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Als Kaiserin 1 noch ganz klein war, wollte ich keinen Kontakt zu anderen Eltern behinderter Kinder. Ich wollte weder akzeptieren, dass mein Kind behindert ist, noch es mit anderen Kindern vergleichen. Genau so wenig wollte ich mich mit anderen Eltern vergleichen. Mir war es ganz wichtig, normal zu sein. Zur normalen Babymassage gehen, mich mit normalen Eltern austauschen, normale Elternprobleme haben. Bis wir irgendwann den Schritt zu einer Krabbelgruppe für Kinder mit Behinderung gewagt haben. Keines der Kinder konnte krabbeln und der Austausch mit den anderen Eltern tat gut. In den Gesprächen ging es nicht nur um Impfungen oder schlaflose Nächte, sondern auch um Besuche im SPZ und Darmspülungen. Schon allein das Sprechen darüber fühlte sich wie eine Entlastung an.
Genau das ist einer der Gründe, aus denen ich auf meinem Blog Mütter behinderter Kinder vorstelle. Erfahrungsaustausch, Entlastung und Aha!-Momente. Einen ganz besonderen Aha!-Moment bescherte mir auch Frauke. Nein, eigentlich nicht einen, sondern ganz viele davon. Frauke und ich leben im gleichen Kiez. Wir besuchen die gleichen Cafés (wenn wir denn mal dazu kommen..), wir gehen auf die gleichen Spielplätze und schlecken unser Eis beim gleichen Eisladen. Und wir haben beide zwei Kinder, eines mit und eines ohne Behinderung. Wir leben beide zusammen mit vielen fremden Personen in unserem Alltag, denn unsere behinderten Kinder werden von einem Pflegedienst betreut. Frauke fasst diese gleichzeitige Be- und Entlastung ganz wunderbar in Worte. Außerdem ein Thema, das uns beide verbindet: Stolpersteine für Eltern behinderter Kinder, die erwerbstätig sein wollen – selbst, wenn es sich “nur” um 20 Stunden pro Woche handelt. Vielen Dank für deine Offenheit und deine klugen Worte, liebe Frauke! Bis bald zum Kaffee.
Name: Frauke
Alter: 38 Jahre
Mutter von: Ole, 4 Jahre und Marie, 3 Jahre
Beruf: Öffentlichkeitsarbeit im kulturellen Bereich, aber auch andere Aufträge (Projektkoordination)
Berufung: etwas bewirken, glücklich sein, in Kontakt mit mir selbst und anderen sein
Wir wohnen in einer Hochpaterre-Wohnung im Neuköllner Reuterkiez in Berlin, mit selbst angebauter kleiner Terrasse im Hof und tollen Nachbarn im Haus.
Wie war dein Leben, bevor deine Kinder kamen?
Ich habe lange Zeit an Uni und Fachhochschule mit meinem Studium verbracht, und dann in Berlin und Potsdam als Produktionsassistentin und -leiterin für freie Theaterproduktionen und Ausstellungen gearbeitet. Ich habe viel gearbeitet, oft an Abenden und Wochenenden und auch im Ausland. Es war eine sehr spannende Zeit, aber ich fühlte mich immer irgendwie auf der Suche, nicht richtig angekommen. Und ich wollte eine Familie haben. Als ich dann Anfang 30 schwanger wurde, dachte ich, das ist der richtige Moment, um dann nach der Geburt des Kindes neue Wege einzuschlagen. Ich wusste während der Schwangerschaft noch nicht, dass mein Kind schwer behindert sein würde.
Wie sieht dein Alltag heute aus?
Mein Alltag ist heute vielfältiger als früher. Bunter, mehrschichtiger, anstrengender, chaotischer, schöner. Ich fühle mich erfüllter als früher, hadere gleichzeitig immer mal wieder mit meiner beruflichen Entwicklung.
