So eine*r hat ein Kind

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Valo Christiansen ist [gender]queere*r [spoken] word artist, [sensitivity] reader*in, Übersetzer*in und Referent*in aus Bochum. Dey schreibt mehrsprachig über Feminismus, Queerness, Identität und Neurodivergenz, sowie den Überschneidungen dazwischen und darüber hinaus. 2024 erschien mit der Anthologie Sonderzeichen, herausgegeben von Valo Christiansen und Sam Sackbrook, die erste deutschsprachige Spoken-Word-Textsammlung mit Beiträgen von ausschließlich trans, inter, agender und nichtbinären Personen.

Valos Instagram: www.instagram.com/meernichtweniger

Das Bild ist in schwarz-weiß. Valo trägt ein Hemd, hat die Arme über den Kopf gelegt und schaut in die Kamera. Valo hat kurze, braune Haare

(Foto by Natalie Stanczack – Sandsackfotografie)

Seit ich vor etwas über zwei Jahren herausgefunden habe, dass ich schwanger bin, begleitet mich die Frage, ob ich „das darf“. Darf ich, [gender]queer, nichtbinär, trans, autistisch, ADHSler*in, behindert, ein Kind bekommen? Und jetzt, wo es schon anderthalb ist – darf, sollte ich dieses Kind großziehen?

Die kurze Antwort ist: ja. Natürlich darf ich das. Alle sollten das dürfen.

Die lange Antwort hingegen ist, was mir statt dieser kurzen Antwort seit über zwei Jahren im Kopf herumspukt. Die lange Antwort sind Zweifel, Sorge, Unbehagen, Angst, Scham und eine Art Imposter Syndrom.

In Deutschland (und nicht nur da) gibt es gesellschaftlich vorgefertigte Meinungen und Ideale, wer Kinder bekommen sollte – und wer nicht. Insbesondere hier wurde das durch die NS-Zeit geprägt und hält sich an vielen Stellen bis heute. Schwarze/Braune/Indigene/jüdische/queere/arme/behinderte/dick_fette Menschen sollen nach diesen Vorstellungen bitteschön keine Kinder in die Welt setzen, von diesen Leuten braucht es wirklich nicht noch mehr. Auch als die Nazis nicht mehr an der Macht waren, gab es Gesetze, die einigen dieser Gruppen das Kinder bekommen verwehrten.

So durften trans Menschen bis 2011 ihren Personenstand nur dann ändern, wenn sie sich sterilisieren ließen. Die gängige Meinung schien bis dahin zu sein, dass niemand das Transsein so ernst meinen kann, wenn man dennoch Kinder möchte. Gerade Schwangerschaft wird als so inhärent weiblich geframet, dass doch wirklich kein Mann und keine nichtbinäre Person schwanger werden möchte. Und überhaupt, trans Menschen sind doch alle dysphorisch, fühlen sich unwohl in ihrem Körper, möchten deshalb keinen Sex haben, Fortpflanzung also ausgeschlossen.

Das alles ist absoluter Unsinn. Nicht alle trans Menschen sind dysphorisch, manche, viele sogar haben gerne Sex, und gar nicht so wenige möchten eine Familie gründen.

Dafür erleben sie, wir aber selbst in der eigenen Community immer wieder starken Gegenwind. Gerade in queeren Sphären zählt es bei vielen zum guten Ton, Kinder nicht zu mögen und Familiengründung abzulehnen, alles viel zu heteronormativ und bürgerlich. Das verunsichert, das lässt viele an ihrem Kinderwunsch zweifeln, an ihrer Identität, an ihrem Sein.

In der Disability-Community bin ich nicht so verwurzelt wie in der queeren Community, ich erlebe also weniger, wie dort der Umgang untereinander ist mit dem Kinderwunsch. Ich kenne aber die häufig vorherrschende Meinung in der Gesellschaft: tief von Eugenik geprägt, ist Familiengründung dort etwas, das behinderten Menschen nicht zustehen sollte.

