Die Sommerreihe: Ferien mit behindertem Kind – Sich getragen fühlen

by Bárbara Zimmermann

Es gibt zwei Dinge, die mich richtig glücklich machen, und ich nutze jede Gelegenheit, um sie zu kriegen. Ich war bis jetzt sogar bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen, wenn das nötig war – so wie diesen Sommer. Damit meine ich nicht, dass ich höhere Geldpreise zahle, , sondern vielmehr, dass ich mehr Aufwand im Alltag betreiben muss. Sonne und Meereswasser auf der Haut zaubern mir ein richtiges Glücksgefühl! (Ja, ich weiß, dass ich nicht unbedingt das richtige Land als Wohnort mir dafür ausgesucht habe, aber gut, das ist ein anderes Thema.)

In diesem Sommer verbrachten wir zehn Tage auf einem Campingplatz auf Fehmarn an der Ostsee. Wir hatten einen Stellplatz mit Meeresblick und das war traumhaft! Das Wetter hat gut mitgespielt und wir waren mit  super lieben Freund*innen, die ebenfalls mit uns gezeltet haben. Wir waren viele: insgesamt zwölf Erwachsene plus sechzehn Kinder (!!!) und dann noch die tolle Überraschungsbegegnung mit der allerliebsten Sonja und ihrer Familie, die ein paar Tage nach uns dort ankamen. D.h. wir waren vierzehn Erwachsene plus neunzehn Kinder (!!!!!!). Keine Sorge, wir hingen nicht alle immer zusammen ab.

Ach, war die Bárbara glücklich!

Aber Bárbara ist nicht nur Bárbara, sondern auch die Mutter eines Kindes mit Behinderung, das auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Und ein Rollstuhl passt nicht gerade gut zum Sand. Genauer gesagt: Rollstuhl und Sand passen überhaupt nicht zusammen. Rollstuhl und Sand könnten halbwegs gut miteinander harmonisieren, wenn entsprechende bauliche Maßnahmen ergriffen werden, wie z.B. ein Holzsteg am Strand. Leider ist das in vielen Teilen der Welt immer noch viel zu selten der Fall, auch an deutschen Ostseestränden, wie auf Fehmarn. Das heißt: Die Bárbara war sehr glücklich am Strand, aber die Bárbara-Mutter-eines-Kindes-im-Rollstuhl war zeitweise sehr überfordert und angepisst! 

Ich erinnere mich, wie glücklich ich war, als wir dort ankamen. Das Meer duftete wunderbar, die Möwen flogen am Himmel und die Sonne strahlte auf meine nackten Beine. Es dauerte aber keine Minute, bis sich meine Laune änderte. Sch*** nur der vordere Bereich des Campingplatzes ist asphaltiert, das wird hart für Z. sein, schrie meine innere Stimme. Ich versuchte diesen Gedanken herunterzuschlucken und ging weiter zu unserem Stellplatz. Doch schoss schon eine Kaskade von weiteren Fragen und Bedenke durch meinen Kopf: : Wird sie hier gut spielen können? Mist, der sandige Boden des Spielplatzes ist für sie ein Alptraum. Sie wird sich hier wahrscheinlich nicht gut frei bewegen können, das wird doof. Am Ende werde ich sie wohl die ganze Zeit von A nach B schieben und tragen müssen. Waren wir naiv hierher zu kommen? Warum verdammt nochmal gibt es keine Rollirampe am Strand wie es sie in so vielen Stränden in anderen Ländern wie Polen, Italien, Schweden gibt? Aaaahhhhh!!!!

Falls du dich fragst, ja, ich hatte Monate vorher mit der Rezeption des Campingplatzes telefoniert und mehrere Fragen zu dem Ort gestellt. Mir war klar, dass unser Urlaubsort nicht auf dem Parkplatz eines Supermarktes* stattfinden würde. Ich bin mir auch bewusst, dass DER perfekte Ort mit allen Bedingungen für uns fünf (nicht nur für Z.) wahrscheinlich nicht existiert. Gleichzeitig ärgert es mich jedes Mal aufs Neue, dass dieser perfekte Ort nicht existiert. (*Hier eine kleine Insider-Anekdote zum Supermarkt-Parkplatz: Vor etwa 2 Jahren sagte mein Kind: „Ich liebe den Rewe-Parkplatz!“ Ich fragte sie warum, schon mit einer Ahnung von der Antwort: „Weil ich dort sehr gut mit meinem Rolli fahren kann“. Dieser Satz sagt viel über die Teilhabe von Kindern im Rollstuhl an öffentlichen Orten in Deutschland aus.)

Ich fragte die Person am Telefon damals, wie breit unser Stellplatz ist, mit dem Gedanken, dass mein Kind genug Platz braucht, um mit ihrem Rollstuhl gut fahren und manövrieren zu können. Ich fragte, wie viele behindertengerechte Toiletten es gibt, wie nahe sie an unserem Platz sind, ob Dusche und Toilette in einem Raum sind, ob es Rampen zum Laden und Café gibt usw. Aber ich fragte nicht nach der Barrierefreiheit des Eingangs zur behindertengerechten Toilette. Davon ging ich wie selbstverständlich.

