
Danke an Bárbara für das Zusammenstellen dieser wunderbaren Graphik.
Wer ist eigentlich berufstätig unter den Pflegenden und aus welchen Gründen?
Bald ist wieder Equal Care Day, so wie jedes Jahr, und seien wir mal ehrlich: Wer von den pflegenden Familien hier auf der Plattform und generell schafft es, das 50/50-Modell zu leben, in einer Gesellschaft, die familiäre Pflege mit Ehrenamt gleichstellt? Selbstverständlich ist Pflegearbeit in unserer Gesellschaft ein Teil der Fürsorgearbeit! Und wer verrichtet 2025 die Fürsorgearbeit? Ganz genau – es sind immer noch vor allem die Frauen, was zu realen geschlechtsspezifischen Ungleichheiten führt, die sich über verschiedene Aspekte ihres/unseres Lebens ziehen. Das hat sowohl individuelle als auch gesamtgesellschaftliche Konsequenzen – und politische Ursachen.
Wir haben auf unserem Instagram-Kanal einmal nachgefragt, was euch beschäftigt in Sachen Erwerbstätigkeit und Pflege. 71 Antworten haben wir bekommen – vorwiegend von Frauen bzw. pflegenden Müttern. Und ihr habt geantwortet und erzählt, wie ihr euch mit dem Spagat aus Beruf und Pflege fühlt. Es gibt wirklich sehr viele Übereinstimmungen. Es ist ein Meinungsbild, dem wir (die Autorinnen – Simone, Anna und Bárbara) uns anschließen können. Lasst uns mal genauer hinsehen.
Auch mal an was anderes denken
Einer der am häufigsten genannten Aspekte war die Möglichkeit, sich mit anderen Themen außerhalb des Pflegealltags zu beschäftigen. “Ich möchte allein deshalb arbeiten, damit es in meinem Leben noch ein anderes Thema gibt.” Arbeit als Ausgleich – auch als intellektueller Ausgleich zu den medizinischen, pflegerischen und bürokratischen Themen zuhause. Aber Arbeit ist eben auch Arbeit und deshalb ist es dennoch eine Mehrbelastung – man möchte dem Chef*in, den Kolleg*innen, den eigenen Ansprüchen gerecht werden. Also braucht es Chef*innen, die das erkennen, die Pflegearbeit als solche anerkennen und ihre Mitarbeitenden entsprechend unterstützen bei dieser Mehrfachbelastung.
Wir können diese Problem nicht im Privaten und familiären Raum lösen. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Lösung. Strukturen, die es pflegenden Eltern möglich machen, erwerbstätig zu sein. Viele haben erwähnt, dass Erwerbstätigkeit nur im Homeoffice und mit flexibel Arbeitszeiten möglich wäre. Ohne Solidarität und konkrete Lösungsansätze für pflegende Arbeitnehmer*innen aus der Chefetage und von den Kolleg*innen, ist es vielen deshalb kaum möglich berufstätig zu sein und gleichzeitig zu pflegen.
Wie so etwas aussehen kann, zeigt uns unsere Freundin Brenda von My Plix:

Es braucht mehr Sichtbarkeit für Pflege in Unternehmen
Mehrere Nachrichten betonten, dass es für sie ein Gamechanger war, als sie im Team offen über den Pflegealltag kommunizieren. Die Überbelastung wird damit sichtbar gemacht, ohne dass wir uns dafür schämen müssen. Denn wir leisten so viel mehr als diejenigen, die nicht pflegen (müssen). Kindererziehung und Pflege können nur in wenigen Aspekten verglichen werden. In der Regel gehen (nicht-behinderte) Kinder ab drei Jahren in den Kindergarten, ggf. früher in die Krippe. Da besteht eine Planbarkeit, die oft zuverlässig ist. Bei der Pflege, insbesondere von Kindern, erleben die Eltern hingegen ein hohes Maß an Unplanbarkeit: Der Verlauf, die Dauer und die Intensität der Pflegebedürftigkeit sind nicht immer klar. Außerdem sprechen wir hier oft von einer Pflege, die sich über Jahrzehnte ziehen kann. Es geht um Anträge und die ganze Kommunikation mit den Ämtern und Kranken- und Pflegekasse, Terminen mit Therapeut*innen und Fachspezialist*innen usw. Wir leisten quasi nebenbei einen hoch verantwortungsvollen Vollzeitjob und müssen dies nicht alleine bewältigen. Offen darüber zu sprechen, schafft Sichtbarkeit – auch wenn das für viele eine große Überwindung kostet, dennoch lohnt es sich! Viele wissen nicht einmal, wie das Pflegesystem strukturiert ist und haben daher keine Ahnung von den täglichen Belastungen, dem Aufwand der Pflege im Alltag, den verschiedenen Kämpfen mit den verschiedenen Anlaufstellen, Zukunftssorgen und so weiter. Es muss Menschen und Strukturen geben, die uns mitdenken. Wir sind diejenigen, die sich deshalb zuallerletzt schämen müssen. Wir können jeden Tag stolz auf uns sein und Verständnis notfalls vehement einfordern.

