Mit dem Avatar zur Schule – Telepräsenzsysteme für langfristig erkrankte Schulkinder

by Simone

Mein Sohn wurde eingeschult – vor 1,5 Jahren und dann kam alles anders als gedacht. Statt in die Schule zu gehen, kämpft er seither um sein Leben. Ein Krankenhausaufenthalt nach dem anderen, mehr als 18 schwere Operationen am Gehirn. Aber ein Schulkind, das ist er ja immer noch – trotz seiner schweren Erkrankung. Nur ist es für ihn leider aktuell nicht möglich in die Schule zu gehen. Ein kleiner Junge, der gerne lernen und Zeit mit seinen Klassenkameraden verbringen möchte. Soziale Isolation ist plötzlich ein Thema. Wie kann er teilhaben, ohne im Klassenzimmer zu sitzen? Wie kann er an Klassenausflügen teilnehmen und mit seinen Mitschülern Zeit verbringen? Alltag eines Schulkindes, der ihm bisher nicht möglich war. Denn er führt ein leben zwischen OP-Sälen und Krankenhausbetten.

Die Lösung

Mit einem Avatar kann er endlich auch mittendrin sein! Der Vorschlag kam von seinen Klassenlehrer*innen. Ich hatte davon schon einmal gehört und war sofort begeistert.  Mein Sohn hat nun also einen sogenannten AV1 Telepräsenzroboter für mehr soziale Teilhabe bekommen. Die Erfinder schreiben zu AV1 ” Schulabwesenheit ist die größte Herausforderung im Bildungswesen. Der AV1 Avatar ermöglicht abwesenden Schulkindern das gemeinsame Lernen und die soziale Integration und unterstützt die Wiedereingliederung in den Schulalltag.” Und so ist es auch. Am Montag startet mein Sohn nun offiziell von zuhause aus mit dem Unterricht. Wir sind beide schon sehr aufgeregt. Und freuen uns über diese Möglichkeit über Teilhabe am Präsenzunterricht. Mein Sohn hat seinen AV1 auch schon einen eigenen Namen gegeben, die Leher*innen haben ihn mit einem Foto personalisiert und er sitzt nun anstelle meines Sohnes an seinem Platz im Klassenzimmer. Schule für alle wird mit dem AV1 möglich. Es ist meiner Meinung nach ein wirklich guter Weg auch Kindern mit sehr schweren Erkrankungen, Immundefekten und/oder Angststörungen den Schulbesuch möglichst barrierefrei zu ermöglichen.

Mein Sohn besucht eine Förderschule mit dem Schwerpunkt körperliche Behinderung. Er ist nicht das einzige Kind, dass dort mit einem AV1 am Unterricht teilnimmt. Für uns ist es natürlich ein Abenteuer. Für andere Schulen und Familien, die noch keine Erfahrungen damit haben, wahrscheinlich ebenso. Deshalb gibt es natürlich Fragen, die geklärt werden müssen. Zum Beispiel die Frage der Finanzierung. 

Wie wird der Telepräsenzroboter finanziert?

“Grundlegend ist die Finanzierung bzw. Anschaffung der AV1 Technologie folgendermaßen möglich: über den Schulträger, über ein Medienzentrum, über die Schule selbst, über einen Förderverein, über eine Stiftung,” schreibt noisolation auf seiner Webseite. Bei uns wurde die Finanzierung von der Schule übernommen. Der Roboter kann gemietet oder gekauft werden. Auch kann er erstmals getestet werden, bevor er dann tatsächlich im Klassenzimmer zum Einsatz kommt. Wie es mit der Regelung in den einzelnen Bundesländern aussieht, bespricht man bestenfalls mit der Schule. In Bayern ist  die Technologie über die Schule für Kranke relativ präsent. Das kann man hier nachlesen. 

Wie funktioniert der Schul-Avatar?