Doch dann kam Überraschung Nr. 1: Teil des Türrahmens der behindertengerechten Toilette war eine etwa 5 cm hohe Metallschiene. Ich konnte es kaum glauben! Außerdem war die behindertengerechte Toilette schlecht ausgestattet und eingerichtet. Die kleine Kabine in dem nicht-behinderten Duschraum, in der ich alleine duschen konnte, hatte mehr Haken und Ablagefläche als der gesamte Bereich, in dem mein behindertes Kind sowohl auf die Toilette gehen als auch duschen sollte. Vielleicht haben sie vergessen, dass auch Menschen im Rollstuhl Shampoo und Duschgel verwenden und eine Ablagefläche in der Dusche hilfreich wäre… Und Handtücher sowie Kleidung benötigen sie auch, daher wären mindestens zwei Haken keine schlechte Idee…

Mehr Details zu unseren Herausforderungen in diesem Raum werde ich nicht preisgeben, denn das gehört zur Intimsphäre meines Kindes. Ich kann jedoch noch erwähnen, dass wir uns einen klappbaren Toilettenstuhl besorgt haben, um uns weitere Überraschungen zu ersparen – und damit meine ich nicht die Überraschung, keine Toilette zu finden, sondern keine Toilette zu haben, auf der mein Kind sicher sitzen kann. Das bedeutet, dass wir das Kind jedes Mal eine Strecke im Rollstuhl über einen Kiesweg schoben und dabei eine riesige Tasche mit einem Toilettenstuhl über die Schultern trugen. Habe ich zufällig erwähnt, dass wir Glück mit dem Wetter hatten? Es war verdammt heiß! Völlig verschwitzt kam ich nach einer halben Stunde völlig erschöpft heraus und brauchte einige Minuten, um wieder in den Urlaubsmodus zu kommen.

Nach einem Gespräch mit der Rezeptionsmitarbeiterin drei Tage nach unserer Ankunft wurde der Raum am nächsten Tag entsprechend angepasst, was unseren Toilettenbesuch angenehmer machte. Hoffentlich wird die Rille an der Tür bald entfernt, das ist eine größere Baustelle, ebenso wie die Verbesserung der Rampe zum Café. Ich fühlte mich wie eine Inklusionsberaterin, die jedoch für ihre Vorschläge zur Verbesserung eines privaten Unternehmens nicht bezahlt wurde. Dabei hatte ich eigentlich Urlaub und wollte meinen mental load abschalten 

Viele, die dies lesen, denken wahrscheinlich, dass wir nie wieder dorthin fahren werden. Aber Überraschung Nr. 2: Zum ersten Mal in unserem Leben haben wir bereits den Urlaub für das folgende Jahr geplant und werden eine Woche im Sommer 2024 mit unseren Freund*innen wieder dort verbringen. Und wenn ich ehrlich bin, sind es nicht nur die Sonne und das Meereswasser, die mich im Leben glücklich machen. Es sind die verschiedenen Kreise von lieben Menschen, die wir als Freund*innen haben. Sie füllen mit uns die Stunden dieses Spiels namens Leben mit guten Gesprächen, Zuwendung, Lachen und Unterstützung. Zusammen sammeln wir schöne Erinnerungen. Es ist, wie der brasilianische Sänger Emicida so schön singt: “Quem tem um amigo tem tudo / Wer einen Freund hat, hat alles.”

Und deshalb bin ich bereit, den hohen Preis zu zahlen und nächstes Jahr wieder auf einen nicht komplett barrierefreien Campingplatz zu fahren. Wenn wir liebe Freund*innen dabei haben – unsere eigenen und die der Kinder –, und wir bereits wissen, dass das Meer wieder an derselben Stelle auf uns wartet, dann müssen wir nur wieder Glück mit dem Wetter haben. Sicherlich werde ich nächstes Jahr wieder über den Weg von unserem Stellplatz zur Toilette in der Hitze meckern und mich fragen, warum wir nicht einfach zu Hause bleiben, wo der Alltag besser funktioniert. Aber das Gefühl zu haben, dass mein Kind und wir als Familie von mehreren Menschen, die uns wichtig sind, getragen werden; zu wissen, dass sie uns im Alltag mit Z. unterstützen – mehrere von ihnen haben Z. am Spielplatz begleitet, ihr bei dem holprigen Weg geholfen – und wahre Allies sind, das ist ein großer Schatz in meinem Leben! Und zu wissen, dass, wenn die Kinder schlafen oder als Bande über den Campingplatz ziehen, wir Erwachsenen den Raum für uns mit einem Weinglas am Sonnenuntergang am Strand haben. Und dafür zahle ich einen höheren Preis.

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