Denn der Preis, den wir für eine Erwerbstätigkeit oftmals bezahlen, ist hoch. “Müdigkeit und viel zu wenig Zeit für mich”. “Weniger Zeit für den Haushalt”. “Bin ausgebrannt”. “Schuldgefühle”. Diese Überlastung darf nicht normalisiert werden. Denn wenn wir das tun, dann bezahlen wir schlimmstenfalls sogar mit einer Erschöpfungsdepression, Schlafmangel, einem Burnout oder anderen gesundheitlichen Problemen, was in vielen der Nachrichten zu lesen war. Und da drehen wir uns dann im Kreis: denn damit wir uns um unsere eigenen Rahmenbedingungen kümmern können, sowohl um unsere körperliche als auch um unsere mentale Gesundheit, braucht es auch wieder Zeit und Energie. Die Diagnosen und Therapien unserer Kinder kommen immer zuerst. Und wenn wir es dann doch einmal zu einem Check-up oder einer Diagnostik schaffen, muss das erstmal reichen. Empfehlungen wie “Sie sollten wirklich regelmäßig Sport für Ihren Rücken machen” oder “Sie selber bräuchten therapeutische Begleitung” liegen wie der Stapel an Bürokratie auf dem Tisch und liegen und liegen. Wir wissen es besser, aber wann und mit welcher Energie sollen wir uns darum kümmern? Um uns und unsere Körper kümmern wir uns erst dann, wenn es schon viel zu spät ist und der Bandscheibenvorfall oder die Depressionen sich nicht mehr wegargumentieren lassen.

Erwerbsarbeit oder nicht? Oft steht das nicht einmal zur Wahl
Und ja, für alle, die neu sind im ‘Pflegegame’ oder selbst nicht direkt betroffen sind: Erwerbstätigkeit ist oftmals unerreichbar für pflegende Eltern. Es ist ein Privileg und bedeutet manchmal im Umkehrschluss auch finanzielle Not, nicht nur im Alter, sondern ganz akut. Wenn wir aber wissen, dass wenige von uns arbeiten kann und gleichzeitig die Armutsgefährdung in Deutschland deutlich zunimmt – das sagt das Statistische Bundesamt – wer kann sich heute und in den nächsten Jahren die Pflege von Familienangehörigen leisten? Was bedeutet das für diejenigen, die das nicht können? Noch mehr Prekarisierung im Alltag, als pflegende Angehörige jetzt schon erleben? Diese Debatte ist mehr als dringend.
Eine Nachricht auf Instagram lautete: “Ich würde gerne mehr arbeiten, Vollzeit, und hätte gerne verlässliche Hilfe für mein Kind.” Eine andere lautete: “Die Unterstützung ist einfach extrem mangelhaft. Ich habe keine.” Ohne verlässliche Strukturen ist die Eingliederung pflegender Eltern in den Arbeitsmarkt kaum möglich. Fehlen passende Betreuungsangebote, bleiben Erwerbsarbeit und somit finanzielle Stabilität, emotionale sowie psychische Entlastung oftmals unerreichbar. Vielen ist nicht bewusst, dass Kinder mit Pflegebedarf häufig in der Schule fehlen und zu Hause betreut werden müssen. Inklusive Ferienbetreuung – Fehlanzeige, vor allem ab Pflegegrad 3. Unter diesen Bedingungen ist die Rückkehr in den Beruf für viele nicht machbar. Das bedeutet, dass die Haupt- oder gar die gesamte Verantwortung für die Pflege privat und unbezahlt von Frauen übernommen wird, sei es durch Mütter, Schwestern, Töchter oder Nachbarinnen. Unsere Gesellschaft setzt stillschweigend die 24/7-Verfügbarkeit von Frauen bei der familiären Pflege voraus. Diese wird oft individuell und unbezahlt geleistet – dennoch mit hoher Expertise und Zuverlässigkeit.
Im Fall von Kindern, die aus gesundheitlichen Gründen zeitweise – sei es für Tage oder Jahre – nicht fremdbetreut werden können, muss ein Elternteil die umfassende Betreuung übernehmen. Dazu gehören Unterrichten, Pflege, Förderung und die Rolle als Elternteil, und dies in Vollzeit. Da kann man auch keine Vorsorge treffen für später. Weder für sich selbst noch für das Kind mit Behinderung und/oder Pflegebedarf. Auch das wurde in einer Nachricht auf Instagram erwähnt: “Ich würde gern weniger arbeiten, aber wer weiß, wie viel Geld ich später brauche, um mein Kind gut unterzubringen? Angesichts der politischen Lage rechne ich mit immer weniger Sozialleistungen.” Die Logik im Kapitalismus besagt: Je mehr Geld wir aktuell verdienen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir später für unsere eigene Unterstützung sorgen können. Dennoch sehen wir eine klare Zunahme der Armutsgefährdung, was den Sozialstaat, wie im Kommentar erwähnt, vor erhebliche Herausforderungen stellt.
Zukunftsängste von pflegenden Eltern umfassen so viele Bereiche, aber eben vor allem die Versorgung der Kinder. Und so wie wir uns jetzt nicht auf das Außen verlassen können, so gilt das auch für später, wenn unsere Kinder erwachsen und vielleicht sogar alt werden. Wer sorgt für mein Kind, wenn ich selber alt werde oder nicht mehr da bin? Diese Frage stellen wir uns immer wieder, manchmal leise erschöpft im Bett, mit einem Zukunftsbild dass uns nicht einschlafen lässt.
Das Patriarchat lässt grüßen

