Und wie machst du das, Antje?

by Kaiserin

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Name: Antje

Alter: 37 Jahre

Mutter von:
Tochter 1 (13 Jahre), Tochter 2 (12 Jahre), Tochter 3 (6 Jahre), Kleiner Prinz (2 Jahre)

Eigentlich wohnen wir in einem kleinen Dorf in Sachsen. Eine hügelige Gegend, 40 Minuten von Dresden, sechs Autominuten von der nächsten Einkaufsmöglichkeit entfernt. Mit dem Fahrrad (plus Kindersitz oder Hänger) ist es spätestens auf dem Heimweg eine echte Kraftprobe. Wir haben ein schönes, großes Haus mit großem Garten. Feld und Wald sind gleich hinter der Hecke.
Seit einem Jahr und für ein weiteres leben wir in Changchun/China. Wir wohnen in einer Doppelhaushälfte in einem so genannten „deutschen Dorf“, in dem viele Leute aus Deutschland, aber auch viele Menschen anderer Nationalitäten leben. Das Haus ist so geräumig, dass jedes Kind sein eigenes Zimmer bekommen hat. Es ist ein abgeschlossenes Wohngebiet, das auch überwacht wird. Wir sind umgeben von einem großen Park und ganz in der Nähe gibt es zwei Seen.

Beruf: Kinderkrankenschwester

Berufung: Ich liebe Kinder, ich beschäftige mich gern mit ihnen und dank der Berufserfahrung pflege ich auch gern meine (behinderten) Kinder.

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Wie war dein Leben, bevor deine Kinder kamen?
Aus dem Jetzt betrachtet, war mein Leben einfach nur eintönig und langweilig. Ich habe in drei Schichten und jedes zweite Wochenende gearbeitet und wenn ich frei hatte, habe ich meine Zeit mit Freunden verbracht. In meiner Freizeit habe ich kreativ gearbeitet und genäht. Urlaub haben wir an der Ostsee gemacht, damit war ich zufrieden und glücklich.
Nach sieben Jahren Kennenlernzeit mit meinem Mann hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlt. Kinder! So kam Kind eins und kurz darauf Kind zwei und mein Leben kam erst richtig in Fahrt. Wir bauten unser Haus, ich bekam meinen Traumjob auf der Intensivstation und wir lebten und arbeiteten mit den Kindern ein Jahr in China. Danach kam Kind drei und die Welt blieb kurz stehen.
Wir rappelten uns auf und begannen zu kämpfen. Als meine große Aufgabe sah ich es an, die kleine Seele unserer Tochter zu schützen. Sie sollte nicht im Klinikalltag mit immer wechselndem Personal, Schmerzen und Einsamkeit untergehen. Außer auf der Intensivstation ließen wir sie keine Minute allein. Ich versorgte sie komplett und auch bei kleinen Eingriffen im OP war immer einer von uns Eltern mit am OP-Tisch.

