Trauer und Geld – wenn Kinder sterben

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Wir beschließen die Woche (oder beginnen sie, je nach Perspektive) mit einem ganz besonderen Text von Sarah, die uns diesen Artikel über die Themen Tod eines Kindes, Trauer und Geld geschenkt hat. Sie erzählt uns davon, wie es für sie war, nach dem Tod ihrer Tochter Romy wieder die Erwerbsarbeit aufzunehmen, diese wieder zu kündigen und wie Trauer, Stress und Geld zusammen hängen können. Sarah findet ihr unter dem Account @phyxchen auf Instagram.

Bitte beachtet, dass dieser Artikel die Themen Tod eines Kindes, Trauer, Stress, Erschöpfung und psychische Krankheiten, sowie Armut beinhaltet. Wendet euch bei Bedarf an eine Trauerberatung oder -begleitung in eurer Nähe.

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So eine*r hat ein Kind

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Das Bild ist in schwarz-weiß. Valo trägt ein Hemd, hat die Arme über den Kopf gelegt und schaut in die Kamera. Valo hat kurze, braune Haare

Valo Christiansen ist [gender]queere*r [spoken] word artist, [sensitivity] reader*in, Übersetzer*in und Referent*in aus Bochum. Dey schreibt mehrsprachig über Feminismus, Queerness, Identität und Neurodivergenz, sowie den Überschneidungen dazwischen und darüber hinaus. 2024 erschien mit der Anthologie Sonderzeichen, herausgegeben von Valo Christiansen und Sam Sackbrook, die erste deutschsprachige Spoken-Word-Textsammlung mit Beiträgen von ausschließlich trans, inter, agender und nichtbinären Personen.

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Wut und Verzweiflung – Wenn Inklusion mit Füßen getreten wird

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Stell dir vor, du hast endlich einen heiß begehrten Kita-Platz für dein Kind bekommen, und dann darf es doch nicht hingehen. So ergeht es aktuell vielen Eltern in NRW, deren Kinder eine schwere Behinderung haben und daher auf eine Inklusionskraft, sogenannte Kita-Assistenz, angewiesen sind. Ohne diese 1:1-Betreuung ist es für die Kinder unmöglich, am Kita-Alltag teilzunehmen und Teil der Gemeinschaft zu sein.

Meine vierjährige Tochter Fritzi ist aufgrund eines seltenen Gendefekts schwer mehrfachbehindert. Sie ist das einzige schwer behinderte Kind in ihrer Kita. Sie kann nicht sprechen, nicht laufen, nicht alleine sitzen, nicht alleine essen oder trinken. Ohne ihre geliebte Inklusionskraft Janna könnte sie nicht dorthin gehen. Janna tanzt mit ihr, malt und bastelt mit ihr, stützt sie, wenn sie laufen will, und übersetzt ihre Körpersprache für die anderen Kinder. Sie ist Fritzis Schlüssel zur Kita-Welt. In den letzten zwei Jahren wurde uns die Assistenz ohne Probleme in der notwendigen Stundenanzahl bewilligt. Doch 2024 mussten wir uns sorgen.

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Pizzatag mal anders

by Bárbara Zimmermann

Ich höre nur, wie sie den Stock fallen lässt. Ich drehe mich zu ihr, ihr Kopf hängt zur Seite. Lucy* spielt weiter auf dem Sofa. Scheiße, Kind3 krampft. Ihre Atmung ist flach, ihre Augen bewegen sich unwillkürlich. „Rapha, komm schnell!“, rufe ich meinen Mann. „Schnell!“ Scheiße, sie krampft. Die Zeit steht plötzlich still, während im Hintergrund „Die Laser-Falle“ läuft. Vor wenigen Minuten haben Kind3 und Lucy im Chor das Intro-Lied von den „Drei??? Kids“ gesungen. Und jetzt das. Auch wenn ich weiß, dass es nichts bringt, sie zu rufen, kann ich einfach nicht untätig bleiben. „Lucy, Kind3 ist gerade ziemlich schlapp geworden, deswegen schauen wir, dass es ihr bald besser geht, okay?“

