Die Sommerreihe: Ferien mit behindertem Kind – die Kunst aus dem Urlaub einen Urlaub zu machen. Ein Gastbeitrag von Natalie

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Ein Gastbeitrag von Natalie (@lj_talks) zu unserer Sommer-Serie “Ferien mit behindertem Kind”.

“Er ist normalerweise so klug!” Sagt mein Mann mit Tränen in den Augen, nachdem ich hilflos mit der Kleinen im Arm auf dem Spielplatz stehe und wir versuchen unseren 6-jährigen aus der Plastikröhre eines Kletterturmes zu befreien. Leider nicht im Spass. Die Tränen leider nicht vom Lachen, sondern aus Kummer. Wir sind nicht die Familie, die über das Leben mit behindertem Kind klagt. LJ ist unser Sonnenschein und oftmals der Mentor, der uns lehrt, wie vielen Nichtigkeiten wir im Leben zu viel Aufmerksamkeit schenken. Dennoch befanden wir uns in den Ferien regelmäßig am Limit unserer Kapazitäten. Familienurlaub bedeutet nun mal Dauerbelastung. Die Entlastung durch Kita oder Schule entfällt – besonders mit behindertem Kind – und hat man nicht gerade Verstärkung in Form von Großeltern oder Onkeln/Tanten dabei, gibt es leider keine wirkliche Auszeit für die Eltern.

Für unseren Sohn LJ stehen neben dem Kita- Alltag wöchentlich 3 Therapie-Einheiten auf dem Plan. Hinzu kommen Arztbesuche, vereinzelte Termine bei der Orthopädietechnik und von mal zu mal Intensiv-Wochen in Rehakliniken. Unser Arbeitsalltag und das Leben mit Baby strickt sich um all diese Termine. Wir schachteln und organisieren uns um allen Terminen, auch denen der Schwester und unserer eigenen, gerecht zu werden. Der Sommerurlaub gehört uns. Keine Termine, keine Förderung. Kind sein und die Zeit als Familie genießen.

Diesen Sommer haben wir uns für eine Wohnmobil- Reise an die Adria entschieden. Zwei Wochen haben wir gemeinsam im Wohnmobil geschlafen und jeden Tag Sonne, Wasser und leckeres Eis genossen. In Italien bieten die meisten Campingplätze Unterhaltungsprogramme für Kinder an. Viele Kinder freuen sich darauf, mit den Animateuren verschiedene Abenteuer zu erleben. Die Eltern freuen sich umso mehr, schenken ihnen diese Programme eine kleine Auszeit zum Durchatmen. Für LJ ist dies keine Option. Ungewohnte Abläufe, unbekannte Betreuer*Innen, schnelllebiges Entertainment – damit tut er sich schwer. Bis zum heutigen Tag ist er nonverbal. Wir kommunizieren durch Gebärden, die er allerdings nur mit uns nutzt. Somit bräuchte er für derartige Angebote jemanden, die/ der ihn begleitet und unterstützt.

Oft muss man für Aktivitäten mit LJ viel Geduld aufbringen, da seine Uhren langsamer laufen und er sich in gewissen Situationen “festsetzten” kann. Wir sind inzwischen wahre Meister der Geduld. Und doch geraten auch wir an unsere Grenzen. Am meisten hat uns belastet, dass Dinge, die schon lange zu den Selbstverständlichkeiten zählten (z.B. das selbstständige Anziehen der Schuhe oder das Zähneputzen), auf einmal verschwanden – LJ macht Urlaub, LJ macht NICHTS. Er hatte buchstäblich verlernt sich selbst zu steuern – Und so kam es auch zu besagten Begebenheiten auf dem Spielplatz. Wir fanden uns regelmäßig in Situationen wieder, die uns nicht nur den Kopf schütteln ließen, sondern uns leider auch ein paar mal die Tränen in die Augen getrieben haben. Verschiedene Faktoren spielten für unsere Erschöpfung eine Rolle. So ist es z.B. nach wie vor eine Herausforderung, neben dem Schlafentzug mit Säugling, zwei Kindern gerecht zu werden. Louis benötigt stetigen Input und er kommt wie erwähnt mit fremden Strukturen (wie im Urlaub) schwerer zurecht. Ist die Umgebung fremd, braucht es einfach seine Zeit bis neue Wege oder Gegebenheiten toleriert werden. Wir als Eltern sind da, um ihm Sicherheit und Halt zu geben. Ein Balanceakt – denn auch die kleine Baby-Schwester benötigt Sicherheit und Halt, Geborgenheit und Pflege. LJs kleine Schwester kam letztes Jahr zur Welt und komplementiert unsere Familie in vollster Pracht. Schwester und Bruder wie Yin und Yang – sie der Wirbelsturm, er der Ruhepol. Sie kontaktfreudig, er der Einzelgänger. Sie kaum zu bändigen, er kaum zu bewegen.

Wir haben dieses Jahr gelernt, dass es uns gut tut Freiräume zu schaffen. Das geht nur mit Unterstützung. Sich als Partner gegenseitig Auszeiten einzuräumen oder sich von anderen Familienmitgliedern helfen zu lassen – und seien es nur 30 Minuten “kinderfrei” zur freien Verfügung – so kann aus dem Urlaub auch ein Urlaub werden.

Ich bin Natalie (36) und lebe mit meinem Mann und unseren Kindern im Norden Deutschlands. LJ hat das Down Syndrom. Mit seinen 6 Jahren wirkt er nach außen eher wie ein 4-jähriger, dennoch befindet er sich derzeit in der sogenannten MilchzahnPubertät und hat bereits die ersten Zähne verloren. Seine motorische und geistige Entwicklung fördern wir seit Anbeginn der Zeit mit Frühförderung, Physiotherapie und Logopädie. Gemeinsam mit @uschi.elektra habe ich dieses Jahr die @grenzensprenger_innen ins Leben gerufen, um regional Austauschmöglichkeiten für Eltern behinderter Kinder zu schaffen.

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