Wie sieht dein Alltag heute aus?
Dreizehn Jahre und vier Kinder später: Es war eine riesige Anstrengung, nach China zu gehen, mit all der Planung und der Organisation. Hier angekommen, ist es eine schöne Zeit.
Unser Tag beginnt um fünf Uhr und wir teilen uns die Arbeit. Ich bereite das Frühstück und mein Mann versorgt Tochter 3 mit der Darmspülung und dem Katheterisieren. Die Großen werden geweckt und auch der kleine Prinz ist dann schon bald mit von der Partie. Ich hole Tochter 3 von der Toilette und mache sie für die Schule fertig. Auch das Täschchen für die Sachen zum Katheterisieren in der Schule muss gepackt werden. Nach dem Frühstück werden die drei großen Mädchen vom Schulbus abgeholt.
Wenn Ruhe einkehrt, beschäftigte ich mich mit unserem Jüngsten. Ich bin seine Ergo-und Sprachtherapeutin in einem. Im Sommer waren wir in Deutschland bei den uns schon bekannten Therapeuten und diese haben mir Therapieanleitungen gegeben. Ich mache logopädische und ergotherapeutische Übungen mit ihm. Es klappt mal mehr, mal weniger gut. Ich mache weder mir, noch ihm Druck, so dass wir es sehr gemütlich angehen und immer Spaß dabei haben. Ich versuche ihm auch spielerisch Gebärden (GUK) beizubringen, was unsere Verständigung erheblich verbessert.
Zweimal die Woche kommt eine portugiesische Physiotherapeutin und macht mit ihm Übungen. Ihr verdanken wir den ersten großen Schritt vom Robben zum Krabbeln.
Der kleine Prinz hat eine feste Tagesstruktur, die Zeiten für Mittagessen und Mittagschlaf sind immer gleich. Mittagessen bereite ich vor, Essen geben und ins Bett bringen übernimmt häufig unsere Haushaltshilfe. Das ist dann meine Zeit. Wenn keine Besorgungen anstehen, gehe ich in dieser Zeit Laufen oder besuche einen Sportkurs.
Um 13 Uhr mache ich dann schon erste Vorbereitungen für das Abendessen. Da ich jeden Abend koche, bereite ich schon mittags das Essen vor, damit ich nachmittags Zeit für die Kinder habe.
Um 14 Uhr kommt dann Tochter 3 nach Hause. Zuerst muss sie katheterisiert werden und anschließend werden Hausaufgaben gemacht. Oft kommen Kinder zu uns zum Spielen, dann wird das Haus voll.
Zwischen 16 und 17 Uhr kommen die großen Mädchen nach Hause. Die haben natürlich viel zu berichten und es ist oft schwierig, allen gerecht zu werden. Der Prinz ist quengelig, Tochter 3 hat Hunger und die großen sprechen oft gleichzeitig von ihrem Schultag.
Um 18 Uhr gibt es dann Abendessen, bei dem auch meistens mein Mann teilnehmen kann. Das muntere Geschnatter geht dann fröhlich weiter.
Um 19 Uhr sind dann die Kleinen im Bett verschwunden. Die großen Töchter haben oft noch Hausaufgaben zu erledigen oder die ein oder andere Sache, die mit uns Eltern besprochen werden muss.
Einmal in der Woche haben wir Chinesisch-Unterricht gleich nach dem Abendessen, der dann von 19 Uhr bis 20:30 Uhr geht.
Ab 21 Uhr ist dann meist Ruhe eingekehrt und wir könnten müde ins Bett fallen. Nur noch schnell die Planung für den nächsten Tag und die vielen tausend Dinge, die sonst noch anliegen.

Wann und wie hast du von der Behinderung deiner Kinder erfahren?
Bei Tochter 3 wurde in der 13. SSW beim Erst-Trimester-Screening eine Zyste an der Scheide entdeckt. In dem Moment war noch nicht klar, was da auf uns zukommt. Ich glaubte immer noch an die Pränataldiagnostik und daran, dass die moderne Medizin es schon richten wird. Ich hatte es in der Ausbildung so gelernt und war davon überzeugt. Heute bin ich es nicht mehr.
Es wurden Fruchtwasserpunktion, Degum-3-Ultraschall in Berlin und viele weitere Ultraschalluntersuchungen durchgeführt.
In der 21. SSW wurde dann gesagt, es sei eine Hautzyste, die man problemlos nach der Geburt entfernen könnte und dann wäre alles gut. “Alles gut…” Das war, was wir hören wollten. Keine großen Fehlbildungen, alles super. Bis dahin war meine größte Sorge, dass wir unseren großen Töchtern kein krankes Geschwisterchen antun wollten. Sie sollten nicht dieses Leid miterleben und die unzähligen Klinikaufenthalte. Ich war vorgeschädigt. Ich selbst habe viele Wochen am Klinikbett meines Bruders verbracht – auch in den Ferien. Das wollte ich nicht für meine Kinder. Aber es sollte alles anders kommen.
Im Laufe der Schwangerschaft kamen immer mehr Schlechtmeldungen, immer mehr Symptome, die für eine schwerwiegendere Krankheit sprachen. Zuviel Fruchtwasser, luftgefüllte Darmschlingen… Bis zur Geburt blieb aber die furchtbare Ungewissheit, denn es konnte uns niemand sagen, was das Kind hat.
Nach 30 Stunden Geburt war klar, dass nicht alles gut ist. Sie war schon ganz blau und wurde mir sofort weggenommen und die Kinderärzte versorgten sie. Auch da glaubten wir noch, die Medizin wird es schon richten. Wir werden die Fehlbildungen operieren lassen und alles ist gut, dachte ich.
Sechs Jahre, zehn große OPs und 60 Vollnarkosen später ist nicht alles gut und wir wissen, dass die Ärzte keine Götter in Weiß sind und auch die Medizin ihre Grenzen hat.