Wenn ich mich in solchen Situationen von außen beobachten würde, wie ich innerlich ruhig mein eigenes Kind bei einem epileptischen Krampf begleite und gleichzeitig altersgerecht ihrer Freundin die Situation erkläre, erscheint mir das ziemlich surreal. Kind2 und Kind1 kommen dazu. Ihre Augen sehen auch anders aus. Scheiße. Mein Mann geht zu ihnen und erklärt die Situation. Sie wirken okay. „Kind2, magst du vielleicht mit Lucy die Geschichte in deinem Zimmer weiter hören?“

Drei Minuten vergehen, die sich wie Stunden anfühlen. Das Notfallmedikament wird zum ersten Mal benötigt. Die Hälfte in die eine Backe, die andere Hälfte in die andere. Keine Wirkung. Meinem Verständnis nach sollte der Krampf ziemlich schnell aufhören. Er hört aber nicht auf. Ich habe Angst. „Drehe sie noch mehr zur Seite.“ 112. Stadtteil, Adresse, Alter. Der Arzt kommt. Abwarten. Sie krampft heftiger. Ich habe noch mehr Angst. 112. „Ist der Arzt wirklich unterwegs?“ „Ja, Sie haben vor einer Minute angerufen, er braucht auch ein paar Minuten, bis er bei Ihnen ist.“ Ja, das weiß ich. Fuck! Und dann plötzlich ist das Gewitter vorbei. Sie reagiert auf unsere Stimmen. Ruhe kehrt ein. „Du hast gerade gekrampft, meu amor.“ „Ja“, sagt sie und schläft ein. Puff. Wir legen sie auf das Sofa. Und umarmen uns.

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Spielen wir Demokratie? Aber im Ernst!

by Bárbara Zimmermann

 „Wenn große Gruppen von Menschen in unserer Gesellschaft von anderen ausgegrenzt werden, schwächt dies das Gefüge unserer Gesellschaft. Wenn wir zulassen, dass wir langsam zu einem Land werden, in dem wir uns einfach nicht mehr in andere hineinversetzen können, werden wir die Komplexität von Diskriminierung und die damit verbundenen Gefühle nicht mehr verstehen. (…) Wir müssen aus der Passivität – aus dem Gefühl, eine einsame individuelle Stimme zu sein – zu einer aktiven kollektiven Stimme werden“.

Das sind die letzten Worte von Judith Heumann in ihrem sehr empfehlenswerten Buch „Being Heumann. The unrepentant Memoir of a Disability Rights Activist“. Ich habe viel von ihr gelernt, schon damals im Film Crip Camp – auch sehr zu empfehlen!

Zu Beginn des Buches erzählt Heumann, wie ihre Mutter eine Pilgerreise unternahm, um ihr als behindertes Kind den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Dieser Weg und diese Odyssee kamen mir sehr bekannt vor, obwohl es in diesem Teil des Buches um ihre Kindheit in den 50er Jahren in den USA handelt. Und heute, 70 Jahre später, kämpfen wir pflegenden Mütter weiter. Wie viele Generationen von Familien mit behinderten und chronisch kranken Kindern werden noch so leben müssen?

Wie wäre es aber, wenn wir in einer Welt leben könnten, in der Familien die notwendigen Strukturen hätten, um sich um ihre Kinder und die Pflege ihrer Angehörigen zu kümmern – mit ausreichenden Ressourcen? Wie wäre es, wenn Pflege nicht automatisch mit Armutsrisiko, psychischer Erschöpfung und sozialer Ausgrenzung verbunden wäre? Das wäre wirklich gut! Brenda könnte Urlaub auf Mallorca machen, Simone könnte mit einem tollen Team ihr Drachenkind pflegen und gleichzeitig erwerbstätig sein. Das wäre doch gut – und so sollte es sein! Mit der Petition für die Weiterzahlung des Pflegegeldes nach 28 Tagen kämpfen wir genau für dieses Ideal: für mehr Gerechtigkeit für Familien mit pflegebedürftigen Kindern. 

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Vier Tabletten auf der Hand – meine mentale Gesundheit

by Anna

Auf dem Bild sieht man eine Illsutration von Anna. Ihre Haare sind schulterlang, sie trägt eine Brille und roten Lippenstift.

