WDST 2025 – „Danke, dass Sie wieder gekommen sind.“ Lukas‘ Diagnose.

by Anna

Heute ist der 21.03.2025. Am Welt-Down-Syndrom-Tag lenken wir die Sichtbarkeit auf die Menschen mit Down-Syndrom (Trisomie 21), auf ihre Geschichten, auf ihre Erfahrungen und Barrieren, die ihnen in den Weg gelegt werden. In meinem Buch “WIR – Geschichten aus dem Alltag mit behinderten Kindern” erzähle ich unsere autobiographischen Geschichten, auch von den Diagnosen unserer Söhne. Heute habe ich euch die Geschichte rund um die Diagnose unseres Sohnes Lukas mitgebracht. Er ist mittlerweile 8 Jahre alt und die Diagnose und die Gedanken drumherum sind schon lange her, aber nie vergessen.

Das Buch bekommt ihr im Buchhandel oder bei meinem Verlag

Brimboriumverlag im Onlineshop. (Klick auf Bild)

Cover von Annas Buch, der Hintergrund ist rosa, mittig ist Anna und ihr Mann und ihre drei Kinder im Comicstyle zu sehen


Es ist Sommer 2022. Der pränatale Bluttest NIPT ist ab sofort Kassenleistung.

Er soll aber nur „in begründeten Einzelfällen bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken” durchgeführt werden, hieß es. Voraussetzung für eine Kostenübernahme ist eine intensive ärztliche Beratung. (www.tagesschau.de/inland/nipt-test-trisomie)

Als ich 2016 mit Lukas schwanger war, begann alles sehr unkompliziert. Naja, bis auf die Bauchspeicheldrüsenentzündung, die ich in der siebten Schwangerschaftswoche hatte. Von der Schwangerschaft wusste ich vielleicht gerade zwei Wochen. Nach der lebensgefährlichen Entzündung und einer Woche Vollpumpen mit Antibiotikum kam ich zu Simons ersten Geburtstag pünktlich nach Hause. Ich sollte zwei bis drei Monate fettarm leben, um meine Gallenblase zu schonen und die Entzündung nicht wieder aufflammen zu lassen. Ich erinnere mich so gut an den Tag, der letztendlich zu meinem Besuch in der Notaufnahme führte: ein Ausflug mit David und Simon in den Park, erster Vatertag zu dritt, Burger und Pommes zum Mittagessen, danach zwei Stück Erdbeertorte auf dem Balkon. Das Fett hatte meiner Gallenblase den Rest gegeben, ein Stein steckte fest und alles hatte sich entzündet. Man sagte mir, dass meine Leber ein paar Tage später aufgrund der vielen Entzündungen möglicherweise aufgegeben hätte. Sie war in einem Zustand wie nach zehn Jahren Alkohol-Missbrauch.

Ich erzähle das nicht, weil es so eine schöne Erinnerung ist, sondern weil diese Erfahrung zur Schwangerschaft mit Lukas dazu gehörte, genauso wie die Übelkeit und der Bauch. Eine OP sollte für das zweite Trimester anstehen, ich hatte also ein paar Wochen, um mich um Simons Eingewöhnung bei unserer Tagesmutter Antje und um mich selbst zu kümmern (natürlich in der Reihenfolge, was sonst?). Dann kam der Anruf am Nachmittag nach der Nackenfaltentransparenzmessung. Das war einer der ersten Tests im Verlauf der Schwangerschaft auf Trisomie 21, die man damals beim Uterus-Arzt machen lassen konnte.  „Hallo Frau Mendel, die Untersuchung und die Blutwerte waren auffällig, Sie sollten einen Pränataldiagnostiker aufsuchen. Am besten noch nächste Woche.“ Über die 13. vielleicht auch 14. Schwangerschaftswoche hinaus sieht man bestimmte Marker nicht mehr so gut. Ich hing also am Telefon und fragte bei drei bis vier Praxen nach einem kurzfristigen Termin. Niemand konnte mir helfen bis eine Praxis dann versprach, mich gleich noch mal zurückzurufen. Endlich klappte es und David und ich mussten eine Woche warten, um dann endlich in diesem sehr schicken Wartezimmer zu sitzen und vor uns hin zu murmeln. Ich murmelte: „Und wenn es jetzt so ist?“ „Dann ist es jetzt so.“ murmelte er.

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Abgemahnt – der Mental Load von pflegenden Eltern

by Simone

Vor fünf Jahren hatte ich beinahe ein Inkassoverfahren am Hals, weil ich mehrfach vergessen habe, einen Sondenbody für mein schwerstkrankes Kleinkind zu bezahlen. Ich habe den Body im Internet bestellt, er kam irgendwann an und lag verpackt auf dem Küchentisch. Niemand packte ihn aus. Wir waren in der Klinik und dann in der nächsten Klinik und dann auf der Intensivstation und die Mahnungen flatterten rein und dann kamen wir nach Hause und ich packte die Koffer aus und wusch unsere Kleider und packte eine neue Kliniktasche. Ich kaufte Lebensmittel, bestellte Rezepte, rannte zur Apotheke, sondierte, wickelte, aß und trank nicht und vergaß die Rechnungen. Der Tag hatte nur 24 Stunden. Wir hatten keinen Pflegedienst. Ich hielt Nachtwache vor dem Monitor und dachte: ich muss heute die Rechnungen bezahlen. Morgen früh. Da werde ich sie überweisen. Ganz sicher.