Behinderung, mehr noch als Queerness, wird als solch ein Makel, als solch eine Untragbarkeit empfunden, dass jedes Kind von behinderten Menschen nur eine Last sein kann, so wie es die Eltern ja selbst schon sind.

Viele nichtbehinderte Menschen schaffen es nicht, anzuerkennen, was das mit behinderten Personen macht. Mit uns, mit mir macht. Meine Behinderung ist meist unsichtbar, bei mir akzeptiert man ein Kind noch eher als bei denen mit sichtbaren Behinderungen. Und trotzdem reicht diese öffentliche Meinung aus, dass auch ich aufgrund meiner Behinderung zweifle, ob es okay war, dass ich mich für dieses ungeplante Kind entschieden habe. Und hinzu kommt dann noch meine Queerness, mein Transsein. Da ist Angst, dass mein Kind Queerfeindlichkeit erleben wird, weil Menschen mein Sein verurteilen. Dass es in Gefahr ist aufgrund dessen.

Wie die meisten Eltern möchte ich, dass mein Kind gut und sicher aufwachsen kann, dass ihm nicht mehr zustößt als das, was es zum Wachsen braucht. Gleichzeitig sind die Feindlichkeiten, die ich und damit wir als Familie erleben, ein Gefährdungsfaktor. Steht mir zu, ein Kind in eine Welt zu setzen, die schon für mich gefährlich ist? Wie kann ich sicherstellen, dass meinem Kind vor diesem Hintergrund nichts passiert? Ich kann es nicht sicherstellen, ebenso wenig wie andere (mehrfach) marginalisierte Menschen es können. Ein absolut beschissenes Gefühl.

Nicht selten denke, dass bestimmt bald irgendjemand allen erzählen wird, wie ungeeignet ich bin als Elternteil. Dass ich auffliege damit, dass „so eine*r“ ein Kinder hat. Dabei mache ich ja nirgends ein Geheimnis daraus, wer und wie ich bin. Ich bin aktivistische*r Autor*in, Referent*in und Sensitivity Reader*in, ich bin sichtbar mit meinen Marginalisierungen und als Elter.

Und dennoch dieses seltsame Imposter Syndrom, gepaart mit Scham, Zweifeln, Angst und zunehmend auch Wut. Wut auf ein System, das mir meine Elternschaft so schwer macht, mir mein Selbstvertrauen in meine Fähigkeiten als Elternteil nehmen möchte, das (meine) Communitys vergiftet hat, das Familien sowieso an allen Stellen viel zu wenig unterstützt.

Die lange Antwort auf meine Frage hat kein klares ja, weil ich selbst so viel zweifle. Würden mir andere Menschen diese Fragen auf sich selbst bezogen stellen, meine Antwort wäre immer ja. Mir selbst dieses klare ja zu geben, dass es absolut okay ist, dass ich ein Kind habe, fällt mir immer noch enorm schwer.

Darum vielleicht noch mal die kurze Antwort: Ja. Natürlich darf ich Kinder haben.

____________________

Valos Website: www.queersensitivityreading.com

Gastbeitrag Kaiserinnenreich
Letzte Artikel von Gastbeitrag Kaiserinnenreich (Alle anzeigen)

2 Kommentare zu “So eine*r hat ein Kind

  1. Ich möchte dich sehr unterstützen. Für mich war es als queere Feministin nicht leicht, mich als Mutter zu sehen, obwohl ich scheinbar ins Muster passte. Wenn ich mich dann fragte, kann, will ich Mutter von “E” (erstes Kind) sein, war die Antwort direkt ganz klar: Auf jeden Fall. Kinder zu haben, waren die besten Entscheidungen meines Lebens.
    Das wünsche ich dir auch. Die Diskriminierung innerhalb der Szene ist super ätzend. Wir Regenbogenfamilien werden zum Glück mehr und sichtbarer. Und eine Behinderung habe ich auch, in der Elternschaft erworben. Davor ist keine Person gefeit.
    Ich wünsche dir jeden Tag Freude an deinem Kind. Du bist die beste und wichtigste Person für dein Kind, egal welche Fehler du machen solltest.

Schreibe einen Kommentar

Erlaubte HTML tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>