Kein Vorschulkind

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Ein Gastbeitrag von Brenda (Instagram @brendaempunkt)

Wir haben da alle Mist gebaut. Richtig Mist. Wir alle zusammen. Jede*r für sich hat keine*r mitgedacht. Und jetzt haben wir den Salat. Oder Mist. WTF ich bin so wütend. Auf uns alle. Es sind noch fünf Wochen Kindergarten. Die letzten Tage einer Zeit mit Höhen und Tiefen, Unsicherheiten, ungeahnten Talenten und Schritten in allerlei Richtungen. Und ich habe hier ein Vorschulkind, was kein Vorschulkind ist. Klingt komisch? Ist es auch. Allerdings nicht im Sinne von „lustig“.

Wie ich das alles nicht merken konnte, ist mir ein Rätsel. Wobei, so ganz richtig ist das nicht. Gemerkt habe ich schon, dass unser Krankkind nicht an der Vorschule im Kindergarten teilnimmt. Anfang des Jahres, da ist mir das aufgefallen. So nebenbei. Im Mittagssprint. Ich kann gar nicht sagen, warum ich plötzlich vor den Bildern an der Wand im Kindergarten stehen geblieben bin. Gemalt von den Vorschulkindern. Ich bin da vorher schon zigmal dran vorbeigelaufen, habe sie wahrgenommen, aber den Kontext nicht begriffen. Alles, was da mitschwingt, habe ich gekonnt ignoriert. Und alle anderen auch. Keine*r hat gefragt, warum unser Krankkind nicht an der Vorschule teilnimmt. Ich auch nicht. Ganz schön traurig, unsere aktive Passivität.

Rückblickend ist da ordentlich viel hätte-sein-können in meinem Kopf: Hätte in ihrem Therapiestühlchen dabeisitzen können; hätte ein Teil dieser besonderen Gruppe („die Großen“, ihr versteht) sein können; hätte Erfahrungen machen und Erinnerungen schaffen können. Das ist nun gelaufen. Chance verpasst. Ein harter Schlag ins Inklusionsgesicht.

Es wird demnächst ein Abschlussfest geben. Davon habe ich nebenbei erfahren. Weil ich nicht in der WhatsApp-Gruppe der Vorschulkinder bin, weil mein Kind nicht an der Vorschule teilnimmt, weil sie keine*r von uns mitgedacht hat. Eigentlich weiß ich, dass so ein Fest jedes Jahr stattfindet. Von den Eltern der Vorschulkinder organisiert. Alle werden ihre bedruckten Vorschulkinder-T-Shirts tragen. Mein Kind hat keins. Ich will da nicht hin. Nicht allein wegen der T-Shirts, auch wenn es jedes Mal in meiner Brust sticht, wenn ich ein Kind damit sehe. Ich will da nicht hin, weil ich weiß, dass es mich wahnsinnig traurig machen wird. Selbst unentwegt nach Inklusion zu schreien, um beim eigenen Kind in aktiver Passivität zu versinken – ist schon harter Tobak. Aber es geht hier um das Kind, nicht um mich.

Für die Kindergartenübernachtung war sie zu krank. Nicht, dass sie eingeladen gewesen wäre. Nicht, dass ich mich im Vorfeld um die nötigen Strukturen gekümmert hätte. Und doch möchte ich anmerken: Es hätte sein können. Eine Übernachtung wäre möglich gewesen. Sie hätte daran teilnehmen können. Ich hätte das organisieren können. Eine Pflegekraft oder ich wären dabeigeblieben, die ganze Nacht. Unser Krankkind hätte im Kindergarten schlafen können. Nur viel Aufwand, kein Problem. Während ihr vielleicht an das mehrfach schwerstbehinderte Kind denkt, das den eigenen Kopf nicht halten kann, und euch fragt, wie dieses in einer Gruppe mit erlebnisorientierten Fast-Schulkindern gemeinsam übernachten soll – da habe ich mein Kind vor Augen, wie es auf einer Matte auf dem Linoleumboden liegt, zufrieden mit einem Leuchtlämpchen spielend, den Sensor des Monitors am großen Zeh. Vielleicht würde sie sogar ein bisschen Krawall machen, lautieren; wahrscheinlich aber einfach erschöpft einschlafen, während um sie herum die Party erst richtig losgeht.