Ich arbeite immer noch freiberuflich, so viel wie es eben geht mit den Kindern, das sind momentan im Schnitt 10-12 Stunden in der Woche. Ansonsten besteht mein Alltag aus viel Organisation – Kinderbetreuung für das gesunde und vor allem für das behinderte Kind auf die Beine stellen; mit dem Pflegedienst darüber kommunizieren, welche Dienste abgedeckt sind, wer wann kommt, welche Dienste ausfallen… Arztbesuche planen und auch hingehen; bei den Hilfsmittel-Versorgern Bestellungen einreichen, Termine für Hausbesuche machen, zu Terminen hinfahren; die Familienhelferin managen, also reden, Anträge schreiben, Förderziele formulieren; Urlaube planen und organisieren (welcher Pflegedienst kann uns vor Ort unterstützen…); Operationen, Medikamenteneinstellungen oder Schlaflabor planen,…
Nachmittags habe ich ab etwa 15.30 Uhr die Kinder. Entweder sind wir dann noch draußen unterwegs, oder wegen Krankheit eines der Kinder zu Hause.
Ja – und dann natürlich noch der übliche Haushaltskram.
Was meinen Alltag immer wieder spürbar unterscheidet von anderen, ist der zu Hause anwesende Pflegedienst. Bei uns ist immer von 22 bis 8 Uhr der Nachtdienst da – und unter der Woche von 8 bis 16 Uhr der Tagdienst. Das bedeutet eine Riesenentlastung in der Pflege und Betreuung meines Sohnes. Es bedeutet aber auch, dass ich direkt nach dem Aufstehen schon in Kontakt mit Menschen trete, die nicht zu meiner Familie gehören. Ich bin dann schon keine Privatperson mehr, sondern schon Familienmanagerin. Da, wo andere nur als Kernfamilie sind, haben wir immer noch ein paar mehr Menschen um uns herum. Und diese Menschen bekommen sehr viel sehr Privates mit, das lässt sich nicht vermeiden. Streits, schlechte Laune, Kranksein, Besuch, private Gespräche, Telefonate,… Die Chemie zwischen uns und den PflegerInnen stimmt mal mehr, mal weniger, das macht auch nochmal viel aus, ob sich der Alltag gut fügt oder eher holpert.
Die Momente, in denen mein Mann und ich mal als Paar zusammen sein können, sind mit Kindern ja sowieso extrem eingegrenzt – aber mit Pflegedienst wird es noch schwieriger.
Manchmal bin ich es müde, unsere Geschichte, Oles Besonderheiten und den Krankheitsverlauf immer wieder immer neuen Menschen zu erzählen. Andererseits genieße ich es, teilweise sehr liebe und unterstützende Menschen um mich herum zu haben, die sich mit kümmern. Glücklicherweise scheint meine Tochter, die ja sehr selbstverständlich in unsere Familienkonstruktion hinein geboren ist, nicht darunter zu leiden. Im Gegenteil, ich habe den Eindruck, dass sie schon von Anfang an deswegen wenig Kontaktscheu hat. Wenn das Personal häufig wechselt, mache ich mir aber schon Gedanken, ob das nicht ganz schön viel für ein kleines Mädchen ist.
Und trotz allem: Ole könnte ohne den Pflegedienst nicht bei uns leben, eine völlig unmögliche Vorstellung. Ich bin sehr froh darüber, dass er zu einer Zeit geboren wurde, als es schon häusliche Kinderintensivpflegedienste gab, das war vor zum Beispiel 15 Jahren noch keine Selbstverständlichkeit.
Wann und wie hast du von der Behinderung deines Kindes erfahren?