 

Es wurde morgen früh. Mein Kind baute ab und ich warf die Kliniktasche ins Auto, packte den Rucksack und vergaß die Rechnungen. Ich fuhr ins Krankenhaus. Ich hatte vergessen zu tanken. Mein Kind erbricht sich auf dem Rücksitz. Aber ich muss tanken, sonst kommen wir nie im Krankenhaus an. Zeitgleich telefoniere ich mit der Kinderärztin und dem Krankenhaus. Mir fallen die Rechnungen ein. Ich schreibe meinem Mann, dass er nach dem Büro die Rechnungen bezahlen soll. Aber am Abend, als unser Kind wieder auf der Intensivstation liegt, haben wir beide die Rechnungen wieder vergessen. Ich bin wütend auf meinen Mann. Er kommt erst spät zu uns in die Klinik. Wir streiten. Wir haben keine Nerven für den Alltag einer normalen Familie. Wir streiten nie über die banalen Dinge im Alltag, sondern immer über existentielle Dinge. Wir streiten, wer erschöpfter ist, wer mehr von seinem Leben aufgegeben hat und wer die heutige Nacht in der Klinik übernehmen muss. Wir wollen überhaupt nicht streiten, aber wir sind am Rande unserer Belastbarkeit angekommen. Die Prioritäten haben sich verschoben von: wer zahlt wann die Rechnungen zu: wer sorgt dafür, dass unser gemeinsames Kind heute Nacht im Krankenhaus nicht verstirbt? Also werden wir abgemahnt. Aber nicht nur wegen der Rechnungen, sondern auch vom System, das uns hat fallen lassen.

Wir haben keine Zeit für den Alltag, aber er läuft weiter und frisst unsere Ressourcen. Oft zahlen wir drauf, weil die Rechnungen dann halt immer teurer werden und diese Rechnungen stehen auch metaphorisch für unseren Lifestyle. Einer zahlt immer drauf. Meist sind es die Mütter. Sind wir mal ehrlich. Wie oft habe ich meinen Mann beneidet, weil er statt ins Krankenhaus ins Büro gehen kann? Und wie oft hat er mich beneidet, dass ich bei unserem Sohn sein darf, während er arbeiten muss. Eigentlich sollten wir zusammen sein können. Zu dritt. Aber das geht nicht. Stattdessen zahlen wir drauf. Finanziell und mit unserer Psyche. Wir sehnen uns nach Gemeinsamkeit und streiten über den Mental Load. Wenn wir zuhause sind, versuchen wir dort anzuknüpfen, wo wir zuvor aufgehört haben und schaffen es nicht. Es ist zu viel liegen geblieben. Nicht nur die Rechnungen. Auch die Behördenbriefe, der Müll, die Wäsche, der Staub. Wir kommen völlig ausgelaugt zuhause an und wissen nicht wo beginnen. Alle wünschen uns ein schönes Ankommen zuhause. Wir fragen uns nur: wie um Himmels willen sollen wir zuhause ankommen, wenn unser Leben die Zwischenwelt ist? Die Berge von Verpackungsmaterialen erschlagen mich und machen die Wohnung wenig barrierefrei. Wenn ich jetzt einen Aufbewahrungsschrank im Internet bestelle, dann baut diesen wahrscheinlich nie jemand auch und die erste Mahnung liegt quasi schon im Briefkasten. Wir wissen nicht, wo wir diesen normalen Alltag einer Familie unterbringen sollen, neben dem medizinischen Wahnsinn, der Pflege und dem Überleben. Also zahlen wir weiterhin drauf, ohne uns zu beschweren. Ein Guthaben gibt es leider nicht. Schade Schokolade.

Die Sache mit dem vierten Advent

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Maeve Caitlin vom Instagram-Account @fuehlworte hat einen sehr bewegenden Weihnachtsbeitrag für Kaiserinnenreich geschrieben. Denn für pflegende Familien bergen die Feiertage oft viele Herausforderungen – auch emotional. Gerade wenn man von einer Krise in die nächste fällt. Dann wird Weihnachten zweitrangig und führt einem vor Augen, dass mal wieder wenig von der so sehr gewünschten Normalität übrig bleibt. Schmerzlich missend, aber wissend, dass es nicht anders geht. (Simone)


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So eine*r hat ein Kind

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Das Bild ist in schwarz-weiß. Valo trägt ein Hemd, hat die Arme über den Kopf gelegt und schaut in die Kamera. Valo hat kurze, braune Haare

Valo Christiansen ist [gender]queere*r [spoken] word artist, [sensitivity] reader*in, Übersetzer*in und Referent*in aus Bochum. Dey schreibt mehrsprachig über Feminismus, Queerness, Identität und Neurodivergenz, sowie den Überschneidungen dazwischen und darüber hinaus. 2024 erschien mit der Anthologie Sonderzeichen, herausgegeben von Valo Christiansen und Sam Sackbrook, die erste deutschsprachige Spoken-Word-Textsammlung mit Beiträgen von ausschließlich trans, inter, agender und nichtbinären Personen.

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