Der Wunsch, noch ein Kind zu bekommen, war durch nichts zu erschüttern, sodass ich noch einmal schwanger wurde. Ein Erst-Trimester-Screening habe ich nicht machen lassen, denn wir wollten nicht wieder in den Strudel der Pränataldiagnostik gezogen werden. Für die Feindiagnostik entschieden wir uns dann doch, um zu sehen, ob alle Organe gesund sind. So war es dann auch. Also blieb mir der Wunsch einer glücklichen Schwangerschaft und es verlief alles unauffällig. Nach dem Kaiserschnitt bekam ich meinen Sohn und es war ein unsagbares Gefühl. Mein Kind im Arm zu halten – gesund. Nichts konnte uns in dieser Glückseligkeit stören. Einen Tag lang hatten wir ein gesundes, nicht behindertes Kind. Die Ärzte ließen uns in dem Glauben. Die lange spitze Zunge und die dicke Nackenfalte sahen wir schon, aber wir hatten doch schon ein behindertes Kind, das ist eine individuelle Besonderheit, dachten wir. Aber schon am nächsten Tag wurde uns mitgeteilt, dass der Verdacht auf Trisomie 21 besteht. Das Gefühl spüre ich jetzt noch. Ich saß auf einem unbequemen Hocker, mein Mann stand neben mir. Ich wollte es einfach nicht wahr haben.
Das kann doch gar nicht sein! Das schaff’ ich nicht! Wo kann man die Kinder umtauschen? Rückgaberecht? Ich habe keine Kraft für noch ein behindertes Kind! Das ist unmöglich! Sie müssen sich irren!
Ja, da standen wir nun. Der kleine Prinz mit Augenbinde unter einer Blaulichtlampe liegend. Wir konnten es nicht verstehen. Es war ein Gefühl der Ohnmacht, ich hatte das Gefühl, als hätte ich eine Ohrfeige bekommen. Als wäre das meine Strafe dafür, dass ich mir nichts sehnlicher als noch ein gesundes Kind gewünscht habe. Habe ich das Glück zu sehr herausgefordert?
Eine Frage, die wir nie beantwortet bekommen werden und doch werde ich sie immer wieder drehen und wenden, wenn der Himmel mal wieder voller Wolken hängt.

