Es gibt ja oft diese verklärte Vorstellung, dass Menschen, die schwere Krankheiten durchleben und ihre Liebsten, die sie dabei begleiten, besonders stark und tapfer oder hingebungsvoll sind. Diese romantische Vorstellung aus Hollywoodfilmen in denen man – auch ohne Happy End – dies alles mit Hingabe und Superpower gemeinsam meistert. Dass man aus dieser Zeit unheimlich viel für sich mitnimmt, aus der schweren Zeit fürs Leben lernt und noch stärker zusammenwächst. Auch, dass man eben genau daran wächst und einen neuen Blick auf das Leben bekommt. Auch ist es auf Social Media oft so, dass Eltern das selbst beschreiben oder so initiieren, dass man eben etwas ganz Besonderes ist. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Es ist nur eine Seite der Medaille, finde ich.
Tatsächlich ist es so, dass ich die meiste Zeit einfach stark sein muss, und mich überhaupt nicht stark dabei fühle. Viele halten mich für besonders resilient und tapfer. Das bin ich wahrscheinlich sogar. Aber ich kann das weder fühlen noch so sehen. Ich selbst fühle mich meist nur erschöpft und sehne mich nach einer Dusche, sauberen Klamotten, einem Essen, dass ich selbst gekocht habe und meinem Bett – zuhause! Ich fühle diese Stärke, diese Tapferkeit und die Resilienz nicht.
Wir müssen häufig mit Enttäuschungen umgehen. Oftmals bereitet man sich auf eine schwere Operation oder eine Therapie vor und steht diese mit aller Kraft zusammen durch und dann kommt der Rückschlag! Es tut uns leid, wir waren leider nicht erfolgreich. Dann muss man Entscheidungen treffen. Will man, dass sein Kind eventuell beatmet und im Rollstuhl sitzt nach diesem Eingriff? Dann geht man diesen Schritt an – voller Angst und Zuversicht, aber ohne jegliche Garantien. Und du begleitest dein Kind in Zeiten voller Schmerz und Trauer und Enttäuschung. Und irgendwann habt ihr es dann doch geschafft, diesen riesigen Berg und geht nach Hause. Happy End? Eher nicht.
Wenn wir die Klinik nach einem langen Aufenthalt verlassen, dann meistens sehr sehr erschöpft. Ich fühle keinen dieser Disney-Momente, in denen ich heroisch mit meinem Kind das Krankenhaus verlasse. Dankbar sind wir. Immer auch hoffnungsvoll, das stimmt. Aber ich sehe in den Spiegel und sehe ein blasses, erschöpftes Gesicht mit Augenringen und Flecken auf dem Pulli. Wenn wir zuhause ankommen, müssen wir uns erst wieder eingewöhnen, die Wohnung ist ein Chaos und Berge von Wäsche müssen gewaschen werden. Wir haben schon so viele lange Krankenhausaufenthalte hinter uns, da steht kein Willkommens-Komitee in der Wohnung, das alles geputzt oder für uns gekocht hat. Niemand feiert unseren Sieg über die Krankheit denn die ist immer noch da. Da kommen vielmehr zwei erschöpfte Elternteile mit ihrem chronisch kranken Kind zuhause an und müssen sofort in den Alltagsmodus wechseln. Es müssen Dinge organisiert werden – Schule, Haushalt, Erwerbsarbeit, Anträge und Post.
Meistens muss das Kind vieles neu Erlernen, neue Therapien bekommen, Hilfsmittel müssen beantragt werden und Arztbesuche organisiert. Das alles wird in Filmen oft so unrealistisch dargestellt. Da geht jemand mit einer lebensbedrohlichen Diagnose nach Hause und arbeitet im Kreise seiner Familie seine Wunschliste ab, genießt nochmal so richtig das Leben oder startet trotz einer chronischen Erkrankung richtig durch. Dass das überhaupt nicht realistisch ist, sollte eigentlich klar sein. Manchmal sind Schmerzen nach einem Eingriff oder einer Operation so stark, dass man überhaupt nicht die Wohnung verlassen kann. Oder man wohnt im dritten Stock und weiß nicht, wie man sein Kind, das nun plötzlich auf einen Rollstuhl angewiesen ist, all diese Treppen hoch und runter bekommen soll. Chronisch krank zu sein, wird viel zu verklärt dargestellt. Superheld*innen halt. Schön und stark und unbesiegbar. Nur fühlt man sich überhaupt nicht unbesiegbar. Vielmehr sehr verletzlich. Und wo sind die Ressourcen, aus denen man noch Kraft schöpfen kann?
So eine Situation ist vor allem eines: eine Herausforderung. Das gesamte Leben muss immer wieder neu organisiert werden. Wenn man keine Unterstützung von Außen hat, kann es vorkommen, dass Mütter mit ihren Kindern wochenlang zuhause sitzen, isoliert und versuchen irgendwie wieder Normalität herzustellen und dabei vereinsamen. Nicht selten ist man als Begleitperson des kranken Kindes auch so erschöpft, dass man nach dem Kraftakt erstmal so richtig Erholung bräuchte und diese nicht bekommt. Weil das Kind ja nicht gesund oder in irgendeiner Weise fit aus der Klinik entlassen wurde. Meistens braucht mein Kind dann rund um die Uhr Betreuung und Pflege. Es kann erstmal nicht zur Schule und es kommt keine Hilfe nach Hause. Das ist kein überglückliches nach Hause kommen und heilen, sondern ein Überleben in völliger Erschöpfung.
Natürlich ist man auch stolz auf sich und sein Kind. Man weiß genau, wie hart man gekämpft hat. Nicht selten um Leben und Tod und man hat den Kampf einmal mehr gewonnen. Das ist unfassbar und man wird nach gefährlichen Operationen erstmal von Glücksgefühlen und Adrenalin aufrecht gehalten und von Dankbarkeit und Hoffnung durchströmt. Aber wir müssen auch der Realität ins Auge sehen und die ist nicht hollywood-heroisch, sondern verdammt anstrengend.
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