Popularität des Begriffs Ableismus beziehen, merke ich schon einen Unterschied.” – Luisa L´Audace

Es gibt viele wichtige Stimmen in der deutschen Behindertenbewegung. Die von Luisa L`Audace ist eine von ihnen. Luisa ist eine behinderte und queere Aktivistin sowie Beraterin für Inklusion und Antidiskriminierung. Durch ihre Aufklärungsarbeit, die größtenteils auf Social Media stattfindet, hat sie maßgeblich dazu beigetragen, dass sich der Begriff »Ableismus« auch in der deutschen Sprache immer mehr etablierte.

Heute am 03.12, der internationale Tag der Menschen mit Behinderung, erscheint Luisas großartiges und wichtiges Buch »Behindert und stolz. Warum meine Identität politisch ist und Ableismus uns alle etwas angeht«. Mit ihrem Buch möchte Luisa L´Audace die diskriminierenden und unterdrückenden Strukturen durchdringen und sie Leser*innen verständlich machen. Ein Buch für alle, die in unserem ableistischen System nicht mitgedacht werden und für diejenigen, die mutig genug sind, ihre eigenen Denkmuster zu hinterfragen und dadurch eine inklusivere Gesellschaft zu schaffen.

Wir vom Kaiserinnenreich sind sehr froh heute, am internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, einigen Fragen aus ihrem Interview mit dem Verlag Eden Books sowie einen Auszug aus ihrem Buch hier mit euch teilen zu dürfen.

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Solo für Phyllis

by Bárbara Zimmermann

Wir lieben Bücher! Deswegen wollen wir euch in den nächsten Wochen einige tolle Bücher vorstellen, die uns besonders wichtig sind. Es werden Bücher für alle Altersgruppen geben und in verschiedenen Stylen: Kinderbücher, Lyrik, Erzählung, Comics…

Ich, Bárbara, fange mit „Solo für Phyllis“ von Christoph Danne an.

Was für ein Tauchgang ist dieses Buch, vor allem in unserem oft hektischen Alltag wo der Muskel aus der Brust oft hypotonisch wird und wir den Zauber in der Simplizität viel zu selten wahrnehmen. Christoph führt uns mit großer Zärtlichkeit in die kleinen Details und starken Gefühlen der großen Stunden, die viele von uns hier auf Kaiserinnenreich auch gut kennen, wenn wir erfahren, dass unser Kind mit einer Behinderung leben wird. Er und seine Partnerin erfahren in der Schwangerschaft, dass ihr Baby mit einem Herzfehler geboren und mit einer geistigen Behinderung leben wird.

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Es wird dir nichts geschenkt

by Bárbara Zimmermann

Seit einigen Monaten ist es nicht mehr der Wecker, der mich morgens aufweckt, sondern meine Älteste (11) oder Mittlere (7) Kind. Sie werden vor mir und meinem Mann wach, stehen mit ihren schönen verschlafenden Blicken an unserer Bettkante und müssen nicht selten zwei Mal sagen: Kommt ihr, steht auf! Die Müdigkeit drückt noch stark auf meine Knochen nach den Anstrengungen von den letzten Monaten.

Ohne eine andere Chance zu haben, stehen wir auf. Noch ein Tag geht los! Ich mache mich fertig und gehe zur Küche. Mal mache ich die Musik an, mal nicht. Zurzeit werden Gal Costa, meine unsterbliche Königin der brasilianischen Musik, und Yamandú Costa zusammen mit Bala Desejo immer wieder hintereinander gehört. Ich liebe die brasilianische Musik seit der ersten Stunde des Tages. Aber zurück zu meiner Routine: Brotdosen packen ist mein Job, während mein Mann bei unserer jüngsten Tochter (4) ist. Die beiden Großen brauchen keine Unterstützung mehr mit Anziehen und im Bad.