Inwiefern sind deine Kinder behindert und welches Handicap wiegt für dich am schwersten?
Tochter 3 hat einen Zusammenschluss von komplexen Fehlbildungen. Das nennt sich VACTERL-Assoziation:
V – Vertebrale Anomalien/ Fehlbildungen der Wirbelsäule (vertebral). Unsere Tochter hat kein Steißbein und ein verkümmertes Kreuzbein. Dadurch kommt es zu einer nur unzureichenden nervalen Ansteuerung der Schließmuskeln.
A – Anale und Aurikuläre Anomalien/ Fehlbildungen des Afterbereiches z. B.: Analatresie (Verschluss des Afters/ kein Poloch), Kloakenfehlbildung = Anus + Scheide + Harnröhre haben einen Ausgang. Trotz Neuanlage der Ausgänge ist keine Harn- und Stuhlkontinenz möglich
T – Tracheo-ösophageale Fistel/ Verbindung zwischen Luft- und Speiseröhre
E – Ösophagusatresie (engl.: esophagus)/ Speiseröhrenverschluss

Es können auch noch Fehlbildung am Herz (C), an den Nieren (R) und an den Gliedmaßen (L) auftreten. Diese betreffen uns aber nicht.

Es ist mitunter sehr schwer, die Stuhlinkontinenz handzuhaben, da unsere Tochter eigentlich permanent unter Durchfall leidet und diesen auch gar nicht halten kann. Das ist vor allem schwierig, wenn sie in der Kita ist oder wir einen Ausflug machen. Wir müssen immer einen Platz zum Wickeln finden und wenn es einmal anfängt, kann es schon vorkommen, dass im Zehnminutentakt immer wieder Stuhlgang abgeht. Auch alle diätetischen Vorsichtsmaßnahmen haben noch zu keinem hundertprozentigem Erfolg geführt. Die Darmspülung am Morgen ermöglicht eine soziale Kontinenz, sodass es die meiste Zeit am Vormittag keine Zwischenfälle gibt. Es wird sie ein Leben lang begleiten und ich hoffe, dass sie immer auf ein rücksichtsvolles Umfeld trifft und nicht mit Spott oder Gelächter gestraft wird.

Unser kleiner Prinz ist ein gesunder lieber Junge mit dem Down-Syndrom (Trisomie 21). Mit 2 1/2 Jahren läuft er jetzt wackelig kurze Strecken, ist recht pfiffig und wir verständigen uns mit einigen Gebärden sehr gut. Bei ihm beunruhigt mich die Zukunft, da ich noch nicht weiß, wie selbständig er später sein Leben bestreiten wird.

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„Eine Mutter liebt am stärksten ihr schwächstes Kind“, so lautet ein schwedisches Sprichwort. Stimmt das?
Ich wüsste nicht, warum ich meine beiden großen, gesunden Kinder weniger lieben sollte, als meine zwei behinderten Kinder. Tochter 3 ist wahrscheinlich auch die stärkste von allen, so wie sie von der ersten Sekunde ihres Lebens an kämpfen konnte.
Ich habe mal einen schönen Spruch gehört: “Die Liebe wächst einfach mit jedem Kind mit, sodass sie immer für alle reicht”.
Es gibt mit gesunden wie auch mit behinderten Kindern Sorgen und Streit, aber am Ende überwindet die Liebe alles. Meine Liebe teile ich einfach durch fünf, denn auch mein Mann soll nicht zu kurz kommen.

Welches ist dein glücklichster Moment am Tag mit deinen Kindern? Welches der anstrengenste?
Der glücklichste Moment ist dann, wenn ich mir für jedes Kind etwas Zeit nehmen kann und mit ihm in Ruhe die Sorgen und Tageserlebnisse besprechen kann (besonders die der großen Töchter).
Tochter 3 ist ein sehr dankbarer Mensch. Und wenn wir nach einem Jahr mit vielen Klinikaufenthalten mal wieder ins Schwimmbad gehen und sie sagt: „Mama, das ist der schönste Tag in meinem Leben!“ Was will man mehr? Ich wische mir die Träne heimlich weg und bin soooo glücklich.
Der kleine Prinz schenkt mir eines seiner umwerfenden Lächeln und mein Herz hüpft in die Höhe.
Am anstrengendsten ist für mich der Abend. Mein Akku lässt nach und es gibt noch tausend Kleinigkeiten, die jeder noch erledigt haben will. Wenn nach 21 Uhr endlich langsam Ruhe eintritt, ist das ein schönes Gefühl.

