Heute schreibt Isa von @seelenfrieda über ihre Ferienerfahrung einem behinderten Kind auf Kaiserinnenreich.
Ich bin KO. So richtig KO. Ich explodiere bei einfachen Dingen. Weil ich kein Ventil mehr öffnen kann. Und der Druck steigt weiter. Ich will einfach mal den Deckel abnehmen. Unser Tagesgeschäft auf Sparflamme köcheln. Wir sind eine inklusive Familie. Bei uns wird getanzt, gelebt, gestritten und vor allem richtig viel gelacht. Denn Humor ist unsere Resilienz. Mir reicht unser selbststärkender, verbindender und ziemlich trockene Humor nicht mehr aus.
Wir können uns nicht weiter zerteilen und aufteilen, um unsere Tochter zu versorgen. Wir pflegen unsere mittlere sechsjährige Tochter. In Teilzeit. Denn wir teilen uns die Pflege. Wir sind Multijobber. Wir geben uns die Klinke in die Hand. Auszeiten sind unser Luxus. Wir haben diverse Modelle der Unterstützung in den letzten Jahren ausprobiert und angepasst, um unsere Tochter bestmöglich zu versorgen.Und die Geschwister. Und uns. Als Eltern. Als Paar. Als Mensch.Wir brauchen Erholung. Alle.
Der Gedanke, dass wir im Urlaub Erholung finden, ist naiv. Und wir probieren es dennoch immer wieder. Wir haben in den letzten Jahren zu viele Aufenthalte abgebrochen, krank ausgehalten oder in maximaler Anspannung verbracht. Oder tatsächlich als Familie getrennt.
Wir schaffen uns gegenseitige Freiräume, damit wir uns selbst nicht verlieren. Aber wir sind nicht erholt. Egal wo ich bin, ich kann die Pflege nicht abschalten. Nicht den Stift fallen lassen und den Erholungsurlaub antreten. Und ganz ehrlich: Wir müssen uns erholen. Ziemlich dringend.
6 Wochen 3 Kinder bespaßen. Organisieren, Rückzugsmöglichkeiten schaffen, Erlebnisse ermöglichen, pflegen, aushalten, regulieren und Mama Tochter Zeiten einplanen. Wie soll ich das schaffen? Und bin ich dazu gerade überhaupt bereit? Mein Kopf ist zu voll. Und mein Körper zu k.o., um wieder neue Umgebungen und Tagesstrukturen zu schaffen. Vielleicht war das der Grund, warum wir diesen Sommer keinen Urlaub geplant hatten.
Seit 4 Jahren machen wir mit unserem Wohnwagen ritualisierten Urlaub an verschiedenen Orten. Unser safe space. Unsere Tochter erkennt den Wagen schnell wieder. Weiß, wo etwas ist. Jedes Teil hat seinen festen Platz. Wir haben (im besten Fall) jedes Medikament und Hilfsmittel dabei und sind handlungsfähig, wenn sie versorgt werden muss. Wir haben mit dem Wohnwagen die für uns beste Möglichkeit so flexibel wie möglich Urlaub zu machen gefunden. Selbst der Fahrtantritt ist an keine Abfahrtszeiten gebunden. Ist sie krank, fahren wir später los oder wieder ab.
Gut ist ein Ort, den wir bedacht vorauswählen. Viel vorausdenken und einplanen. Jedes Bedürfnis und alle Bedarfe abgedeckt werden. Und dieses Vorausdenken haben wir diesen Sommer bis drei Tage vor Abfahrt aufgeschoben.
Gehen wenig Menschen vorbei, die irritieren? Sind die Wege zu Waschhäusern kurze und gerade, damit sie uns beim Spülen wiederfinden könnte? Der Platz muss genügend für die Geschwisterkinder bieten, da wir oft gar nicht den Platz verlassen können. Liegt der Platz infrastrukturell günstig? Wie weit wäre ein Krankenhaus im Notfall entfernt? (Toi toi toi, hat die Antwort auf die Frage an Priorität verloren.)
Auf dem Campingplatz angekommen, sind wir in den ersten 10 Minuten bereits mit Hilfsangeboten überschüttet worden. Und das war gut so. Meine Tochter habe ich auf meinem Rücken getragen. Wie soll ich so den Wohnwagen an Ort und Stelle schieben? Und zack stand der Wohnwagen perfekt ausgerichtet.
Da war er, der Funken schöner Urlaub.
Die Menschen sind unser Glück. Menschen,
- die anpacken, wenn sie sehen, dass eine Hand fehlt.
- die anbieten mich zu setzen, wenn ich das große Mädchen auf meinem Rücken trage.
- die aushalten, dass Midi nicht antwortet und weiterhin mit ihr sprechen.
- die Midi den Ball zuspielen und fragen, ob sie spielen will.
- die die Aufsicht für Geschwisterkinder im Schwimmbad übernehmen.
- die Midi anstrahlen und ihr vortanzen, wenn sie in der Minidisco auf meinem Schoß sitzt und ganz genau beobachtet.
- die ihre gebastelten Werke mit ihrer ganzen Mimik und Gestik und Tonalität wertschätzen, auch wenn sie nicht so aussehen wie die Vorlagen.
- die sich freuen, wenn sie Midi sehen.
- die mit uns über leichte und schwere Dinge sprechen und mit aushalten.
- die mit uns aufs Leben anstoßen.
Das ist mein Seelenfrieden.
Dieser Urlaub war körperlich. Anstrengend. Wir haben getragen, gehalten und ausgehalten. Vorausgedacht und reguliert. All die Gedanken wurden körperlich schwer. Das Wetter war stürmisch und wirklich durchwachsen und unsere Laune ebenfalls. Wir hatten eigentlich nicht die Kraft für einen Ortswechsel, wenig Schlaf und den Alltag ohne persönliche Assistenz. Umso wichtiger der sehr spontane Besuch für 2 Tage meiner Schwägerin, die uns absolut entlastet hat.
Nach 5 Tagen hat sich ein Angekommenheitsgefühl breit gemacht. Bei uns allen. Wir konnten auswärts essen. Als Familie. Absolutes Highlight. Midi hat in einem Restaurant am Strand eine ganze Portion Poffertjes aufgegessen. Das ist der absolute Knaller.
Und nach 7 Tagen sind wir abgereist.
Ich weiß, dass Familienurlaub nicht für alle Eltern erholsam ist. Egal ob mit oder ohne Pflege. Wir machen uns Gedanken, wann und wie wir pflegenden Eltern uns zukünftig erholen sollen und wollen. Wir planen getrennten Urlaub, Freizeiten und Aufenthalte für Midi in Kurzzeitpflegeheimen.
Pflege kennt keinen Urlaub. Nicht, wenn systemisch nichts geändert wird. Solange versuchen wir uns weiter in Familienurlauben. Oder in unseren Worten: In gemeinsamer Zeit an anderen Orten.
Auch wenn ich nicht sagen würde, dass es ein erholsamer Urlaub war.
Schöner Urlaub war es, denn ich habe
– drei Mal am Sandstrand gesessen und das Meer gesehen,
– Croissants mit Streuseln zum Frühstück gegessen.
– unser Tagesgeschäft auf Sparflamme gekocht,
– 6 Bücher in der Tasche und keins gelesen, weil ich die andere Zeit mit tollen Menschen verquatscht habe.
Urlaub sind für mich die Begegnungen geworden, die mein Herz zum Hüpfen bringen.
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