Mareice Kaiser hat heute zum Equal Care Day 2024 in München über die Unsichtbaren und ihre unsichtbare Arbeit gesprochen. Im Rahmen der Equal Care Day Conference hat sie auch diesen Artikel von Simone Rouchi vorgelesen.
Kinderkliniken sind ein eigenes Universum. Habe ich dieses einmal betreten, verschwinde ich gänzlich darin. Denn sobald ich durch die Stationstüre gehe, bin ich nur noch „die Mutter von“ und die offizielle Begleitperson meines achtjährigen, chronisch kranken Kindes mit Behinderung.
Was das für mich bedeutet? Ich bin eine unsichtbare Aushilfskraft mit Intensivpflege-Skills, ohne Rechte aber mit tausenden Pflichten. Ich verabreiche Medikamente, die man mir bringt. Starre auf piepsende Monitore, sondiere Nahrung, lagere und beruhige mein frisch operiertes Kind. Ich bin die Mutter und die medizinische Expertin für mein Kind. Das macht mich zu einer Care-Person höchster Qualität, jedoch ohne jegliche Wertschätzung. Ich bin selbstverständlich. Man setzt mich ein, wie man es gerade braucht, denn ich bin verfügbar. Ich bin die Mutter und die unbezahlte Aushilfe auf Station. Kümmernd, pflegend, wissend, aushaltend.
Wir pflegen rund um die Uhr. Vorwiegend die Mütter. Die Klinik zu verlassen ist nahezu unmöglich. Das wird mir auch unverblümt so kommuniziert: Das Personal kann die Pflege meines Kindes mit Pflegegrad vier leider nicht allein gewährleisten. Ich schon, sagen sie. Deshalb pflege ich vor dem Klinikaufenthalt, währenddessen und danach. Ohne Pause, oft ohne Schlaf. Tagsüber auf einem Holzstuhl sitzend, denn mein unbequemes Klappbett – das übrigens Mutti-Bett im Krankenhaus heißt – muss ich leider wegen Platzmangel wegräumen.
Eigentlich hat hier sowieso keiner Kapazitäten – außer ich natürlich. Ohne mich ist eine Versorgung meines Kindes in der Kinderklinik nicht möglich. Aber die Anerkennung dieser Leistung fehlt nicht nur gesellschaftlich – auch eine Bescheinigung für die Pflegekasse kann ich dafür leider, leider nicht bekommen. Denn wenn es darum geht in dieser Zeit zumindest weiterhin das Pflegegeld ausgezahlt zu bekommen, bezieht man sich dann doch auf das Klinikpersonal. Ich wäre ja „nur“ die Begleitperson. Also um genau zu sein, bin ich eben doch nur die Mutter. Aber halt die, die nebenbei die Pflege mit erledigt.
Pflegende Mütter sind im Klinikalltag unersetzlich, aber brauchen per Definition vom Sozialstaat kein Geld zum Leben. Sie leben selbstverständlich von Luft und Liebe und unbezahlter Fürsorgearbeit. Mit uns können sie das machen, die Fachstationen und Verwaltungen, deren Hilfe an uns unsichtbaren pflegenden Müttern vorbeigeht. Denn unsere Kinder in diesem System im Stich zu lassen, das können wir nicht. Ich bin eine unbezahlte, psychologische und medizinische Vollzeitpflegekraft. Keine Pointe. Nur die Lebensrealität einer pflegenden Mutter zum Equal Care Day 2024.
- Mit dem Avatar zur Schule – Telepräsenzsysteme für langfristig erkrankte Schulkinder - 29. November 2024
- Die Mama von - 15. Juni 2024
- Wir leben von Luft und Liebe und unbezahlter Fürsorgearbeit – ein Kommentar von Simone Rouchi - 29. Februar 2024
Liebe Simone,
wir waren am Equal Care Day dabei und sehr bewegt von deinem Beitrag. Vielen Dank, dass du dich auf diese Weise eingebracht hast. Diese Perspektive ist wertvoll. Wertvoll für alle die nicht wissen wie es ist in Krankenhauszimmern neben seinem Kind zu übernachten und für alle die es tun. Im Publikum und einem anschließenden Workshop saß ich mit einigen Müttern von Kindern mit Behinderung und chronischer Erkrankung zusammen. Wir alle waren froh, dass du diese Gruppe an Frauen auch auf der großen Bühne vertreten hast.
Der bewegende Vortrag von Mareice Kaiser hatte den Titel “Unsichtbares sichtbar machen” – Genau wie eine Ausstellung zu alleinerziehenden Frauen mit Kindern mit Behinderung, die wir vor 10 Jahren gestaltet haben. “Wir” sind siaf e.V. – allfabeta, einer Fachstelle für alleinerziehende Frauen mit Kindern mit Behinderung und chronischer Erkrankung in München. Wenn wir Dich und Euch unterstützen können: Gerne einfach melden.
Liebe Grüße,
Regina