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Über Pflegen, Mutterschaft, Sex und die Frau, die ich auch noch bin

by Bárbara Zimmermann

Ich wollte einfach nach Hause. Mein Körper wollte angefasst und geliebt werden, gerettet von der ernüchternden Routine einer pflegenden Mutter* im Krankenhaus. So fühlte ich mich im Frühling, als ich für eine Woche mit meinem Kind stationär war.

Es wird momentan viel (aber längst noch nicht genug) über Mutterideale gesprochen und geschrieben. Aber wie zeigen sich diese gesellschaftlichen Erwartungen gegenüber pflegenden Müttern? Was wird von uns erwartet, während wir z.B. stationär unsere Kinder im Krankenhaus begleiten? Darf eine pflegende Mutter etwas komplett anders machen wollen, als nur in der Exklusivität für das Kind zu sein? Wie viel darf es von dieser Frau jenseits der Rolle der pflegenden Mutter geben, während sie pflegt, liebt und begleitet?

Was, wenn sie schnell aus dem Krankenhaus und zurück nach Hause gehen will, weil sie Lust auf Sex hat? Oder darf sie nur zurück zu ihren anderen Kindern wollen, die seit einigen Tagen oder Wochen ohne sie sind? Sie vermisst bestimmt die Kinder, ja, aber was wenn nicht nur? Vielleicht vermisst sie auch den Sex, ihr Bett mit ihre*m Partner*in. „Mütter sind sexuelle Mischwesen – auf der einen Seite werden sie übersexualisiert, Stichwort Milf, auf der anderen Seite am liebsten als heilige asexuelle, treusorgende Mütter gesehen“, schreibt Mareice Kaiser in Das Unwohlsein der modernen Mutter.

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Mit voller Wucht

by Bárbara Zimmermann

Ich wollte schreiben, wie gut wir es hier im neuen Haus haben, aber wo bleibt die Zeit dafür? Ich wollte auch schreiben, wie viel besser wir es im neuen Haus haben, seitdem wir nach zehn Tagen hier nicht mehr draußen am Gaskocher, mit dem Grill oder mit der ausgeliehenen Herdplatte kochen und in der Waschküche spülen müssen. Die Arbeitsplatte wurde geliefert, Herd und Spüle wurden installiert and I love it! Jetzt kann ich sagen, dass wir eine Küche haben.

Ich wollte auch schreiben, wie dankbar ich für die enorme Unterstützung von meiner Mutter bin, die zusammen mit meiner Oma seit zweieinhalb Monaten bei uns ist, aber wo bleibt die Zeit dafür? Ich wollte auch schreiben, dass ich langsam wieder meinen Arbeitstisch haben will, der im Arbeits- und Gästezimmer steht, wo meine Oma schläft. In der Küche zu promovieren ist die jetzige Lösung. Um meinen Schreibtisch wieder haben zu können, müssen aber meine Oma und meine Mutter uns Tschüss sagen und zurück nach Brasilien fliegen. Und das macht uns alle traurig, gehört aber dazu für uns Migrant*innen. Saudade gehört zu unserer alltäglichen Palette von Gefühlen.

Ich wollte auch von dem Tag schreiben, an dem ich so unendlich müde nach dem langen Termin mit Zoe im Sanitätshaus war. Von der Autofahrt, der Odyssee, um die benötigten sechs Rezepte und eine Überweisung zu bekommen, die ich für sie für diesen Monat brauche. Es war ein solcher Tage, für den man drei Tage gebraucht hätte. Dazu habe ich noch meine Menstruation bekommen. Und als Krönung des Tages eine Situation mit Zoe, die mich tief berührt hat. Dafür nehme ich mir jetzt endlich die Zeit zum Schreiben:

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“Du musst aber verstehen, dass…”

by Bárbara Zimmermann

Dieser Satz! Ich kann ihn nicht mehr hören! Es ist nicht einfach ein Satz, der nach meinem menschlichen oder rationalen Verständnis verlangt. Er geht über meine Menschlichkeit hinaus und fordert etwas von mir, das ich nicht geben kann – und manchmal aus Prinzip geben nicht möchte. Zum einen, weil ich mich oft in den Situationen, wo der Satz vorkommt, leer, ohne innere Ressourcen und Kapazität fühle, JA zu diesen Anforderungen zu sagen, auch wenn ich sehr privilegiert bin. Und zum anderen, weil das, was ich beanspruche, ein garantiertes Recht ist, auf das Anspruch besteht.