Bei der Avatar-Technologie kommuniziert der vom Schüler gesteuerter Roboter über eine Kamera und ein Mikrofon mit der Klasse. Durch die Präsenz des Avatars im Klassenzimmer können Schülerinnen und Schüler aus der Distanz sozial interagieren und am Unterricht teilnehmen – ganz so, als wären sie vor Ort. Über die App auf einem digitalen Endgerät kann der/die Schüler*in sogar Emotionen ausdrücken, die Hand heben, oder den Pause-Modus aktivieren. Der Avatar leuchtet dann in verschiedenen Farben und seine Augen zeigen die gewünschte Emotion den Mitschüler*innen an. Durch leicht erkennbare LEDs auf seinem Kopf können Lehrer und Mitschüler dann erkennen, ob das Kind online ist, eine Frage beantworten oder stellen möchte oder gerade nur zuschauen will.

Bei uns in der Klasse sind alle schon total begeistert von ihrem kleinen Freund, der nun als Stellvertreter für meinen Sohn in der Eichhörnchenklasse sitzt. Es gibt einen guten Grund, warum der Avatar so konzipiert ist, denn: “Die AV1 Avatare sind für Schülerinnen und Schüler mit Langzeiterkrankungen, anderen medizinischen Bedürfnissen oder Ängsten konzipiert. In den meisten Fällen möchten diese Kinder und Jugendliche nicht unter Druck gesetzt werden, gesehen zu werden.” Auf diese Weise kann die Teilhabe reizarm und ohne Druck von Außen gestaltet werden. Das abwesende Kind kann mit seinem Avatar im Krankenhaus oder von zuhause die Lehrer und Mitschüler sehen, hören und mit ihnen sprechen. Es kann aktiv am Unterricht oder an Gruppenarbeiten teilnehmen und sogar die Pausen mit seinen Freunden verbringen.

Hürden

Damit ein abwesender Schüler einen Avatar nutzen kann, müssen natürlich Datenschutzrichtlinien eingehalten werden. Wichtig ist deshalb, dass die Eltern aller Schüler im Klassenzimmer ihr Einverständnis für die Nutzung eines Avatars geben. Die Aufklärung der Mitschüler und ihrer Eltern ist deshalb enorm wichtig. Es ist durchaus schon passiert, dass ein Kind keinen Avatar nutzen konnte, weil die Eltern der Mitschüler der Nutzung aus Datenschutzgründen nicht zugestimmt haben. Das ist natürlich eine Katastrophe für die betroffenen Familien, denen deshalb die Teilhabe am Unterricht und am Sozialleben der Schüler verwehrt bleibt. Die AV1 Telepäsenzroboter wurden für den Einsatz im Klassenzimmer entwickelt und verfügen über zahlreiche Funktionen und Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre und der Sicherheit. Die Videoverbindung ist gesichert und Verschlüsselt. Es besteht daher keine Gefahr für den Datenschutz im Klassenzimmer. Ganz im Gegenteil – ein Avatar bietet eine deutlich sicherere Möglichkeit als herkömmliche Video-Chats, die wir sonst täglich zur Onlinekommunikation nutzen. 

Hier findet ihr ein paar Best-Practice-Beispiele für die Nutzung eines Avatars

Hier ein toller Beitrag von der ARD

Ein Beitrag von der Sendung mit der Maus

Und so sieht er aus, der AV1

Vier Tabletten auf der Hand – meine mentale Gesundheit

by Anna

Auf dem Bild sieht man eine Illsutration von Anna. Ihre Haare sind schulterlang, sie trägt eine Brille und roten Lippenstift.

Ich kaue die letzten Reste des bioorganischen Nussriegels, den ich mir noch während des  Beine-aus-dem-Bett-schwingens in den Mund gesteckt hab. 5:50 Uhr ist nicht meine bevorzugte Zeit, um etwas zu essen, das so viel Kauarbeit verlangt. Aber damit das, was ich als Nächstes zu mir nehmen muss oder möchte oder sollte, gut wirkt und sinnvoll wirkt, darf mein Magen nicht leer sein. “Ein paar Bissen reichen, damit die Wirkung nicht total hoch geht und dann verpufft” sagte meine Therapeutin bei dem Trainings-Wochendende. An manchen Tagen funktioniert es gut. n anderen pusht es, noch während ich aus dem Dachgeschoss herunter steige.