Wie ist bei euch die Kinderbetreuung organisiert?
Ich bin mit der Kinderbetreuung zufrieden. Den Hauptteil übernehme ich, aber auch mein Mann hilft, wo er kann, wenn er zu Hause ist. Wir haben hier in China auch ein liebes Kindermädchen, das mich sehr entlastet.

Wie sieht dein Arbeitstag aus?
Seit Tochter 3 auf der Welt ist, bin ich nicht mehr arbeiten gewesen. Es wäre die ersten Jahre gar nicht möglich gewesen.
Ich kann und will auch nicht mehr in meinem Beruf arbeiten, da ich einfach das Vertrauen in die Medizin verloren habe und ich schon so viel Leid ertragen habe, dass ich nicht in der Lage wäre, Kinder medizinisch zu versorgen und ihnen Schmerzen zuzufügen, um welche man einfach nicht drum herum kommt. Das würde mir mein Herz zerreißen. Ich könnte auch nicht hinter dem Handeln der Ärzte stehen. Da viel zu oft auch die Ärztin/der Arzt nicht weiß, ob es das Richtige ist, was er/sie tut.

Wie viel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben?
Im Moment genieße ich die Zeit zu Hause sehr. Ich habe das Glück, mich nur um die Kinder und das Kochen kümmern zu müssen, da wir eine Haushaltshilfe haben, die mir beim Haushalt kräftig unter die Arme greift. Ich habe mehrere Vormittage Zeit, Sport zu treiben oder auch mal bummeln zu gehen. Viel Zeit verwende ich auch für die Planung unserer Reisen hier in China, da wir das Land, in dem wir wohnen, auch erkunden wollen und die Menschen noch besser kennen lernen möchten.

Fühlst du dich als Familie – speziell mit behindertem Kind – ausreichend von Politik und Gesellschaft unterstützt?
Ich denke, es wird viel getan für Familien und auch für uns als Familie mit behinderten Kindern. Es fliegt einem aber nichts zu, man muss sich ständig selbst erkundigen und versuchen, in jeder Richtung Informationen einzuholen. Wir hatten Glück, dass in unserer Entbindungsklinik sehr engagierte Sozialarbeiter*innen tätig waren, die uns sogar beim Ausfüllen der Anträge (Pflegestufe und Schwerbehindertenausweis) geholfen haben. Unser größtes Glück ist aber die Sachbearbeiterin unserer Krankenkasse. Sie hat uns vom ersten Tag an sehr unterstützt.
Um junge Eltern von behinderten Kindern zu informieren, muss noch viel getan werden. Anträge auszuteilen ist das kleinste Problem. Aber krankheitsspezifisches Infomaterial gleich in der Klinik zu bekommen, überschreitet den Kompetenzbereich der Pflegekräfte oder des Sozialdienstes. Ich denke, via Internet ist es immer noch am einfachsten, Informationen zu bekommen, auch wenn das sehr zeitaufwendig ist.
Wünschenswert wäre, wenn die Bürokratie um ein behindertes Kind reduziert werden könnte. Aber darauf müssen wir in Deutschland wohl noch lange warten.

Inklusion – was bedeutet das Wort für dich?
Ich denke, wenn immer mehr Familien mit behinderten Kindern sich nicht zurückziehen, sondern sich heraus trauen an die Öffentlichkeit, ist schon viel getan. Wenn immer mehr Menschen mit „Normal Syndrom“ die Möglichkeit haben, mit behinderten Menschen zusammenzukommen, dann wird sich auch für unsere Kinder in den nächsten Jahren einiges zum Positiven ändern. Die Mütter müssen weiter für die Rechte ihrer behinderten Kinder kämpfen. Die Rechtsgrundlage wurde mit der UN-Behindertenrechtskonvention geschaffen und nun ist das die Chance, dass es besser werden kann.
Wenn die Eltern behinderter Kinder Aufklärung betreiben, um die Ängste abzubauen und aufzeigen, welche Bereicherung es ist, einem behinderten Kind die Möglichkeit zu geben dazuzugehören, dann kann sich etwas ändern.