Ich bin Mutter von drei Kindern und bevor mein jüngstes und behindertes Kind geboren ist, konnte ich mir nicht genau vorstellen, wie herausfordernd der Alltag von Familien mit behinderten Kindern sein kann. Wer meine Texte und mich kennt, weiß, dass ich nicht von der Behinderung meines Kindes spreche, sondern von den ABERs und LEIDERs spreche, die wir pflegenden Eltern uns immer wieder anhören müssen, wie eine ladainha* ohne Ende. (*Ladainha bedeutet auf Deutsch Litanei, was in Brasilien in der Umgangssprache als eine monotone, lange und ermüdende Wiederholung von Entschuldigungen oder Ausreden zu verstehen ist.)

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Die Suche nach den Worten

by Bárbara Zimmermann

“Die Krampfmomente sind am Schwierigsten zu leben, aber in ihnen schreit das Leben am lautesten“, schreibt die brasilianische Philosophin Suely Rolnik. Ich habe diesen Satz im Januar in Brasilien in ihrem Buch gelesen, und es mir gelb markiert. Keine Ahnung, warum. Es klang nicht nur stark und passend zu ihrer gesellschaftlichen Analyse, ich hatte auch das unausgesprochene Gefühl, diesen Satz irgendwann einmal gebrauchen zu können, selbst wenn ich ihn überhaupt nicht brauchen wollte. Ich wusste, was dieser Satz für mich bedeuten könnte. Ich hatte nähmlich Angst, dass mein Kind irgendwann ihren ersten epileptischen Krampfanfall und somit auch die Diagnose von Epilepsie bekommt.

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Das Problem richtig benennen

by Bárbara Zimmermann

 „So ein Mist, unser Stuhl, oder?“, sagte der Mann in der kölner Fußgängerzone zu meiner Tochter und schlug gegen das Rad seines Rollstuhls. Wie mein dreijähriges Kind, ist er auch auf einen Rollstuhl angewiesen. Meine Tochter hörte ihm zu, war aber mehr an seinem Clownkostüm und an dem Lolli interessiert, den er ihr reichte. Ich jedoch konnte mich nicht so einfach ablenken lassen.

„Ihr Rollstuhl ist kein Mist“, sagte ich freundlich aber bestimmt.

„Wie bitte?“, fragte er etwas irritiert, als ob er sowas das erste Mal gehört hätte.

„Mein Kind ist erst drei und sie wird ihren Rollstuhl ihr ganzes Leben brauchen. Ich möchte nicht, dass sie mit dem Gedanken aufwächst, dass ihr Rolli doof wäre. Sie braucht ihn wirklich und durch ihn kann sie autonom sein“, antwortete ich.

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Ihr Kind braucht Sie doch

by Bárbara Zimmermann

Was haben Mütter von behinderten und pflegebedürftigen Kindern in Deutschland und in Brasilien (ich bin selber Brasilianerin und bin gerade hier bei meiner Familie) gemeinsam? Dass der Staat und der große Teil der Gesellschaft ihnen den Rücken kehren. Das wird sehr deutlich, wenn sie der Erwerbsarbeit nachgehen wollen oder müssen. Während viele Feminist*innen dafür kämpfen, dass mehr Frauen in Führungspositionen in großen Konzernen kommen – was wichtig ist – kämpfen viele pflegende Mütter darum, überhaupt arbeiten zu können.

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