Wir wussten vor der Geburt von Ole nichts von seiner schweren Behinderung, was bei einer Trisomie 18 sehr ungewöhnlich ist. Er wurde spontan geboren. Als er mir auf die Brust gelegt wurde, fiel mir gleich sein ungewöhnliches Aussehen auf, aber ich war mir als Erstgebärende auch unsicher, wie Neugeborene direkt nach der Geburt aussehen, deshalb habe ich mir noch nicht allzu viele Sorgen gemacht. Erst als es hieß, Ole muss in die Neonatologie verlegt werden, war klar, dass mehr dahinter steckt. Mit der Aufnahme in die Neo ging es stetig mit ihm bergab, er wurde intubiert und an unzählige Schläuche und Kabel angeschlossen. Eine Hiobsbotschaft folgte der anderen, aber die Ärzt_innen waren lange ratlos, was für ein Syndrom mein Kind hat. Erst nach vier Wochen und einer Chromosomenanalyse stand fest, dass es eine freie Trisomie 18 ist.
Im Nachhinein bin ich gottfroh, dass ich die Diagnose erst nach der Geburt bekommen habe. Bei einer Trisomie 18, die in der Schwangerschaft diagnostiziert wird, wird im Allgemeinen ein Abbruch empfohlen. Die Kinder sterben meist bereits vor oder während der Geburt an ihren schweren Fehlbildungen. Wenn sie die Geburt überstehen, leben die meisten dann nur wenige Wochen.
Ich weiß nicht, wie ich mich entschieden hätte, wenn ich es vor der Geburt gewusst hätte. Ich kann aber sagen, dass Ole uns als Familie wesentlich mit ausmacht, uns als Paar gefestigt hat und es sich alles genau richtig anfühlt, so wie es ist. Dass Ole immer noch bei uns ist, grenzt an ein medizinisches Wunder – und so lebenslustig wie er ist, wird er wohl auch noch eine ganze Zeit bei uns bleiben.
Inwiefern ist dein Kind behindert und welche Beeinträchtigung wiegt für dich am schwersten?
Ole hat für seine Diagnose Trisomie 18 glücklicherweise verhältnismäßig wenige Fehlbildungen, ein Grund, warum er überhaupt schon so alt geworden ist. Durch seine sehr starke Entwicklungsverzögerung läuft, spricht und isst er nicht, wird gewickelt und seine kognitive Entwicklung entspricht etwa der eines neun Monate alten Kindes. Am meisten beeinträchtigt ihn sein Schlaf-Apnoe-Syndrom. Er bekommt nur noch wenig bis keine Luft wenn er einschläft, weil die Muskeln zu sehr erschlaffen. Deshalb braucht er im Schlaf eine Atemhilfe, um tief und erholsam zu schlafen. Sein sehr kleiner Mund und Rachenraum machen das Schlucken für ihn schwer, er bekommt schnell Atemnot, wenn er sich zum Beispiel übergeben muss. Daher verweigert Ole die Nahrungsaufnahme durch den Mund komplett und wird von uns sondiert. Durch eine Leberfehlbildung braucht er spezielle Nahrung und leidet an einem ständigen Juckreiz. Und wie viele schwer behinderte Kinder ist auch er sehr anfällig für Infekte und muss deshalb oft zu Hause bleiben.
Und sonst: Er kann das meiste nicht, was gleichaltrige Kinder können, aber er lernt in seinem eigenen Zeitlupentempo immer wieder neue Sachen dazu. Er plaudert in seinem Singsang, lacht und grinst viel, vor allem, wenn seine Schwester Quatsch mit ihm macht, dreht sich hin und her, stützt sich seitlich auf, kann inzwischen sogar frei sitzen, wenn man ihm beim Hinsetzen hilft. Er greift sich, was er zum Spielen haben möchte und hält die Sachen eine ganze Weile lang fest. Ich bin unheimlich stolz auf ihn und seinen Entdeckerdrang!
Was für mich schwieriger wird, ist sein Gewicht. Ich hebe ihn viel und merke, dass mein Rücken das langsam nicht mehr so toll findet.
“Eine Mutter liebt am stärksten ihr schwächstes Kind”, so lautet ein schwedisches Sprichwort.
Stimmt das?
Ich kann damit nicht so viel anfangen. Ich liebe meine beiden Kinder wie verrückt. Und beide auch mal gar nicht.