Bist du die Mutter die du sein wolltest?
Ja, eindeutig ja. Ich wollte viele Kinder. Ich habe unendlich viel Kraft, von der ich vorher noch nichts wusste. Deshalb habe ich auch nur kurz daran gezweifelt, ob ich es schaffen kann. Und so wie es ist, soll es sein.

Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest: Würdest Du etwas anders machen, als Mutter und/oder als Mensch?
Es ist gut, dass es nicht geht. Sonst hätte ich vielleicht nicht den steinigen Weg genommen. An jedem Meilenstein, an jeder Aufgabe, wachsen wir. Ich wäre sonst nicht die, die ich bin, wenn ich nicht mit unserer Tochter diesen Kampf am Anfang ihres Lebens durchgemacht hätte. Small Talk mit mir ist jetzt sicher schwieriger, da ich mich nicht mehr übers Wetter aufrege, denn ich weiß, es gibt weitaus wichtigere Dinge im Leben. Aber es ist gut so.

Ein Gegenstand Deiner Kinder, den du ewig aufbewahren wirst?
Wir haben für unsere erste Tochter ein altes Babybett aus dem Nachlass einer alten Nachbarin restauriert und wieder aufgebaut. Da haben jetzt alle unsere Kinder drin geschlafen und das werden wir vielleicht auch an die nächste Generation weitergeben können.
Tochter 3 hat seit der Geburt eine Marienkäferspieluhr. Diese Spieluhr werden wir aufheben und sie wird uns an die unzähligen Klinikaufenthalte erinnern – denn der Käfer durfte nie fehlen.
Vom kleinen Prinzen werde ich seine ersten Gummistiefelchen aufheben. Er hat mit 2 1/2 Jahren erst Schuhgröße 20 und fahrt mit diesen kleinen Stiefeln so schnell Bobby-Car, dass einem ganz anders wird. Sie werden mich immer an die Geduld erinnern, die wir aufbringen mussten, bis er dann doch seine ersten Schritte gehen konnte.

Welche Träume hast du?
Durch unsere behinderten Kinder haben wir gelernt, anders zu träumen. Es ist nicht vorrangig, besser, höher, weiter zu kommen – den besten Schulabschluss oder den tollsten Arbeitsplatz zu bekommen. Man kann auch mit weniger glücklich sein. Wir sind als Familie zusammen, wir helfen uns, wir stärken und stützen uns gegenseitig. Das macht uns glücklich. So soll es bleiben. Das ist mein Traum.
Meinen Töchtern 1 und 2 wünsche ich Durchsicht, auch auf die dunkle Seite des Lebens (Leid und Schmerz der Schwester, Klinikaufenthalte, Zurückstecken im Alltag). Dass sie daran wachsen und, dass sie noch einmal mehr wissen, wie kostbar Gesundheit ist.
Tochter 3 wünsche ich ein rücksichtsvolles Umfeld und, dass wir sie stark genug gemacht haben für alles, was noch auf sie zukommt.
Unserem kleinen Prinzen wünsche ich, dass die Inklusion Früchte trägt und er seine fröhliche Art nicht verliert.
Ich wünsche mir, dass meine Ehe mindestens genauso glücklich bleibt, wie sie ist.
Persönlich wünsche ich mir, dass meine Berufung mir zu einem neuen Tätigkeitsbereich verhilft und ich zu gegebenem Zeitpunkt auch noch eine zweite Chance im Berufsleben erhalte.

