Autismus und medizinische Versorgung: Ein Erfahrungsbericht einer pflegenden Mutter

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Im Anschluss an den letzten Blogbeitrag Kindergerechte Medizin: Eine Utopie? Nein, ein Recht für alle Kinder! dürfen wir jetzt den Gastbeitrag von I., Mutter eines heute 15-jährigen autistischen Kindes, lesen.

Meine Tochter ist elf Jahre alt, es ist das Jahr 2020.

Seit fünf Tagen liegt sie immer wieder in ihrem Bett. Sie hat Durchfall, Schmerzen, und wir haben sie von der Schule abgemeldet. Über ihre Symptome kann sie nicht richtig sprechen, denn sie ist im Autismus-Spektrum. Ich merke, dass etwas nicht stimmt. Wenn ich sie darauf anspreche, spricht sie von Beinschmerzen, die ein Sturz vor zwei Wochen verursacht hat. In den Nächten schreit sie auf. Ich sehe nach, meine Fragen können nicht beantwortet werden, doch sie schafft es, sich wieder zu beruhigen und schläft weiter.

Nach den fünf Tagen sind wir erschöpft. Zum Wochenende geht es ihr plötzlich wieder gut, und sie fährt eine große Runde mit dem Roller um den Block.

Am Montag entscheiden wir, sie wieder in die Schule zu schicken. Dann der Anruf der Teilhabeassistentin: M. soll abgeholt werden, sie hat Bauchschmerzen. Also hole ich sie ab und fahre mit ihr zur Ärztin. Sie macht einige Untersuchungen zum Thema Blinddarm und schickt uns ins Kinderkrankenhaus, auch wenn M. nicht die typischen Symptome aufweist. Dort angekommen, soll sie über Nacht erst einmal beobachtet werden. Wahrscheinlich eine Blinddarmentzündung.

Das Blutabnehmen wird zu der ersten Herausforderung. Die empathische Ansprache gelingt den Krankenschwestern nicht. Ihr Arm wird fixiert, und sie nehmen ihr Blut ab, wobei sie schreit.

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Kindergerechte Medizin: Eine Utopie? Nein, ein Recht für alle Kinder!

by Bárbara Zimmermann

Als Menschen mit Rechten haben Kinder jeden Alters – und ganz egal ob mit oder ohne Behinderung und unabhängig von der Art der Behinderung – das Recht auf medizinische und therapeutische Behandlung, auf angemessene Kommunikation während dieser Behandlung, auf Äußerung ihrer Meinung und auf Berücksichtigung dieser Meinung bei Behandlungsentscheidungen. Doch wie sieht dies in der Praxis aus?

So sollte dies eindeutig NICHT aussehen:

Letzten September hatte meine Tochter einen MRT-Termin. Es war das erste MRT, das sie wach und ohne Sedierung erleben sollte. Wir hatten uns gut vorbereitet – mit einem Kinderbuch und YouTube-Videos, um sie auf das Erlebnis vorzubereiten. Anfangs war sie nervös, aber auch mutig, weil sie sich entschieden hatte, die Untersuchung so zu machen. Ich war sehr stolz auf sie, machte ihr aber auch klar, dass sie jederzeit rufen konnte, wenn sie Angst hätte.

Wir kamen pünktlich in der Klinik an, mussten aber an diesem Tag das tun, was man in einer Klinik meistens tut: warten. Überraschung Nr. 1: Statt um 8 Uhr, wie geplant, wurde es 13 Uhr, bis wir endlich dran kamen. „Ein Notfall nach dem anderen und wir haben nur zwei MRT-Geräte für das gesamte Untersuchungsspektrum der Uniklinik“, hieß es. Oder eher: Pflegekrise und Personalnotstand?

Die Bedingungen für mein Kind waren alles andere als ideal. Als ich die Ärztin fragte, ob meine Tochter während des MRTs Kopfhörer mit einem Hörspiel bekommen könnte, wie ich von anderen Eltern auf Instagram und WhatsApp-Gruppen schon gelesen hatte, hieß es nur: „Das haben wir nicht, aber ich kann das Radio anmachen“. Überraschung Nr. 2.

Dreizehn Uhr: Endlich war es soweit. Die Arzthelferin besprach mit meinem Kind den Ablauf der Untersuchung. „Das dauert höchstens zwanzig Minuten, das schaffst du schon“, sagte sie freundlich.

Die Untersuchung begann. Doch Überraschung Nr. 3: Es dauerte fast eine ganze Stunde.

Irgendwann zwischen Shakira und Ed Sheeran – oder ähnliches – kam bei FFN eine Nachricht: Amoklauf in einer Hamburger Schule. Tolle Information für eine Sechsjährige, die in einem Rohr liegt, aus dem extrem laute Töne kommen, und still liegen sollte. Kein Wunder, dass sie anfing zu weinen. Sie war in Panik. Die Untersuchung musste schließlich durch Sedierung fortgesetzt werden. Überraschung Nr. 4!