Ich habe bei Ole einen sehr starken Beschützerinstinkt. Das erste Jahr drehte sich eigentlich nur um sein Überleben. Wir sind ungefähr alle drei Wochen ins Krankenhaus gefahren, weil sein Immunsystem so schwach war und jeder kleine Schnupfen sich zur lebensbedrohlichen Bronchitis mit akuter Atemnot auswuchs.
Je älter er wird, desto weniger bedrohlich sind seine Infekte und umso ruhiger und entspannter wird das Leben mit ihm. Die Anzahl der Medikamente, die er nehmen muss, hat abgenommen, nicht jeder Schnupfen haut ihn mehr aus der Bahn, ins Krankenhaus muss er nur noch bei ausgesprochen fiesen Keimen, wenn eine OP ansteht oder sonst eine Behandlung.
Welches ist dein glücklichster Moment am Tag mit deinen Kindern? Welches der anstrengendste?
Am schönsten ist es, wenn wir alle – gesund! – abends am Tisch sitzen, die Kinder miteinander kichern wie zwei „normale“ Geschwister, und auch sonst alles gut ist (die Arbeit läuft, die Eltern verstehen sich gut, man ist mit sich selbst im Reinen,…). Oft überkommt mich das Glück mit meinen Kindern aber auch einfach so, ohne dass ich sagen könnte, was genau der Auslöser war. Dieses herzbrecherische Grinsen meines Sohnes, nackte Kinderbeine, die durch die Wohnung rennen, die neugierige Hand von Ole, die sich aus dem Rehabuggy streckt,…
Am anstrengendsten sind die Momente, in denen ich abends übermüdet merke, dass Ole wieder Fieber bekommt, er sich übergeben muss, ich weiß, dass ich mit ihm wieder mal zum Arzt muss, aber das Auto verplant ist, ich eigentlich arbeiten muss, die Tochter bitterlich weint und schreit, weil unbedingt Mama sie ins Bett bringen soll, dann am besten noch der Button (Nahrungssonde) kaputt geht,…
Oder auch geliebt: der Pflegedienst schickt abends um 21 Uhr eine SMS mit der Nachricht, dass der Nachtdienst sich krank gemeldet hat und sie noch nicht wissen, ob sie einen Ersatz finden.
Wie ist bei euch die Kinderbetreuung organisiert? Bist du damit zufrieden?
Die Kinder gehen in einen kleinen Kinderladen, beide in den gleichen. Die Leiterin hat Ole aufgenommen, obwohl sie keine Erfahrungen mit so schwer beeinträchtigten Kindern hat. Erleichtert hat ihr die Entscheidung aber sicher die Tatsache, dass Ole von den Pflegerinnen des Pflegedienstes dorthin begleitet wird.
Ole geht inzwischen fünf Tage die Woche von neun bis zwölf Uhr hin – Marie ist bis 16 Uhr dort. Mittags kommt Ole für seinen Mittagsschlaf mit Beatmung zurück nach Hause. Dort wird er dann noch bis 16 Uhr vom Pflegedienst betreut.
Da uns die Stunden für häusliche Krankenpflege aber ab August wieder gekürzt werden – Ole ist nicht mehr „krank“ genug für eine medizinische Betreuung! –, muss alles umgeplant werden. Ich bin zurzeit mit der Kita im Gespräch, ob er inzwischen vormittags auch ohne Begleitung dort sein kann. Der Pflegedienst wäre dann ab Mittag für vier Stunden für ihn da. Wenn nicht, geht er ab August in eine andere Kita, die dann aber weiter von uns weg ist.