Meine Wut ist in Trauer umgeschlagen. Ich kann es immer noch nicht fassen, wie ich monatelang dabei zugesehen habe, dass wir alle nichts tun. Einfach hinnehmen, dass das Kind nicht dabei ist. Keine Notiz davon nehmen, wie einfach wir hätten aktiv werden können. Wie simpel wir ihr diese Zeit in der Vorschule hätten schenken können. Und dann denke ich an das, was noch kommen wird: Die Abschlussfeier. Daran kann sie teilnehmen. Gemeinsam mit allen anderen Vorschulkindern. Ich organisiere dann mal ein bedrucktes T-Shirt.

Copyright Bild: : pexels-yan-krukau-8612992.jpg

Gastbeitrag Kaiserinnenreich
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4 Kommentare zu “Kein Vorschulkind

  1. Und wie war es ? Hast Du Deinem Kind das bedruckte T-Shirt angezogen ? Wart Ihr bei der Abschlussfeier – hat es Spaß gemacht ?
    Ich war lange Zeit beim ambulanten Kinder-Hospizdienst und habe mich dafür eingebracht so mal was mitzubekommen – wobei die Vorlieben der “Kinder” (waren 2 über 30jährige Kinder) total unterschiedlich sind. Durch Corona ist die Begleitung weggefallen und ich gehöre schon der Oma-Generation an und hoffte, es wird mit der Zeit besser – mit Einsatz und Anteilnahme. Da ich das schon erlebt habe seit ich auf der Welt bin mit zwei 10 Jahr älteren Verwandten und unterschiedlichen Reaktionen der Menschen rundum und der Tante ……. – eine Erzieherin sagte einer anderen Verwandten, mit mir verhandelt sie nicht gerne – die Lebenshilfe vor Ort wurde erst gegründet …. Das ist alles schon seehr lange her, die Tante und ihre “Kinder” leben nicht mehr, aber es hat mich geprägt.
    und ich habe von Koordinatoren und professionell tätigen Menschen z.B. Psychologen immer etwas mehr erwartet, musste nicht pflegeleicht sein….Es geht doch hier um den kleinen und großen Menschen, das ist das wichtigste was uns bewegen soll.
    Das ist jetzt sehr unsortiert, waren eben meine Gedanken nach 60 Jahren Auf und ab mit diesem Thema…
    Oma H.

  2. Genau das hätte mir auch passieren können. Wäre mir auch passiert, hätten nicht andere mitgedacht, geschaltet und gehandelt. Die braucht es so dringend, wir schaffen das nicht allein. Alles in diesem Text ist so echt und wütendmachend und traurig und nachvollziehbar zugleich. „So nebenbei. Im Mittagssprint.“ Sums it all up. Ich drück dich aus der Ferne!!

  3. Aktive Passivität kenne ich auch. Auch die Trauer darüber. Mein Bild dazu: Eltern von behinderten oder kranken Kindern können nicht alle inklusiven Möglichkeiten, Ideen und Lücken im Blick haben, geschweige denn dafür oder dagegen kämpfen. Für ein fröhliches Inklusionsgesicht (wieder so schön geschrieben, Brenda) braucht es viele engagierte Visagist*innen. Die Profis, die in den betreuenden Institutionen arbeiten, müssen Lust haben, kreativ im Sinne des beeinträchtigten Kindes zu werden. Leider ist das ein Glücksspiel. Manchmal gibt es die, die aktive Aktivität anpieksen. Dann klappt auf einmal auch so was wie Vorschule oder Übernachtung. Für alles zu kämpfen und alles zu initiieren, ist für pflegende Eltern einfach zu viel – zumindest für mich. Da ist aktive Passivität eine logische Konsequenz …

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