Fehlende Erwerbstätigkeit bei pflegenden Müttern bedeutet zudem weiterhin eine belastende Abhängigkeit von Partner*innen oder Ehemännern – sowohl finanziell als auch emotional. Das gesamte Pflegesystem beruht darauf, dass nicht der Staat als erstes einspringt, sondern die Familie. Wir werden ohne Wenn und Aber in die 1950er Jahre zurückkatapultiert. Das zeigt ein Kommentar einer pflegenden Mutter sehr deutlich: “Ich hätte gerne gearbeitet, aber dann hätte mein Mann den Part der Pflege verlässlich übernehmen müssen.” Kennen wir, oder? Ein wirklich großer Teil der Männer fühlt sich auch heute mit Aufgaben der Pflege überfordert und übernimmt deutlich weniger Verantwortung im Alltag als Mütter. Nicht alle, nein. Aber wirklich viele Väter, und das müssen wir auch einmal thematisieren. Oftmals passiert dann ganz selbstverständlich Folgendes: Der Mann geht arbeiten, die Frau pflegt. Dennoch ist die gesellschaftliche Haltung: Das ist doch der Vater, kann der nicht entlasten, die Pflege übernehmen oder könnt ihr euch das nicht besser aufteilen? Gleichzeitig ist es gesellschaftlich noch nicht akzeptiert, dass Väter in Teilzeit arbeiten, um mehr für ihre Familien da zu sein. Natürlich könnten in vielen Familien die Strukturen der Pflege verändert werden, wenn eine zweite Person 1:1 die Pflegearbeit übernehmen könnte, am besten flexibel oder mit großen zeitlichen Kapazitäten. Das wiederum setzt, wie oben erwähnt, verständnisvolle Arbeitgeber*innen voraus, die von jahrzehntealten Stereotypen abweichen und ihren Mitarbeitenden geteilte Care- und Pflegearbeit ermöglichen. Wir kommen also immer wieder dahin zurück, dass es einen Systemwandel braucht.
Es ist problematisch, dass wir diese Verantwortung wieder in die private Struktur von Familie verlagern. Er ist doch der Vater, er muss das können. Sie ist doch die Mutter, sie muss das können. Primär sind wir einmal Eltern geworden, keine Pflegefachkräfte. Und dennoch passiert es den meisten Müttern, dass sie in die Pflegerolle gedrängt werden und auf die Berufstätigkeit verzichten. Weil das Patriarchat seine Verantwortung nicht in der Pflege sieht und der Sozialstaat auch nicht.
Wir stehen vor dem Dilemma der Vereinbarkeit. Happy Equal Care Day Deutschland 2025. Es gibt noch viel zu tun.
Eure Simone, Bárbara und Anna.

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