Was ich noch nicht weiß ist, wie das werden soll, wenn Ole krank ist. Und er ist oft krank, im Schnitt zwei Wochen im Monat. Wenn ich keinen Pflegedienst mehr habe, muss ich dann zu Hause bleiben. Meine Möglichkeiten, als Freiberufliche Arbeitsaufträge zuzusagen und zu bearbeiten, sind dann noch eingeschränkter als momentan schon. Da wir die Situation mit den gekürzten Pflegestunden letztes Jahr schon einmal hatten, weiß ich, was auf mich zukommt. Ich habe jetzt schon Bauchschmerzen deswegen… Hier ist eine richtige Versorgungslücke, denn es gibt keinen anderen Träger, der im Krankheitsfall die Betreuung meines Kindes finanziert.
Mich macht es wahnsinnig, dass ich mich nicht wirklich auf eine stabile Betreuung einstellen kann und damit meine eigene Arbeitszeit oder freie Zeit planen kann. Es gibt so viele Faktoren, von denen die verlässliche Betreuung abhängt. Die Vereinbarkeitslüge in normalen Familien wird bei uns zum gordischen Knoten – und von meinem Ziel, 20 Stunden in der Woche zu arbeiten, bin ich noch weit entfernt.
Wie sieht dein Arbeitstag aus? Unter welchen Bedingungen kannst du Job und Familie miteinander vereinbaren?
Wenn alles gut läuft und die Kinder betreut sind, fange ich gegen 9.30 Uhr an zu arbeiten, entweder zu Hause an meinem Schreibtisch oder in den Räumen meines jeweiligen Auftraggebers. Zum Glück ist der zurzeit nur zehn Fahrradminuten von uns entfernt. Dann arbeite ich etwa drei bis vier Stunden. Momentan an drei Tagen die Woche. Die anderen Vormittage bin ich mit organisatorischen Dingen rund um Kinder und Haushalt beschäftigt. Das können Gespräche mit der Kita oder der Familienhelferin sein, Termine zum Anpassen irgendwelcher Hilfsmittel, Telefonate mit Ärzten, oder oder oder.
Nach der Mittagspause und diversen Erledigungen hole ich meine Tochter entweder um 15.30 Uhr aus der Kita, um rechtzeitig um 16 Uhr zur Übergabe von Ole wieder zu Hause zu sein. Oder ich lade Ole kurz vor 16 Uhr in den Fahrradanhänger oder ins Auto, hole dann Marie ab und dann gehen wir noch zusammen auf den Spielplatz, das Flugfeld oder in die Hasenheide.
Wenn ich Ole ohne Pflegedienst zu Hause habe, kann ich nur hier und da mal eine halbe Stunde oder Stunde Arbeit einschieben, immer mit schlechtem Gewissen, wenn ich sehe, dass er vor Langeweile einschläft oder sich monoton hin und her wirft.
Wieviel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben?
Mein Mann und ich haben jeweils zwei freie Abende in der Woche, an denen der andere für die Kinder zuständig ist. An einem Abend gehe ich in eine Art therapeutische Gruppe, in der ich viel reden und in mich hineinfühlen kann. An dem anderen Abend hänge ich dann doch oft müde zu Hause auf dem Sofa, gehe aber auch mal ins Kino oder treffe Freundinnen. Außerdem gehe ich einmal im Monat mit sehr netten Menschen wandern, ohne Kinder und ohne Mann. Und ich versuche, gerade in einen Chor einzusteigen, der sich monatlich trifft. Dabei kann ich eine ganz andere Frau sein, als die Managerin, die alles im Überblick und im Griff hat (oder zu haben scheint).
Im Moment bin ich ganz zufrieden mit meiner Freizeit. Mich treibt eher um, ob ich ab August so arbeiten kann, wie ich das möchte.
Fühlst du dich als Familie – speziell mit behindertem Kind – ausreichend von Politik und Gesellschaft unterstützt?