Es war bereits 14.30 Uhr, ich saß müde im Flur vor der Tür des Behandlungszimmers, in dem meine Tochter sediert untersucht wurde, und war extrem frustriert – nicht über mein Kind, natürlich, sondern über die unzureichenden kindgerechten Bedingungen dieser Untersuchung.

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Warum die Zeit jetzt drängt: Monitoring des NIPT muss auf die Agenda!

by Bárbara Zimmermann

Du hast sicher schon gehört oder gelesen, dass seit Juli 2022 die gesetzliche Krankenkasse die Kosten für den nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) auf Trisomien 13, 18 und 21 übernimmt. Die Entscheidung des Bundestags kam ohne tiefgehende Diskussion zu den ethischen Fragen, die untrennbar damit verbunden sind und was das für unsere Gesellschaft bedeuten kann. Die Zusicherung war klar: Es dürfe keinesfalls zu einem massenhaften Screening auf das „Down-Syndrom“ kommen.

Doch jetzt, kaum zwei Jahre später, sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Der Test wird eben nicht nur „im Ausnahmefall“ genutzt, sondern deutlich häufiger – häufig ohne ausreichende Beratung. Besonders bei jungen Schwangeren führen falsch-positive Ergebnisse zu unnötigen Sorgen und manchmal weitreichenden Entscheidungen. Was sagt uns das über die Umsetzung dieser Kassenzulassung? Welche Konsequenzen kann sie für Individuen und für die Kollektivität mit sich bringen? Was können wir daraus lernen, um die Situation zu verbessern?

Genau hier setzt der interfraktionelle Antrag auf ein Monitoring der NIPT-Folgen an. Der Bundesrat hat diesen Antrag einstimmig befürwortet. 121 Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen haben ihn in den Bundestag eingebracht, die erste Lesung ist durch, und der Gesundheitsausschuss hat ihn ebenfalls einstimmig befürwortet. Doch die Abstimmung am 8. November 2024 wurde kurzfristig gestrichen – eine Folge der politischen Unsicherheiten der Ampel-Koalition.

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Wann ist man erwachsen geworden?

by Bárbara Zimmermann

2024 – was für ein Jahr!

Von unerledigten To-Do-Listen, nicht gestellten Anträgen und unerfüllten Pläne, bis hin zur Bewilligung der Schulbegleitung für die Einschulung meines Kindes im Jahr 2025, einer zehntägigen Kongressreise allein nach Panama und dem Besuch meiner Eltern aus Brasilien kurz nach Weihnachten;

Von zahlreichen angefangenen Texten für den Blog, die ich nicht fertiggestellt und veröffentlicht habe, bis hin zu acht veröffentlichten Blogbeiträgen von mir (insgesamt 21 Artikel 2024 auf dem Blog), einer TV-Beitrag, einer mitgestarteten und erfolgreichen Petition #mehrals28Tage und einem Gastbeitrag in einer Fachzeitschrift gemeinsam mit Anna und Simone geschrieben;

Von einer Überraschungsparty in einem kleinen Kulturverein in unserem Dorf in Südniedersachsen von meinem Mann und unseren Kindern so liebevoll organisiert, wo ich meinen 40. Geburtstag, das Leben und die Freundschaft mit lieben Menschen aus Köln, Brüssel, Paris, London und aus der Ferne feierte;

Von der Erfahrung, trotz großer Unsicherheit Monate zuvor, die Moderation einer tollen Fachtagung über pflegende Elternschaft übernommen zu haben – und, darf ich sagen? – erfolgreich gemeistert zu haben;

Von einem intensiven Familienalltag mit drei Kindern und Erwerbstätigkeit – leider immer noch ein Luxus unter uns pflegenden Eltern -, in dem mein Mann und ich unsere Kinder viel begleitet haben – bloß nicht die Familie vernachlässigen, wie ich heute in der Story von Susanne Mireau zu ihrem neuen Buch „Emotional Load“ gelesen habe. Wir standen der Seite unseren Kindern bei Hausaufgaben, Therapien, Klavier- und Tanzunterricht sowie epileptischen Anfällen (der letzte WÄHREND der Bescherung am Weihnachten!!!), bei Operationen und Untersuchungen bis hin zum Aufwachsen als Teenager in dieser spannenden neuen Welt. Bei Tränen und Freude. Auch sie haben mich in diesem Jahr begleitet: u.a. bei einer Demon in Frankfurt vor der Europawahl, wo sie mit ihren 6, 9 und 12 Jahren den bewegenden Worten von Enissa Amani hörten – eine Erfahrung die sie bis heute in sich tragen! -, und bei der Buchpremiere von Hadija Haruna-Oelker neuen Buch “Zusammen sein” mit meiner ältesten Tochter, die nun mit Offenheit und Neugier großes Interesse an der Welt der Bücher, Politik und des Journalismus zeigt.

