Gastbeitrag:
Gedanken-Galopp

by Mareice Kaiser

Mareice Kaiser
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Manchmal, wenn mich ihre Besserwisserei, ihre Ignoranz und Selbstgefälligkeit oder ihr klebriges Mitleid wirklich richtig wütend machen, dann wünsche ich ihnen ein schwer mehrfach behindertes Kind an den Hals. Nur mal so, für einen kurzen Moment. Für einen Tag vielleicht, eine Woche oder auch ein halbes Jahr.

Natürlich wüssten sie nicht, dass diese Situation nur für einen begrenzten Zeitraum ist. Sie sollten denken, es sei für immer.

Aber wie im Märchen gäbe es doch die Möglichkeit, alles wieder rückgängig zu machen. Sie müssten bloß das Kräutlein Behindi-Stop finden. Und wenn sie Glück hätten, dann hätten sie vielleicht die sprechende Gans Mimi, die das Kräutlein kennt. Alle anderen aber, die fänden das Kräutlein nur, wenn sie viele viele viele Prüfungen bestanden hätten:

Ein nicht laufendes Kind vielfach am Tag von A nach B nach C transportieren, während die Kräfte kleiner werden und das Kind größer.

Einem Kind die quälende Angst nehmen, wenn es gar nicht äußern kann, wovor es Angst hat.

Eine fremde Sprache erlernen, für die es nirgendwo auf der Welt auch nur einen Übersetzer gibt.

Nicht nur die ersten drei Jahre, sondern das ganz Leben lang bei auch dem kleinsten Einkauf einen Kinderwagen schieben und gleichzeitig den Einkaufskorb mit der Milch, den Kartoffeln, den Äpfeln und den eingelegten Früchten durch den immer größer erscheinenden Markt 
zu schleppen.
(Warum gibt es dafür noch keine praktikable Lösung? Der Markt, der sich hier was einfallen lässt, wird sich der Dankbarkeit 
aller Eltern auf immer sicher sein können.)

Immer und immer wieder die gleiche Frage beantworten: Hat man das denn vorher nicht gewusst?

Sich fragen, was die Zukunft für das Kind bringen wird, wenn man mal nicht mehr da ist, um es vor dem Unbill des Lebens zu beschützen.

Erkennen, das man dafür keine Vorsorge treffen kann.

Verstehen, das man manche Freunde verliert
und manche dazu gewinnt.

Verstehen, dass man immer irgendwie anders sein wird, so sehr man sich auch bemüht, genau so wie die anderen zu sein.

Erkennen, das viele Menschen inklusiv denken,
solange es ihre Vorstellungen vom Leben nicht behindert.

Über Umwege lernen, dass man auch anders zum Ziel kommen kann, aber manche Ziele nicht erreichbar sind.

Sehen, wieviele Bahnstationen noch immer nicht alleine zu erklimmen sind.

Überall immer erst beweisen müssen, wie behindert das Kind ist, nur um dann manchmal zu hören, dass es da und dafür leider viel zu behindert ist.

Immer und überall im Mittelpunkt des nicht immer angenehmen Interesses sein und sich dagegen am Besten mit Blickdichte wappnen.

Erkennen, dass alles eher schwerer denn leichter wird.

Besonders, wenn das Prädikat niedlich von niedlich und behindert wegfällt.

Angst haben, dass das Kind sterben könnte, egal, wie sehr man es umhegt,
weil man vielleicht irgendetwas übersehen hat und angesichts der Sprachlosigkeit nicht darüber sprechen konnte.

Und wenn sie von all den Prüfungen dann so richtig erschöpft und
verzweifelt sind, dann wäre es von heute auf morgen vorbei und alles wieder so wie vorher.

Und die Moral von der Geschicht?
Die gibt es eigentlich nicht.

Aber eine üble Grantigkeit, die lässt sich so im Gedanken-Galopp ganz herrlich besänftigen. Und außer einem magischen Blitzen bleibt wohl nichts zurück.

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Text: Karoline Burgmann

8 Kommentare zu “Gastbeitrag:
Gedanken-Galopp

  1. Pingback: Links zum Wochenende: Kind mit Behinderung zum Ausprobieren, Poetry Slam, was hinterlasse ich meinen Kindern, wenn ich sterbe? | ringelmiez

  2. wunderbar. und es gibt sie da draußen, diese menschen, die nicht betroffen sind, die aber alles dafür tun wollen, was in ihrer macht steht, um das alles zu schaffen und auch schön zu machen. versprochen!
    liebe grüße,
    jule*

  3. Das ist mir aus der Seele gesprochen, nur ob man den Kindern auf Zeit dieses antun müsste weiß ich nicht. Denn dann wären sie einmal mehr Versuchskaninchen.
    Und die Eltern auf Probe würden sich ihre Wunden lecken und jammern. Aber jetzt erst Recht, heißt die Devise. Zusammenbrechen kann man ja später, Jahre später immer noch! Diese Kinder brauchen Robin Hood und nicht jemanden, der selbst erst gerettet werden muss oder möchte.

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