Wie schon beschrieben wünsche ich mir als Mutter eines behinderten Kindes UND als freiberuflich Tätige eine zuverlässige Kinderbetreuung. Mein Mann arbeitet Vollzeit und sichert damit unsere Existenz, kann dadurch aber nur ab und an mal tagsüber einspringen, wenn ich zu einer Veranstaltung oder Weiterbildung gehen möchte. Ist das behinderte Kind nicht krank genug, fühlt sich die Krankenkasse nicht mehr zuständig. Das Jugendamt sieht seine Aufgabe mit dem Angebot eines Kitaplatzes erledigt. Viele behinderte Kinder sind im Schnitt aber deutlich häufiger und vor allem länger krank als andere. Für diese Zeiten habe ich noch keine Betreuungsangebote gefunden (Verhinderungspflege und zusätzliche Betreuungsleistungen sind gut, decken aber bei weitem nicht unseren Bedarf ab), sie behindern aber markant meine Möglichkeiten, regelmäßig und zielgerichtet zu arbeiten. Das setzt mir sehr zu, ich bin nicht die Mutter, die gern über Jahre bei ihren Kindern zu Hause bleibt. Ganz zu schweigen von der finanziellen Absicherung, die dadurch für mich immer unsicher ist.
Inklusion – was bedeutet das Wort für dich?
Ich merke es an meinem Kind sehr deutlich, wie wichtig die Idee der Inklusion ist. Sowohl für meinen Sohn ist es eine unglaubliche Bereicherung, ganz normal in der Kita dabei zu sein. Er liebt die Begegnung mit den anderen Kindern und sucht den Kontakt zu ihnen.
Fragen dazu stellen sich mir allerdings für die Schulzeit. Die Altersschere geht immer weiter auf, er ist immer noch in der Krippengruppe und könnte mit dem Alltag der großen Kitakinder nicht so viel anfangen, wie jetzt bei den Kleinen. Wie bekommen wir es hin, dass er in seiner alltäglichen Umgebung in einem sinnvollen Rahmen gefördert werden kann, ohne dass er überfordert ist? Und trotzdem in Kontakt mit anderen Kindern kommt? Ich glaube nicht, dass das in den Unterrichtsstunden einer Regelschule geht, würde mir und Ole aber wünschen, dass es solche alltäglichen Begegnungen gibt. Ich habe gehört, dass einige Waldorf- und Montessorischulen hier experimentierfreudiger sind.
Bist du die Mutter, die du sein wolltest?
Ich hatte eigentlich keine konkrete Vorstellung von mir als Mutter. Mir war und ist aber wichtig, bestimmte Werte zu vertreten – Gewaltfreiheit, Wertschätzung der Persönlichkeit des Kindes, Unterstützung in der Entfaltung. Ich hoffe, dass mir das gelingt.
Wenn Du die Zeit zurückdrehen könntest: Würdest Du etwas anders machen, als Mutter und/oder als Mensch?
Nein, es gibt nichts, was mir dazu einfällt. Frag mich in zehn Jahren noch mal, wenn meine Kinder pubertieren und mir meine Fehler vorhalten!
Manchmal denke ich, ob es uns an einem ländlicheren Wohnort noch besser gehen würde, aber angesehen davon, dass ich das Leben in der Stadt liebe, werden meine Familie und ich sehr getragen von dem sozialen Netzwerk, das wir hier haben, schon allein das möchte ich nicht mehr missen. Und die medizinische Versorgung ist hier in Berlin relativ zeitnah zu erreichen.
Ein Gegenstand deiner Kinder, den du ewig aufbewahren wirst?
Die jeweils ersten Kuscheltiere, die eine enge Freundin ihnen genäht hat. Sie tragen die Namen, die die Kinder in der Schwangerschaft hatten – Jim und Trixie. Die Tiere stehen mit ihren Namen im Nachhinein für alle Phantasien, Hoffnungen und Träume, die ich hatte, als ich schwanger war und noch nicht richtig wusste, wer Ole und Marie sind.
Welche Träume hast du? Für deine Kinder, deine Familie – und ganz persönlich für dich?