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Die Sache mit dem vierten Advent

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Maeve Caitlin vom Instagram-Account @fuehlworte hat einen sehr bewegenden Weihnachtsbeitrag für Kaiserinnenreich geschrieben. Denn für pflegende Familien bergen die Feiertage oft viele Herausforderungen – auch emotional. Gerade wenn man von einer Krise in die nächste fällt. Dann wird Weihnachten zweitrangig und führt einem vor Augen, dass mal wieder wenig von der so sehr gewünschten Normalität übrig bleibt. Schmerzlich missend, aber wissend, dass es nicht anders geht. (Simone)


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Dezemberträume

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Heute gibt es wieder einen Gastbeitrag von der lieben L.. Sie hat bereits drei Texte bei uns veröffentlicht, die wir euch wärmstens empfehlen möchten: “Neue Normalität mit Pflegedienst“, “Über Breiparty, Raubtierfütterung, Küchenlabor, Nachtlager und Zettelwirtschaftliebe” und “Wir haben den Pausenknopf gefunden – im Kinderhospiz“. Heute schreibt sie – wieder wunderschön(!) – über ihre Dezemberträume der letzten vier Jahre.

Dezember 2020

Hirndruck. Die erste große OP steht uns bevor. Eine Woche vor Weihnachten. Wir waren in dem Jahr frisch und stolz Eltern geworden und die unvorhersehbare angeborene Krankheit unseres Räuberkindes hatte uns mit voller Wucht getroffen. Es gab zwischen den Krankenhaus und Ärzte Marathon Terminen eigentlich keine Zeit die Diagnose zu verarbeiten.
Corona noch dazu. Besuchsverbote machen alles nicht leichter. Aber die Zeit war trotzdem auch von viel Hoffnung und Zuversicht geprägt. Wir schaffen das schon, alles wird gut! Die Räuberkind Liebe unendlich groß. Die Shunt OP verlief gut.

Unser Wunsch für Weihnachten?

Einfach nur am 23. rechtzeitig entlassen werden um Weihnachten Zuhause feiern zu können! Das erste Weihnachten zu dritt. Es hat geklappt!

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Mit dem Avatar zur Schule – Telepräsenzsysteme für langfristig erkrankte Schulkinder

by Simone

Mein Sohn wurde eingeschult – vor 1,5 Jahren und dann kam alles anders als gedacht. Statt in die Schule zu gehen, kämpft er seither um sein Leben. Ein Krankenhausaufenthalt nach dem anderen, mehr als 18 schwere Operationen am Gehirn. Aber ein Schulkind, das ist er ja immer noch – trotz seiner schweren Erkrankung. Nur ist es für ihn leider aktuell nicht möglich in die Schule zu gehen. Ein kleiner Junge, der gerne lernen und Zeit mit seinen Klassenkameraden verbringen möchte. Soziale Isolation ist plötzlich ein Thema. Wie kann er teilhaben, ohne im Klassenzimmer zu sitzen? Wie kann er an Klassenausflügen teilnehmen und mit seinen Mitschülern Zeit verbringen? Alltag eines Schulkindes, der ihm bisher nicht möglich war. Denn er führt ein leben zwischen OP-Sälen und Krankenhausbetten.

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Trauer und Geld – wenn Kinder sterben

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Wir beschließen die Woche (oder beginnen sie, je nach Perspektive) mit einem ganz besonderen Text von Sarah, die uns diesen Artikel über die Themen Tod eines Kindes, Trauer und Geld geschenkt hat. Sie erzählt uns davon, wie es für sie war, nach dem Tod ihrer Tochter Romy wieder die Erwerbsarbeit aufzunehmen, diese wieder zu kündigen und wie Trauer, Stress und Geld zusammen hängen können. Sarah findet ihr unter dem Account @phyxchen auf Instagram.

Bitte beachtet, dass dieser Artikel die Themen Tod eines Kindes, Trauer, Stress, Erschöpfung und psychische Krankheiten, sowie Armut beinhaltet. Wendet euch bei Bedarf an eine Trauerberatung oder -begleitung in eurer Nähe.

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So eine*r hat ein Kind

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Das Bild ist in schwarz-weiß. Valo trägt ein Hemd, hat die Arme über den Kopf gelegt und schaut in die Kamera. Valo hat kurze, braune Haare

Valo Christiansen ist [gender]queere*r [spoken] word artist, [sensitivity] reader*in, Übersetzer*in und Referent*in aus Bochum. Dey schreibt mehrsprachig über Feminismus, Queerness, Identität und Neurodivergenz, sowie den Überschneidungen dazwischen und darüber hinaus. 2024 erschien mit der Anthologie Sonderzeichen, herausgegeben von Valo Christiansen und Sam Sackbrook, die erste deutschsprachige Spoken-Word-Textsammlung mit Beiträgen von ausschließlich trans, inter, agender und nichtbinären Personen.

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