Ich kippe die vier Tabletten aus dem vorbereiteten Tabletten-Sortierer in meine Hand.

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Die Mama von

by Simone

Ich bin die Mutti, Mutter oder Mama von. Denn ich bin eine Krankenhaus-Mutti. Es ist, als würde ich als Person langsam verschwinden. Niemand beachtet mich, ich werde nicht wahrgenommen. Außer, meine Kenntnisse als „Mama von“ werden benötigt. Dann habe ich die gesamte Aufmerksamkeit von Ärzten und Fachpersonen. Im Krankenhaus nennt mich niemand beim Namen. Alle sagen nur: „Mutti können Sie mal schauen.“ Es ist, als würde ich mich langsam auflösen. Kinderkliniken sind keine Orte für Eltern. Wir wurden nie mitgedacht, wr sind notwendiges Beiwerk. Medizinisch notwendige Begleitpersonen, ohne Bedürfnisse, Gefühle, oder Privatsphäre. Wenn ich telefoniere, dann muss ich auflegen, sobald jemand das Zimmer betritt. Ich kann nicht duschen und die Türe offen lassen, um zu hören, ob es meinem kranken Kind gut geht, weil jederzeit jemand die Türe öffnen könnte, dich ich niemals absperren kann. Ich kann nicht essen, wann ich will, weil das Tablett abgeholt wird und man mir dann vorwirft, dass ich mich nicht an die Regeln halte. Ich kann nicht mit meinem Kind das Zimmer verlassen, wie ich möchte, denn wir müssen uns an die Vorgaben halten. Wie soll ich „eine gute Mutter von“ sein, wenn meine Werte und meine Gedanken nichts wert sind? Wie soll ich mich selbst spüren und meinem Kind ein gutes Vorbild sein, wenn das System verlangt, dass ich alles, was mich ausmacht, neutralisiere? Dem System zuliebe.

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So fing es an

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Ein Gastbeitrag von Antje Christine. Auf Instagram unter @musik_fuer_mutter_erde .

Vor über 12 Jahren wurde unsere Tochter Amelie nach 22 Schwangerschaftswochen und 4 Tagen mit 410g geboren.

Als ich von meiner Schwangerschaft erfuhr, war ich sehr glücklich. Doch leider wurde dieses Glück bald durch eine Hyperemesis gravidarum, eine extreme Form der Schwangerschaftsübelkeit, getrübt. Ich konnte kaum etwas bei mir behalten und konnte kaum schlafen vor lauter Übelkeit. Dies hielt Monate an und mein Zustand verschlechterte sich zunehmend. Auf Grund von Komplikationen kam unsere Tochter schließlich viel zu früh zur Welt.

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#mehrals28Tage – eure Stimmen und Geschichten – Teil 1

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Mehr als 28 Tage Weiterzahlung des Pflegegeldes bei stationärem Aufenthalt im Krankenhaus fordern wir zusammen mit lavanja, Isa von Seelenfrida und Verena von der Hölderlin-Initiative mit dem Hashtag #mehrals28Tage. Und ihr habt diese Forderung lautstark unterstützt, indem ihr den Hashtag benutzt habt, die Petition auf innn.it unterschrieben und andere zum Unterschreiben aufgefordert habt.

Dafür tausend Dank! Die (aktuell) über 19 000 Unterschriften haben wir euch zu verdanken! Menschen werden durch eure Stimmen und Geschichten auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam und wollen helfen, etwas zu verändern. Um euren Texten ein weiteres Zuhause neben Instagram zu geben, veröffentlichen wir einige davon an dieser Stelle. Danke, dass ihr sie uns zur Verfügung stellt.

