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Meine dreieinhalbjährige Tochter hat das Pitt Hopkins Syndrom, eine seltene genetische “Anomalie”, durch die sie mit muskulärer Hypotonie, Kurzsichtigkeit und anderen Dingen lebt.
Sie ist nonverbal, das heißt sie spricht (bisher) nicht. und sitzt im Rollstuhl. Viel zu oft muss (und möchte) ich von den Herausforderungen in ihrem und unseren Leben durch ihre Behinderung erzählen aber es ist mir wichtig, auf diesem Blog auch einmal einen Einblick in einen ganz gewöhnlichen, unspektakulären Tag in unser Leben zu geben denn “normal” sieht für uns alle anders aus:
Heute Nacht hat Klara in meinem Bett übernachtet, weil sie nach dem Abendessen beim Kuscheln direkt eingeschlafen ist, als ich kurz nicht hingeschaut habe.
Sie weckt mich morgens, indem sie mir ihr kleines Patschehändchen aufs Auge schlägt und anfängt zu brummen. Sie brummt beim Aufwachen immer, wie ein Bär, der gerade aus dem Winterschlaf erwacht. Dann schlägt sie ihre Augen auf und strahlt mich an, sodass ich ihre große Zahnlücke in der Mitte der beiden Vorderzähne sehen kann, die ihrem Gesicht mit den runden Bäckchen und dem spitzen, kleinen Kinn eine fast unwirkliche, Püppchenhafte Niedlichkeit verleihen
Sie quiekt und streckt sich. Ich wechsle ihre Windel, stehe auf, gehe zur Toilette und bereite dann ihre Flasche mit dem hochkalorischen Shake zu, von dem wir Kistenweise vorrätig haben. Ich gebe ihr die Flasche immer im Liegen,. Dann kann sie sie selbst an den Henkeln halten und braucht mich nicht zum Trinken. Ich habe die Shakes auch schon probiert, da es sie in ansprechenden Geschmacksrichtungen wie Schokolade, Vanille oder Erdbeere gibt. Ich kann sie definitiv nicht empfehlen, aber Klara macht sich mit lauten Schlucken darüber her. Wenn sie fertig ist, macht sie immer laut und zufrieden “AHHHHHH” -wie früher in der Pepsi Werbung- und lässt die Flasche fallen. Ich habe ihr in der Zwischenzeit die Kleidung für heute ausgesucht: eine weit geschnittene Jeans, eine bunte Strumpfhose und ihre gelbe Clown Bluse, die einmal mir gehört hat. An den Füßen trägt sie ihre winzigen Sneakers. Ihre blonden, lockigen Haare sind mittlerweile so lang, dass sie immer in ihr Gesicht fallen, also binde ich sie zu zwei Zöpfen nach oben.
Wir setzen uns an den Esstisch, damit auch ich frühstücken kann. Klara sitzt in ihrem Rollstuhl mit dem schönen, bunten Speichenschutz , ich auf dem Stuhl. Klara zerrt wie immer an ihrer Brille, sodass sie mit dem Gummiband, das sie am Kopf fixiert verrutscht und ihr ganz schief und krumm auf der Nase sitzt. Ich muss lachen und sie lacht mit. Ich setze ihr die Brille richtig auf. Gegen Mittag kommt mein Freund vom Besuch bei seinem Kind nach Hause. Da es schön warm ist, setzen wir uns auf den Balkon und genießen die Aussicht. Er spielt Gitarre und Klara stimmt mit ihrem kleinen pinken Tamburin mit den roten Erdbeeren ein. Die beiden spielen so eine Weile. Sie hat große Freude daran. Ich trinke Kaffee und lächle.
Später fahren wir einkaufen, ich habe eine Liste geschrieben, damit ich nicht alles vergesse. Klara liebt Auto fahren und sitzt entspannt in ihrem Kindersitz. Sie schaut verträumt aus dem Fenster. Ich springe in den Supermarkt und mein Freund wartet mit ihr im Auto, weil das schneller geht und wir nicht so viel einkaufen müssen.
Als wir zurück kommen, ist Klara ein bisschen quengelig und ich lege sie in ihr Pflegebett, das ich zu einem richtigen Kuschelnest gemacht habe. Ich finde, sie sollte ein bisschen schlafen aber kaum abgelegt, ist sie anderer Meinung und plötzlich total fröhlich und aufgekratzt. Ich lasse sie ein bisschen im Bett spielen, sie spielt mit ihrer Lichtrassel und ich kann sie im Nebenraum quieken hören. Sie quiekt und kreischt immer fröhlich, wenn sie spielt. Mein Freund kocht Abendessen für uns beide und ich für Klara. Für uns gibt es veganes Curry und für Klara Süßkartoffel Brokkoli Püree mit Butter und Sahne. Ich würze ihren Püree, denn sie mag es überhaupt nicht mild und fade. Das Curry ist aber trotzdem etwas zu scharf.
Als ihr Abendessen fertig ist, hole ich sie aus ihrem Zimmer und füttere sie. Ich habe Glück, es schmeckt ihr diesmal sehr gut. Sie klatscht begeistert in die Hände und sperrt den Mund ganz weit auf, sobald sie mehr möchte.
Das Curry köchelt vor sich hin, wir Erwachsenen müssen noch etwas mit dem Essen warten. Für Klara ist mittlerweile bald Schlafenszeit und heute ist Samstag, also Duschtag. Ich fahre ihren Rollstuhl ins Bad, mein Freund hebt sie in ihren Badesitz und zieht sie aus. Sobald das Wasser läuft, fängt sie an zu lachen und klatscht in die Hände. Sie liebt das Duschen so. Sie versucht, den Wasserstrahl mit dem Mund einzufangen. Heute bekommt sie eine Haarkur, damit ich ihre Haare besser kämmen kann. Vom vielen Liegen sind manche Strähnen sehr schnell verfilzt und brüchig. Ich entscheide mich für eine Kur, die nach Feige und Kokos riecht.
Nach dem Duschen wickle ich sie in ihr Handtuch, hebe sie wieder aus dem Badesitz und bringe sie ins Pflegebett. Dort massiere ich sie mit Körperlotion und ein bisschen Lavendelöl ein. Sie brummt zufrieden. Sie mag feste Berührungen. Ich putze ihre Zähne und wie immer beißt sie mir beim Mund auswischen herzhaft in den Zeigefinger. Ich lächle gequält und bringe ihn in Sicherheit, sobald sie nachlässt. Ich ziehe die Vorhänge zu, gebe ihr einen Gute Nacht Kuss und schalte das Schlaflied ein.
Mein Freund kommt aus der Küche um ihr gute Nacht zu sagen. Wir löschen das Licht und gehen aus dem Zimmer. Beim Abendessen hören wir sie aus dem Babyphone aufgekratzt quieken und klatschen. Nach ein paar Sekunden ist es ganz still und wir hören nur noch leises, monotones Schnarchen. Ein letztes Mal schaue ich nach ihr, sie liegt auf der Seite, die Hände gefaltet, sieht so klein aus, in dem großen Bett und ihrem Schlafsack.
Ich gehe ins Wohnzimmer, mein Freund und ich schauen einen Film, bei dem wir beide einschlafen.
Heute war ein schöner Tag.
Hallo Jasmin,
danke schön, dass wir teilhaben durften an diesem schönen Tag mit Klara!
Alles Liebe und viel Kraft und viel Gesundheit!
Liebe Grüße
Conni
Herrlich normal. Außergewöhnlich schön geschrieben 🙂