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Nachtrag:
Nachdem ich nur den Trailer von “24 Wochen” gesehen habe, wusste ich, dass ich unbedingt beim Mutterfragebogen mitmachen muss, um die Schattenseiten aufzeigen. Aber auch um das, was gut ist, was uns wachsen lassen hat, was uns stark gemacht hat und zusammen geschweißt hat, zu zeigen. Manchmal muss man den steinigen Weg gehen, um eine Art Befreiung zu erleben. Uns kann nichts mehr umwerfen – es ist total verrückt. Ich habe manchmal das Gefühl zu schweben. Alle, die meckern, bekommen eine positive Anmerkung. Oft wird schon gesagt: „Ach, du bist mit Antje unterwegs, dann ist eh alles gut, sie ist immer positiv.“ Das ist manchmal auch erschreckend. Andererseits gibt es wenige Sachen im normalen Leben, über die es sich lohnt Trübsal zu blasen.

Es gab viele Tage voller Leid und wir haben wirklich nur noch ein ganz kleines Lichtlein am Ende des Tunnels gesehen. Wenn man aber den Schmerz annimmt und kämpft, kommt irgendwann die Erleichterung und wir versuchen unserer Umgebung von dieser Leichtigkeit etwas abzugeben.

Noch ein Wort zu den Geschwistern:
Es hat ihnen nicht geschadet mit zwei behinderten Geschwistern aufzuwachsen. Im Gegenteil! Sie lieben ihre Geschwister über alles. Sie sind natürlich sehr schnell erwachsen geworden, sehr reif und weise für ihr Alter. Wir werden oft gefragt, wie wir solche tollen Kinder aufgezogen haben. Das ist eine große Freude. Sie hatten keine leichte Kindheit. Aber sollten wir immer den einfachsten Weg gehen und die leichtesten Aufgaben herauspicken?
Im Nachhinein war es gut für uns alle. Wir sind einen sehr schweren Weg gegangen. Gemeinsam! Wir haben es alle zusammen geschafft und das ist ein großartiges Gefühl, was uns hoffentlich immer erhalten bleibt.

Ich weiß, dass wir noch viele Meilensteine überwinden müssen. Aber wir werden nie die Hoffnung aufgeben. Wir genießen den Moment und werden kämpfen und, wenn es nötig ist, Menschen finden, die auch nach unserer Zeit gut für unsere Kinder sorgen. Daran glaube ich ganz fest. Und das lasse ich mir von niemandem nehmen.

Herzlichen Dank, liebe Antje! Noch mehr Mütterfragebögen gibt es hier.

 

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6 Kommentare zu “Und wie machst du das, Antje?

  1. Antje ich finde Dich bewundernswert wie Du das alles schaffst. Ich bin selbst Betroffene mit Kloakenmalformation. Und habe die ganzen Krankenhausgeschichten erlebt. Ich wünsche Dir Antje und Deiner Familie weiterhin viel Kraft. Und auch der kleine Prinz wird mit Deiner Hilfe seinen Weg machen.
    Lieben Gruß
    Petra

  2. Hallo zusammen !

    Liebe Mareice,
    wie schön, dass du deine Interview-Reihe wieder aufgenommen hast !

    Liebe Interviewpartnerinnen,
    vielen Dank für eure interessanten Beiträge und die Einblicke in euren Alltag und euer Familienleben !
    Sehr gern gelesen !

    LG Nikki

  3. Danke!Es berührt mich immer wieder zu wissen,dass ich nicht alleine bin…habe auch zwei besondere Kinder und bin sehr sehr dankbar über beide…

  4. Tolles Interview, hätten meine Worte sein können. Wir haben einen Sohn mit einer operierten Analatresie und eine Tochter mit dem Angelmansyndrom. Kind Nummer 4 ist auf dem Weg und ich erkenne so viele Parallelen. Sei es die Pränataldiagnostik oder Deine Wünsche für die Zukunft…. es tut gut, Deine Zeilen zu lesen. Alles Liebe, Shari

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