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Superheld*innen und der Krankenhaus-Blues

by Simone

Es gibt ja oft diese verklärte Vorstellung, dass Menschen, die schwere Krankheiten durchleben und ihre Liebsten, die sie dabei begleiten, besonders stark und tapfer oder hingebungsvoll sind. Diese romantische Vorstellung aus Hollywoodfilmen in denen man – auch ohne Happy End – dies alles mit Hingabe und Superpower gemeinsam meistert. Dass man aus dieser Zeit unheimlich viel für sich mitnimmt, aus der schweren Zeit fürs Leben lernt und noch stärker zusammenwächst. Auch, dass man eben genau daran wächst und einen neuen Blick auf das Leben bekommt. Auch ist es auf Social Media oft so, dass Eltern das selbst beschreiben oder so initiieren, dass man eben etwas ganz Besonderes ist. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Es ist nur eine Seite der Medaille, finde ich.

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Ein warmes Gefühl von Zuhause

by Bárbara Zimmermann

Dass die Welt groß ist, wissen wir alle. Aber was große Entfernungen für eine*n bedeuten können, wissen vor allem migrantische Familien.

Vor einer Woche bin ich aus Brasilien zurückgekommen, wo ich geboren wurde und den Großteil meines Lebens verbracht habe. Obwohl ich die Einzige meiner kleinen Familie bin, die dort geboren ist, fühlt sich Brasilien wie ein Zuhause für uns fünf an.

Ich hätte so vieles zu erzählen: wie lebendig ich mich dort fühle; welche Freude es für mich ist, meine Kinder Portugiesisch sprechen zu hören und wie sie mich nach vielen Jahren wieder “mãe” (Mama auf Portugiesisch) nennen; wie absurd schön die Natur des Regenwaldes mit seinen Wasserfällen, Flüssen und Tälern ist – und der Strand! Oder genauer gesagt: die Strände!

Die ganze Vorbereitung für die Reise war der Wahnsinn! Da wir mehrere Wochen dort verbrachten, mussten wir vieles mitnehmen, insbesondere genug von allen wichtigen Pflegeartikel für Kind Nr.3: fast 300 Blasenkatheter, 130 Spritzen (sie bekommen ein bestimmtes Medikament in der Blase durch den Blasenkatheter gespritzt, also ohne Nadel), ein Darmspülungssystem, ein Outdoor-Rad für den Rollstuhl und noch andere Dinge, die wir im Alltag für sie benötigen, lagen im Koffer zwischen Badeanzügen, Flipflops und Lindt-Schokolade (zusammen mit Weihnachtsdekoration, das beste Geschenk für Brasilianer*innen).

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Oh du Fröhliche, oh du Überforderung – Warum die Weihnachtszeit für neurodivergente Familien herausfordernd sein kann

by Anna

Pünktlich zum ersten Weihnachtswochenende beschäftigen wir uns heute damit, was Weihnachten oder Feiertage oder Adventszeit für Familien mit behinderten Kindern bedeutet. Ich (Anna) werde oft gefragt, wie das mit einem autistischen Kind ist. Dazu habe ich ein ganzes Kapitel in meinem Buch geschrieben, aber ich glaube, viel interessanter ist zu lesen, wie es ist, wenn es mehrere neurodivergente Personen in der Familie gibt und auch ein Elternteil dazu gehört. Deswegen hören wir heute Cheynne zu, die wir als Cheyenne.Wiley auf Instagram als Teil unserer Community sehr schätzen. Danke, dass du neben all dem, was du täglich leistest, trotzdem noch Zeit hast, uns und alle anderen in diesem Internet aufzuklären. (Beitragsbild: privat)

Die ersten Jahre haben wir versucht, an den uns vorgelebten Idealen festzuhalten, so auch in der Zeit von Anfang Dezember bis Januar, die so schön, so wohlig, gemütlich und manchmal eben nicht minder anstrengend zu sein scheint. Das Weihnachtsfest, für viele Familien ein Abarbeiten von Pflichtbesuchen, Deko, Geschenke und Traditionen aus unser aller Kindheit, die selbst und Erwachsene manchmal für einen Moment in diese Zeit zurückversetzen. 

