Wer darf wie leben?
Fragen zur Pränataldiagnostik

by Mareice Kaiser

Das ungeborene Kind ist im Bauch der Mutter gut geschützt. Wir können es nicht sehen, aber ab Mitte der Schwangerschaft durch die Bauchdecke fühlen. Per Ultraschall ist es Ärzt_innen heute möglich, das ungeborene Kind zu untersuchen. Mit Methoden der Pränataldiagnostik kann genetisches Material entnommen und entschlüsselt werden. Mittlerweile reicht ein Tropfen Blut der Mutter, um Informationen über das Kind zu bekommen – auch, welches Geschlecht es haben wird.

Das Ziel aller Untersuchungen und Tests: Ein gesundes, nicht behindertes Kind. Doch nicht allen Kindern wird das prognostiziert. Bei auffälligen Diagnosen müssen sich die werdenden Eltern entweder für das Kind oder für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Und auch wenn das ungeborene Kind das vermeintlich falsche Geschlecht hat, ist in der Schweiz ein Schwangerschaftsabbruch möglich. Nun soll ein neuer Gesetzesartikel eine Geschlechterselektion vermeiden. Werdende Eltern sollen erst nach den ersten zwölf Schwangerschaftswochen erfahren, welches Geschlecht ihr Kind haben wird. In den ersten zwölf Wochen ist ein Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz bedingungslos straffrei.*

“Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass eine Frau mit drei Knaben zum vierten Mal ungeplant schwanger wird und sich sagt: «Wenn es ein Mädchen würde, würde ich austragen. Aber einen vierten Knaben will ich auf keinen Fall.» Dies ist für mich ein akzeptabler Grund für einen Schwangerschaftsabbruch”, meint Anne-Marie Rey, eine Schweizer Politikerin und Mutter von drei Kindern. Die Schweizer Zeitung Tagesanzeiger druckte vergangene Woche ein Streitgespräch zwischen ihr und Pascale Bruderer ab. Bruderer ist ebenfalls Politikerin in der Schweiz und Mutter von zwei Kindern. Sie sagt: “Geschlechterselektion ist keine Nebensächlichkeit, sondern eine Menschenrechtsverletzung, wie dies übrigens auch die Pekingdeklaration der Frauen-Weltkonferenz 1995 festhält.” Weiterlesen

Offener Brief an EMMA

by Mareice Kaiser

Liebe EMMA-Redaktion,

gerade bin ich in einem meiner Social Media-Kanäle über den Artikel Ist etwa der Bauch noch da? gestolpert und zweifle nun sehr an meinem Sinn für Humor. Ihr müsst wissen, er ist sehr ausgeprägt bis schwarz – erst Recht, seitdem ich Mutter eines behinderten Kindes bin.

Der Artikel beschäftigt sich mit dem Trend zur Schlankheit, der gesundheitliche Risiken birgt – vor allem, während und nach einer Schwangerschaft. Ein wichtiges Thema, gar keine Frage. Doch es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte den Text gar nicht bis zum Ende gelesen. Das Intro ist Schuld. Dort heißt es: Denn es gibt etwas, das fürchtet manch werdende Mutter wie eine Behinderung des Kindes: in der Schwangerschaft fett zu werden. Weiterlesen

Gene auf der Probe

by Mareice Kaiser

Die Arzthelferin packt die Spritze aus, ich höre das Verpackungsmaterial knistern. Die Nadel ist viel größer, als ich sie mir vorgestellt hatte. „Sie schauen ab jetzt lieber weg“, sagt der Arzt zu mir. Ich bin in guten Händen, sagen alle. Ich bin in guten Händen, sage ich zu mir selbst. Ich muss mich beruhigen. Ich bin alles andere als ruhig. Die Chorionzottenbiopsie, für die ich heute hier bin, wird in dieser Praxis mehrmals pro Woche durchgeführt. Mit einer Hohlnadel wird schwangeren Müttern durch die Bauchdecke gestochen und Gewebe aus der Plazenta entnommen. Da die entnommenen Zellen das gleiche genetische Material haben wie das ungeborene Baby, können so genetische Auffälligkeiten festgestellt werden. Wir sind hier, weil unsere erste Tochter mit einem seltenen Chromosomenfehler zur Welt kam, durch den sie mehrfach behindert ist. Mit ihrer Geburt fiel ich in eine Welt voller Begriffe, die vorher nur leere Worthülsen für mich waren: Humangenetik, Chromosomenfehler, Pränataldiagnostik.
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