Ich kaue die letzten Reste des bioorganischen Nussriegels, den ich mir noch während des  Beine-aus-dem-Bett-schwingens in den Mund gesteckt hab. 5:50 Uhr ist nicht meine bevorzugte Zeit, um etwas zu essen, das so viel Kauarbeit verlangt. Aber damit das, was ich als Nächstes zu mir nehmen muss oder möchte oder sollte, gut wirkt und sinnvoll wirkt, darf mein Magen nicht leer sein. “Ein paar Bissen reichen, damit die Wirkung nicht total hoch geht und dann verpufft” sagte meine Therapeutin bei dem Trainings-Wochendende. An manchen Tagen funktioniert es gut. n anderen pusht es, noch während ich aus dem Dachgeschoss herunter steige.

Ich kippe die vier Tabletten aus dem vorbereiteten Tabletten-Sortierer in meine Hand.

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Die Mama von

by Simone

Ich bin die Mutti, Mutter oder Mama von. Denn ich bin eine Krankenhaus-Mutti. Es ist, als würde ich als Person langsam verschwinden. Niemand beachtet mich, ich werde nicht wahrgenommen. Außer, meine Kenntnisse als „Mama von“ werden benötigt. Dann habe ich die gesamte Aufmerksamkeit von Ärzten und Fachpersonen. Im Krankenhaus nennt mich niemand beim Namen. Alle sagen nur: „Mutti können Sie mal schauen.“ Es ist, als würde ich mich langsam auflösen. Kinderkliniken sind keine Orte für Eltern. Wir wurden nie mitgedacht, wr sind notwendiges Beiwerk. Medizinisch notwendige Begleitpersonen, ohne Bedürfnisse, Gefühle, oder Privatsphäre. Wenn ich telefoniere, dann muss ich auflegen, sobald jemand das Zimmer betritt. Ich kann nicht duschen und die Türe offen lassen, um zu hören, ob es meinem kranken Kind gut geht, weil jederzeit jemand die Türe öffnen könnte, dich ich niemals absperren kann. Ich kann nicht essen, wann ich will, weil das Tablett abgeholt wird und man mir dann vorwirft, dass ich mich nicht an die Regeln halte. Ich kann nicht mit meinem Kind das Zimmer verlassen, wie ich möchte, denn wir müssen uns an die Vorgaben halten. Wie soll ich „eine gute Mutter von“ sein, wenn meine Werte und meine Gedanken nichts wert sind? Wie soll ich mich selbst spüren und meinem Kind ein gutes Vorbild sein, wenn das System verlangt, dass ich alles, was mich ausmacht, neutralisiere? Dem System zuliebe.

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Und wie machst du das Petra?

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Petra ist Mutter von zwei erwachsenen behinderten Kindern. Sie sind 48 und 43 Jahre alt, d.h. Petra ist seit fast 50 Jahren pflegende Mutter! Ihre Kinder leben bei ihr zu Hause und seit fast 12 Jahren, seit dem Tod ihres Mannes, trägt sie die alleinige Verantwortung für beide Kinder.

Welche langfristige Dimension die Pflege für Eltern behinderter Kinder bekommen kann, sehen wir hier an Petras Antworten. Denn für viele von uns kann sich diese Aufgabe über Jahrzehnte hinziehen, vor allem wenn Familien wie die von Petra viel zu wenig systematische Unterstützung erhalten, was in unserer Gesellschaft anscheinend immer noch selbstverständlich ist. Familien mit pflegebedürftigen Kindern – egal wie alt sie sind – müssen für vieles kämpfen, was zusätzlich zu dem Pflegealltag zu noch mehr Belastung führen kann.

Woher kommt diese gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, dass eine Mutter in diesem Ausmaß privat und auf eigenen Kosten die Verantwortung für ihre erwachsenen behinderten Kinder übernehmen muss? Wer soll sie unterstützen, ist aber offenbar nicht an ihrer Seite? Der Anspruch an Unterstützung ihrer Kinder steht außer Frage, sie brauchen Hilfe und Pflege im Alltag. Aber ob Petra in ihrer Rolle als pflegende Mutter von zwei behinderten Kindern ebenfalls Hilfe braucht und in ihrer Grenze ist, muss endlich gesehen werden!