Autistische Menschen sind generell schnell reizüberflutet. Und Reize sind nicht nur die lauten Umgebungsgeräusche oder Menschenansammlungen, sondern tendenziell alles, was in dem autistischen Gehirn Stress auslöst- und das ist höchstindividuell. 

 

Pünktlich am ersten Dezember schlägt bei uns die Bombe ein. Eine Bombe, die jahrelang kontinuierlich sowie pünktlich in Bruchlandung explodierte, ohne dass uns die Ursache klar war. Der klassische Adventskalender, das Einläuten der Weihnachtsstimmung, führte bei uns von Beginn an zu Gefühlsausbrüchen, in ihrer Intensität kaum nachvollziehbar für Außenstehende. Ein Adventskalender ist für viele Kinder ein logisches Konzept, um die Zeit bis Weihnachten fassen zu können. Für meine diagnostizierten Kinder, denen es schwer fällt den Unterschied zwischen Morgen und einem Monat zu greifen war der so schön drapierte und dekorierte Kalender ab Tag eins ein Trigger für einen Meltdown aus Unverständnis, Verzweiflung und schierer Panik, bis wir irgendwann aufgaben und beschlossen ihn außer Sichtweite zu schaffen und dem Kind jeden Tag ein Türchen einzeln zu geben. Aus den Augen, aus dem Sinn. Zeit Blindheit. Ein großes Thema, vor allem bei Adhs und oft dann doch so unbekannt, dass die kindliche Reaktion für Außenstehende als typische Trotzreaktion misinterpretiert wird. Bis wir als Familie den Dreh raus hatten, stets ausgecheckt, was bei unseren Kindern geht und was nicht, sind so einige Jahre vergangen und nun leben wir mit den nötigen Anpassungen, oft ein wenig anders im Detail aber für uns so furznormal. Familie eben.  

Meine beiden autististischen Kinder mit Adhs lieben Action- und genauso sehr wie sie danach ächzen, ermüden sie zugleich durch jede Abweichung von der alltäglichen Routine, die der feste Anker von Sicherheit und Ruhe. Entschleunigung. So schön die Weihnachtszeit in ihrem Glanz anmuten mag, so stressig ist das ganze Drumherum. Weihnachtsfeier hier, Nikolauslaufen da. Geschenke. Plätzchen und Lebkuchenhäuser. Für Kinder ist dieser Monat durchaus aufregend- für autistische Kinder oft so aufregend, dass ihr Nervensystem auf Daueralarm leuchtet. Und das bedeutet mitnichten automatisch, dass es nicht schön für neurodivergente Kinder wäre- der Zauber ist genauso da, nur eben mit einer großen Portion Anstrengung im Schlepptau. Unser Leben dreht sich oft darum zu sorgen, dass hier keines der Familienmitglieder ausbrennt. Ein Jonglieren der Bedürfnisse, ein Hangeln von Tag zu Tag, ganz viel Routine und gesicherte Flexibilität wenn nötig. So auch in der Weihnachtszeit. Die Feiertage sind wahrscheinlich der Höhepunkt, der Gipfel des Eisbergs und auch hier hatten wir einige Dramen, bis wir erkannt haben, welche Art von Weihnachten uns allen gut tut. Meine absolute Erkenntnis: Traditionen dürfen verändert werden. So gibt es Bescherung bei uns morgens, ihr wisst: Wartezeit bedeutet hier absoluter Stress und warum sollte ich einen eigentlich so schönen Tag damit verbringen gegen zu regulieren, anstatt ihn von Beginn an so zu gestalten, dass der Stress aufs Nötigste reduziert ist. 