Oles vertrauensvolles Wesen und aber auch die Ausgeliefertheit, die seine Entwicklungsverzögerung mit sich bringt, sorgen immer wieder für Ängste bei mir. Ich wünsche mir aus tiefster Seele, dass Ole immer liebevolle Menschen um sich herum hat, die für ihn sorgen und sich im besten Sinne um ihn kümmern. Ich hoffe, dass mein Gefühl bleibt, dass unsere Familie stark ist.
Ich wünsche meiner Tochter, dass sie das Gefühl hat, sich so zu entfalten und gleichzeitig so geborgen zu sein, wie sie es braucht.
Ich träume von einem dritten Kind, gleichzeitig von beruflicher Weiterentwicklung und Erfüllung, vom Reisen, vom Zusammensein mit Freunden, von finanzieller Stabilität.
Was für ein tolles Interview. Es wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Vielen Dank.
Liebe Frauke!
Wie schön, hier von dir zu lesen! Ich freue mich sehr!
Auf bald – dann hoffentlich wieder im wirklichen Leben!
Liebe Mareice!
Ganz herzlichen Dank für die Fragebogen-Reihe! Sie ist toll! Jedes Mal, wenn ich einen neuen Fragebogen lese, bin ich begeistert und denke beim Lesen ganz oft “Ja genau! […] Ja! Das kommt mir so bekannt vor!” Es tut gut zu wissen, dass man nicht allein ist. <3
Liebe Grüße
Julia
Liebe Frauke,
schön, dass Du nach unserem email-Kontakt jetzt hier ein Gesicht für mich bekommen hast, nein, drei Gesichter… Von Herzen alles Liebe,
Hebamme Antje
Liebe Frauke,
danke, dass du mich auf diesen Block aufmerksam gemacht hast und deine Geschichte und Sichtweisen so auch mit mir teilst. Es war sehr schön und spannend dieses Interview zu lesen.
Und was für mich – mal wieder – unverständlich ist: Alle Welt redet von Inklusion, aber wenn man – wie du – tatsächlich den bescheidenen Wunsch hat, entsprechend des Inklusionsgedanken zu leben (also nicht abgeschottet von der Außenwelt nur für das Kind da zu sein z.B.) fehlen dazu die Mittel und die Infrastruktur. Nach dem, was ich so theoretisch über Copingstrategien und Resilienz gelernt habe, seid ihr ein “Paradepraxisbeispiel” ;-). Dass euch dabei noch solche behördlichen und strukturellen Steine in den Weg gelegt werden, tut mir leid.
Mögen sich deine Träume und Wünsche erfüllen!
Ganz liebe Grüße!
Dörte
Die Interviewreihe als solches ist schon sehr berührend, inspirierend und emotional immer wieder ein Volltreffer.
Dieses Mal jedoch hat mich am meisten das Foto der beiden Geschwister geflasht – es drückt soviel Liebe, Hingabe & Wärme aus, dass ich doch glatt ein bisschen weinen musste.
Danke für dafür…
Liebste Grüße von Simone und Magdalena (V.a. frühkindlichen Autismus oder Rett-Syndrom oder, oder, oder…)
Danke für die “Und wie machst du das”-Reihe. Danke für das fröhliche Interview mit dir, Frauke. Es ist so schön, die ganzen Spezialmamas zu sehen, die doch vor allem eins sind: Ganz normale Menschen mit Kindern, die geliebt werden. “Hauptsache geliebt”, wie Sandra Roth es in “Lotta Wundertüte” beschreibt. Alles Liebe, Katharina mit Lucky Luke (T21)
liebe Frauke , deine Worte berühren mich sehr und ich bin froh , dass ich so eine tolle Frau kenne wie dich. Ihr begegnet eurer Situation in einer bewundernswerten Art und Weise . Ich wünsche euch immer viel Kraft für die schwierige Aufgabe in eurem Leben. Trotzdem sollen auch immer viel Freude und Glück bei euch sein.
Herzlichst Birgit mit lieben Grüssen von den anderen Luthers