Petra ist eine von vielen von uns. Sie liebt ihre Kinder, teilt manche erlebte Situation mit Humor und gleichzeitig sind ihre Ressourcen begrenzt – denn sie ist, Überraschung!, wie wir alle auch nur ein Mensch! Auf die Frage, ob sie sich von Politik und Gesellschaft ausreichend unterstützt fühlt, antwortet sie klar und deutlich: Nein, ganz klar nein!

Wenn ihr mehr über Petras Alltag lesen wollt, teilt sie viele ihre Gedanken auf ihrem Blog “voller Worte“.

Name: Petra Ulbrich

Alter: 68

Mutter von: Carsten (48) und Wiebke (43)

Beruf: Schriftsetzerin und Erzieherin

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E-Mail einer pflegenden Mutter, die „schon länger im Geschäft“ ist

by Bárbara Zimmermann

Letzte Woche hat mich eine E-Mail überrascht. Andrea hat mich mit ihren Worten sehr berührt und ich fand, dass das, was sie mir mitgeteilt hat, hier im Blog mehr Platz verdient. Außerdem hat sie uns alle Mütter des Kaiserreichs angesprochen – also war die Mail nicht nur für mich, auch wenn sie in meiner Mailbox gelandet ist. Mit ihrer Absprache veröffentliche ich hier ihre E-Mail für euch.

Ich persönlich war schon immer sehr neugierig auf die Erfahrungen und Erzählungen von pflegenden Eltern, die wie Andrea seit Jahrzehnten pflegen. Wie haben sie damals die Unterstützung ihres Umfeldes erfahren? Hatten sie das Gefühl, die Politik an ihrer Seite zu haben? Deshalb habe ich vor drei Jahren den Elternfragebogen speziell für pflegende Eltern “die schon lange im Geschäft sind”, entwickelt. Bisher haben nur Martina und Barbara daran teilgenommen – und wie ich diese beiden Beiträge liebe! Aber jede*r ist willkommen, seine*ihre Erfahrungen mit uns zu teilen.

“Liebe Mütter des Kaiserinnenreiches,

beim Durchzappen der WDR-Mediathek bin ich durch Zufall auf einen Beitrag von Euch bzw. von Bárbara gestoßen und würde mich gerne einfach mal bei Euch melden bzw. vorstellen. Eigentlich bin ich als pflegende Mutter „schon länger im Geschäft“, fühle mich in manchen Situationen aber immer wieder wie am Anfang…

Ich heiße Andrea, bin seit einem Montag im März diesen Jahres 60 Jahre alt (was für eine Zahl; das erste Mal fühlte ich mich alt), bin nächstes Jahr 30 Jahre verheiratet und lebe mit meiner Familie am nördlichen Bodensee. Meine Kinder sind inzwischen 27, 25 und 20 Jahre alt, wobei nur unsere Jüngste noch offiziell bei uns wohnt, da sie im Moment das letzte Jahr ihrer Ausbildung als Hotelfachfrau in Konstanz absolviert.

Unsere älteste Tochter (unser Sohn ist dazwischen) kam im Februar 1997 mit Apgar-Werten von 9/10/10 und damit offiziell gesund auf die Welt und nach 10 Tagen hieß es aber: „Seien Sie froh, dass ihr Kind überhaupt noch lebt. Sie wird nie sprechen und laufen können“. Gut, das macht sie inzwischen beides auf ihre eigene Art, wird aber nie ein eigenständiges Leben führen können und immer auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sein. Schlimm war aber damals, dass während der sechswöchigen Zeit meiner Tochter auf der Neonatologie und auch fast ein Vierteljahr danach ich mein Kind nicht mit Namen ansprechen konnte, mich wie ein Roboter verhielt und jede Nacht davon träumte, wie ich bei einem evtl. Tod reagieren würde.

Man wird nicht als Mutter geboren, das muss man lernen, und ich hatte ja keine Vergleiche mit anderen Kindern.

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