Geschenke werden hier entweder in Etappen geöffnet oder bestenfalls dafür gesorgt, dass es nicht zu viele sind. Was sich für uns bewährt hat, ist das Entzerren der Überhäufung an Geschenken über mehrere Tage. Und oft entgegen mir verwunderte Stimmen: “Wie können Geschenke denn zu viel sein?” “Kinder lieben Geschenke!” Nunja, das ist meistens auch so, wobei ich mich mit so pauschalen Aussagen grundsätzlich schwer tue. Und auch hier wieder: Geschenke sind Dopaminlieferant schlechthin, lieben wir. Aber sie bedeuten auch Aufregung. Freunde. Große Emotionen. Eine Überreizung geschieht nicht immer bloß durch Empfindungen negativer Natur. Überreizungen entstehen nicht bloß durch unangenehme Gefühle, positiver Stress ist ebenso a thing- gerade bei Kindern mit so empfindlichen Nervensystemen. So achten wir in der Weihnachtszeit automatisch besonders darauf, dass die Kinder wenig Anforderungen haben und wir für entsprechende Auszeiten sorgen. 

Wir verbringen die Feiertage in gewohnter Konstellation und wählen unsere Kontakte mit Bedacht. Das A und O? Verständnisvolle Familien, die sich den Gegebenheiten anpassen. Inklusion innerfamiliär, so wie ich glaube, ein präsenteres Thema, das uns manchmal bewusst ist. Dass Neurodivergenz meist damit einhergeht, dass die Behinderung für Außenstehende nicht auf den ersten Blick sichtbar ist, führt zwangsläufig dazu, dass sich die Spreu vom Weizen trennt. Wir ringen nach Unterstützung, gerade wir pflegenden Familien benötigen das so altbekannte Dorf händeringend, doch erfahrungsgemäß führt die Erziehung an sich, die Erziehung neurodivergenter Kinder, umso häufiger zu immensen Familiendramen. Wie will man Oma Erna also erklären, dass das Kind nicht unerzogen ist, weil es die Weihnachtsdekoration vom Baum reißt. Oder was sagt Onkel Klaus dazu, dass die Bescherung um 10 Uhr morgens stattfindet? Als Mama autistischer Kinder bin ich klarer in meinen Forderungen geworden. Und das schlechte Gewissen schwindet. Ich fordere ein, was eigentlich selbstverständlich sein sollte und kämpfe wie eine Löwin für die nötigen Schritte, damit Teilhabe überhaupt annähernd stattfinden kann. Und wenn es sein muss, dann sortiere ich aus. Strikt und mit einer Deutlichkeit, die vom Außen oft nicht verstanden wird. Und all das ist okay. Ich bin kein Fan davon, Behinderungen, die für mich nach wie vor als wertneutral zu betrachten sind, zu romantisieren. Meine Kinder dienen keineḿ Zweck und auch wenn das ein wenig kitschig klingt: Sie haben mich hunderte Meter in die Höhe wachsen lassen. Ich darf nun die Erfahrung machen, dass wir kleine Dinge ändern dürfen. Und auch Große. Wir dürfen Entscheidungen treffen, für unsere Familien. Das Leben in einem System, gemessen an den Bedürfnissen vieler Menschen und eine Schablone, die für uns einfach nicht passt. Ich durfte erkennen, dass Weihnachten das ist was man draus macht. Und das ist nicht schlechter- bei uns höchstens ein wenig anders als bei Vielen. 

Die Sommerreihe: Ferien mit behindertem Kind – Bullerbü barrierefrei und trotzdem mit Hindernissen. Ein Gastbeitrag von Verena

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Ein Gastbeitrag von Verena  (@verenasophie) zu unserer Sommer-Serie “Ferien mit
behindertem Kind”.

Gute Erholung und eine schöne Auszeit. Das wünschen uns viele, wenn wir in den Urlaub fahren? Während ich diese Zeilen hier auf meine Diktierapp spreche, halte ich mit der anderen Hand meinen Sohn, der schon den ganzen Tag wieder vor sich hin schreit.

Spastik macht keinen Urlaub, Carearbeit auch nicht. Immer wieder muss ich auf Pause drücken bei meiner Aufnahme, weil dann wieder ein spitzer Schrei dazwischen schrillt. Ja, Urlaub mit schwerbehindertem Kind – generell Urlaub mit Kindern ist oft wenig erholsam, vor allem wenn sie noch klein sind und sich noch nicht selbständig beschäftigen können.

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