Wann ist man erwachsen geworden?

by Bárbara Zimmermann

2024 – was für ein Jahr!

Von unerledigten To-Do-Listen, nicht gestellten Anträgen und unerfüllten Pläne, bis hin zur Bewilligung der Schulbegleitung für die Einschulung meines Kindes im Jahr 2025, einer zehntägigen Kongressreise allein nach Panama und dem Besuch meiner Eltern aus Brasilien kurz nach Weihnachten;

Von zahlreichen angefangenen Texten für den Blog, die ich nicht fertiggestellt und veröffentlicht habe, bis hin zu acht veröffentlichten Blogbeiträgen von mir (insgesamt 21 Artikel 2024 auf dem Blog), einer TV-Beitrag, einer mitgestarteten und erfolgreichen Petition #mehrals28Tage und einem Gastbeitrag in einer Fachzeitschrift gemeinsam mit Anna und Simone geschrieben;

Von einer Überraschungsparty in einem kleinen Kulturverein in unserem Dorf in Südniedersachsen von meinem Mann und unseren Kindern so liebevoll organisiert, wo ich meinen 40. Geburtstag, das Leben und die Freundschaft mit lieben Menschen aus Köln, Brüssel, Paris, London und aus der Ferne feierte;

Von der Erfahrung, trotz großer Unsicherheit Monate zuvor, die Moderation einer tollen Fachtagung über pflegende Elternschaft übernommen zu haben – und, darf ich sagen? – erfolgreich gemeistert zu haben;

Von einem intensiven Familienalltag mit drei Kindern und Erwerbstätigkeit – leider immer noch ein Luxus unter uns pflegenden Eltern -, in dem mein Mann und ich unsere Kinder viel begleitet haben – bloß nicht die Familie vernachlässigen, wie ich heute in der Story von Susanne Mireau zu ihrem neuen Buch „Emotional Load“ gelesen habe. Wir standen der Seite unseren Kindern bei Hausaufgaben, Therapien, Klavier- und Tanzunterricht sowie epileptischen Anfällen (der letzte WÄHREND der Bescherung am Weihnachten!!!), bei Operationen und Untersuchungen bis hin zum Aufwachsen als Teenager in dieser spannenden neuen Welt. Bei Tränen und Freude. Auch sie haben mich in diesem Jahr begleitet: u.a. bei einer Demon in Frankfurt vor der Europawahl, wo sie mit ihren 6, 9 und 12 Jahren den bewegenden Worten von Enissa Amani hörten – eine Erfahrung die sie bis heute in sich tragen! -, und bei der Buchpremiere von Hadija Haruna-Oelker neuen Buch “Zusammen sein” mit meiner ältesten Tochter, die nun mit Offenheit und Neugier großes Interesse an der Welt der Bücher, Politik und des Journalismus zeigt.

2024 – was für ein Jahr!

Aber hat man nicht jedes Jahr das Gefühl, dass gerade DIESES Jahr besonders hart war? Empfindet man nicht immer wieder das Gefühl, eine Mischung aus intensivem Erleben und dem Übertreten der eigenen Grenzen durchgemacht zu haben? Eine Mischung aus Erschöpfung, Frustration, Stolz und Dankbarkeit – sei es, weil das Jahr zu Ende geht, sei es, weil man einige seine Ziele erreicht hat? Außerdem, gerade als pflegende Mutter bezweifle ich, dass ich in dieser Rolle jemals Ruhe und Entspannung finden werde. Dazu müssten sich die politischen Rahmenbedingungen grundlegend ändern – aber in dieser Hinsicht tun die Politik und die Gesellschaft noch viel zu wenig.

Neu ist für mich aber das Gefühl, ein bisschen mehr im Erwachsenenalter angekommen zu sein. Dieses Gefühl war mir bisher fremd. Woran liegt das? An der Müdigkeit, die aus der ständigen Leistung in diesem Spiel namens kapitalistisches System resultiert? Vielleicht. Uff.

Ich wünschte, ich könnte an einigen Stellschrauben drehen, um mehr Entspannung und Ruhe in mein Leben zu bringen. Doch viele dieser Stellschrauben liegen nicht in meiner Hand – und genau da liegt der Kern des Problems. Ich weiß, dass als Frau und pflegende Mutter meine Erschöpfung Großteils systemisch bedingt ist.

Dennoch blicke ich voller Zuversicht und Freude auf das kommende Jahr. Aufgeben und in Bitterkeit verharren ist für mich keine Option. Das wäre für mich etwas wie ein moralisches Versagen gegenüber der Vergangenheit meiner Familie. Es kann hart klingen, aber so ist es. Meine Oma z.B., gerade 86 Jahre alt, eine Frau die Armut und Gewalt erlebt hat, ist mein großes Vorbild. Sie ist zusammen mit meinen Eltern bei uns hier in Deutschland zu Besuch und strahlt für mich eine gigantische Größe aus. So will ich sein, wenn ich wirklich erwachsen bin.

Foto privat. Pullover von The Propcorner (unbezahlte Werbung).

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