Pünktlich zum Wochenende und den Herbstferien kommen hier ein paar Gedanken von Anke zum Thema Urlaub mit behindertem Kind.
Was gehört alles dazu? An was müssen wir denken? Was ist geeignet? Worauf haben wir Lust? Wieviel Energie kostet es uns? Anke erzählt es uns.
Anke auf Instagram: @anke_sieht_die_sonne_im_nebel
Schon im November überkam mich der Gedanke „Plane den Urlaub jetzt! Dann kommt Weihnachten. Dann kommt das Januartief. Dann kommt die Vorbereitung zur Reha. Dann kommt die Reha. Und dann. Ja. Dann fahren alle in Urlaub und du hast keine schöne Unterkunft gefunden. “
Nach mehreren Abenden vor dem Rechner wurde es mir zu viel. Es reicht ja nicht eine schöne barrierefreie Unterkunft zu haben. Es sollten ja auch tolle möglichst barrierefreie Erlebnisse auf uns warten. Der Mann möchte in den Südosten des Landes. Ich möchte in die Nähe einer Stadt, eigentlich aber auch eine andere Sprache hören. Keinesfalls Hotel. Bitte ein Häuschen. Bungalow oder Tinyhouse. Naja. Doch nicht. Die sind zu tiny. Da passt der Rolli plus weiterer Hilfsmittel nicht rein.
Es war mir zu viel.
Keine Energie und seit vielen Jahren zum ersten Mal auch keine Lust zu organisieren. Schon im November den Sommer durchplanen? Denn was machen wir an einem See und die Schiffe sind nicht passierbar mit Rolli. Tausend Gedanken.
Auch gab es dieses Jahr einen Cut, den ich schon im November im Gefühl hatte. DIE Gewichtsmarke. Letztes Jahr konnte ich noch ohne große Vorbereitung heben, hebeln und tragen. Dieses Jahr geht es nicht mehr. Das Kind wird groß und größer und vieles ist nur zu zweit oder mit großer Kraft und Technik zu bewältigen. Techniken des Körpereinsatzes, aber auch Geräte. Nur wo sind diese Geräte in den 10-14Tagen Sommerurlaub? Zuhause. Unsere barrierefreieste und alltagstauglichste Umgebung haben wir uns Zuhause erschaffen. Alles liegt am sinnigsten Platz. Abläufe sind geübt. Die Routinen sitzen. Es ist leichter Zuhause zu bleiben. Für uns.
Der zweite Cut bestand im Januar aus dem Wegfall der Reha im Frühjahr/Sommer. Natürlich ist der Fachkräftemangel auch in der Klinik angekommen. Keine Ärzte. Keine Pflege. Keine Reha. Erst im November dürfen wir kommen. Wieder saß ich abends am Rechner auf der Suche. Schönste Urlaubsideen von Freunden und liebsten Insta-Menschen im offenen Tab.
Wieder dachte ich: Nein. Das ist es nicht.
Ich will nicht noch mehr nachdenken müssen. Sollte Urlaub sich nicht leicht anfühlen? Leichte Vorfreude beim Planen? Leichte Gedanken beim Reinträumen in die Möglichkeiten? Das einzige leichte an der Planung war das Schließen aller Tabs. Es ist leichter Zuhause zu bleiben. Für mich.
Die große Überraschung kam im März. Nach Jahren auf der Warteliste gab es einen kleinen Schrebergarten für uns zur Pacht. Viele Hinweise des Vorstandes, die uns vorwarnen sollten, ergaben bei mir Jubel: Große Bäume machen Schatten – Großartig wegen der Epilepsie! Randlage am Damm – Ruhe vor seltsamen Blicken! Nicht sehr groß – Perfekt, um nicht überfordert zu sein mit Arbeit! So war schnell klar. Es sollte so sein! Ein Jahr im Garten, statt 10 Tage in einer Ferienwohnung.
Und da kam auch wieder die Leichtigkeit. Wie mache ich unseren Garten passend für die Bedürfnisse des Kindes? Planen nicht nur für 10 schöne Tage, sondern das Suchen von neuen Routinen, die uns jeden Tag im Jahr nutzen dürfen. Liegefläche statt Stühle auf der Terrasse.
So haben wir bisher unseren Urlaub hier verbracht. Mit Stöckchen und Wasser. Bauprojekten und Erde im Haar. Planschen und Hängeschaukel. Zucchini und Würstchen auf dem Grill. Ich habe unfassbare 4 Bücher gelesen und mit der Gartenschere feinste Zutaten für „Gartensuppe“ des Kindes geschnitten. Schon das Ankommen in der Anlage folgt eigenen Ritualen. Das Kind spielt „Ich höre was! Du auch?“ und ich atme tief durch. 5 Stunden Urlaubsgefühl und danach komme ich ohne Aufwand heim, wo alles an seinem Platz steht und die Routinen sitzen. Es ist leicht Zuhause zu bleiben, wenn man einen Garten hat.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich wäre nicht gerne weggefahren. Aber in all der grünen Ruhe des Gartens war Zeit für wesentlichere Gedanken. Wenn wir davon ausgehen, dass alle Familienmitglieder gleichberechtigt Wünsche äußern dürfen, die berücksichtigt werden, was würde das Kind äußern? Haben wir diese Wünsche in den letzten Urlauben genug gehört und danach gehandelt? Mein Kind würde sich folgendes wünschen: „Spielen! Alle Zusamm`!“ oder „Autofahren! Opa (be-)suchen!“. Es wäre leidlich, wenn wir verschiedene Orte aufsuchen, weil das Kopfsteinpflaster im Rehabuggy nervt und Städte anschauen langweilig ist. Mein Mann wäre gestresst von dem ständigen Vorplanen, wo sich am Zielort zugängliche Infrastruktur befindet. Wir würden also schnell irgendwo im Grünen sitzen und versuchen durchzuatmen.
Dieses Jahr also Garten.
Aber auch Fahrrad fahren und abends mit dem Walker eine Abendrunde drehe. In Ruhe alle Hilfsmittel und Geräte nutzen, wenn Kapazität und Lust dazu da ist und nicht noch schnell, damit es halt mal wieder gemacht wurde. Wir haben Freund*innen besucht – die des Kindes, wie auch unsere- und gemeinsame Tage verbracht. Wir waren Touris in der eigenen Region und haben Orte mit Freundesfamilien gesehen, an denen wir noch nie waren, selbst nicht während Corona. Es war ein so leichtes Gefühl! Sollte es beim Urlaub nicht genau darum gehen?
Unsere letzten Urlaube waren schön, aber dieses Jahr war es leichter Zuhause zu bleiben. Nächstes Jahr mag es vielleicht wieder anders sein.
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Sehr schön ge-und beschrieben. Vielen lieben Dank
Die Urlaubsplanung und Vorbereitung ist ja ohne Kind oft schon stressig. Alles Gute und viel Spaß im Garten oder zu Hause
Ich finde mich in diesem Text und ich finde es toll und mutig diesen Weg zu gehen. Ich bin noch nicht so weit oder die Zeit noch nicht reif dafür . Zu groß immer wieder der Drang nach Fernreise , nach Neuem und das Gefühl den lebensverkürzt erkrankten Kind die Welt zu zeigen . Aber was brauchen unsere Kinder ? Eltern die gesund und gechillt sind 🙂