Das Vereinbarkeitsdilemma. Ein Frauenthema?

by Anna

 

Es ist ein Miroboard mit einer Zusammenfassung der Antworten zu sehen.

Danke an Bárbara für das Zusammenstellen dieser wunderbaren Graphik.

Wer ist eigentlich berufstätig unter den Pflegenden und aus welchen Gründen? 

Bald ist wieder Equal Care Day, so wie jedes Jahr, und seien wir mal ehrlich: Wer von den pflegenden Familien hier auf der Plattform und generell schafft es, das 50/50-Modell zu leben, in einer Gesellschaft, die familiäre Pflege mit Ehrenamt gleichstellt? Selbstverständlich ist Pflegearbeit in unserer Gesellschaft ein Teil der Fürsorgearbeit! Und wer verrichtet 2025 die Fürsorgearbeit? Ganz genau – es sind immer noch vor allem die Frauen, was zu realen geschlechtsspezifischen Ungleichheiten führt, die sich über verschiedene Aspekte ihres/unseres Lebens ziehen. Das hat sowohl individuelle als auch gesamtgesellschaftliche Konsequenzen – und politische Ursachen.

Wir haben auf unserem Instagram-Kanal einmal nachgefragt, was euch beschäftigt in Sachen Erwerbstätigkeit und Pflege. 71 Antworten haben wir bekommen – vorwiegend von Frauen bzw. pflegenden Müttern. Und ihr habt geantwortet und erzählt, wie ihr euch mit dem Spagat aus Beruf und Pflege fühlt. Es gibt wirklich sehr viele Übereinstimmungen. Es ist ein Meinungsbild, dem wir (die Autorinnen – Simone, Anna und Bárbara) uns anschließen können. Lasst uns mal genauer hinsehen.

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Abgemahnt – der Mental Load von pflegenden Eltern

by Simone

Vor fünf Jahren hatte ich beinahe ein Inkassoverfahren am Hals, weil ich mehrfach vergessen habe, einen Sondenbody für mein schwerstkrankes Kleinkind zu bezahlen. Ich habe den Body im Internet bestellt, er kam irgendwann an und lag verpackt auf dem Küchentisch. Niemand packte ihn aus. Wir waren in der Klinik und dann in der nächsten Klinik und dann auf der Intensivstation und die Mahnungen flatterten rein und dann kamen wir nach Hause und ich packte die Koffer aus und wusch unsere Kleider und packte eine neue Kliniktasche. Ich kaufte Lebensmittel, bestellte Rezepte, rannte zur Apotheke, sondierte, wickelte, aß und trank nicht und vergaß die Rechnungen. Der Tag hatte nur 24 Stunden. Wir hatten keinen Pflegedienst. Ich hielt Nachtwache vor dem Monitor und dachte: ich muss heute die Rechnungen bezahlen. Morgen früh. Da werde ich sie überweisen. Ganz sicher.

 

Es wurde morgen früh. Mein Kind baute ab und ich warf die Kliniktasche ins Auto, packte den Rucksack und vergaß die Rechnungen. Ich fuhr ins Krankenhaus. Ich hatte vergessen zu tanken. Mein Kind erbricht sich auf dem Rücksitz. Aber ich muss tanken, sonst kommen wir nie im Krankenhaus an. Zeitgleich telefoniere ich mit der Kinderärztin und dem Krankenhaus. Mir fallen die Rechnungen ein. Ich schreibe meinem Mann, dass er nach dem Büro die Rechnungen bezahlen soll. Aber am Abend, als unser Kind wieder auf der Intensivstation liegt, haben wir beide die Rechnungen wieder vergessen. Ich bin wütend auf meinen Mann. Er kommt erst spät zu uns in die Klinik. Wir streiten. Wir haben keine Nerven für den Alltag einer normalen Familie. Wir streiten nie über die banalen Dinge im Alltag, sondern immer über existentielle Dinge. Wir streiten, wer erschöpfter ist, wer mehr von seinem Leben aufgegeben hat und wer die heutige Nacht in der Klinik übernehmen muss. Wir wollen überhaupt nicht streiten, aber wir sind am Rande unserer Belastbarkeit angekommen. Die Prioritäten haben sich verschoben von: wer zahlt wann die Rechnungen zu: wer sorgt dafür, dass unser gemeinsames Kind heute Nacht im Krankenhaus nicht verstirbt? Also werden wir abgemahnt. Aber nicht nur wegen der Rechnungen, sondern auch vom System, das uns hat fallen lassen.

Wir haben keine Zeit für den Alltag, aber er läuft weiter und frisst unsere Ressourcen. Oft zahlen wir drauf, weil die Rechnungen dann halt immer teurer werden und diese Rechnungen stehen auch metaphorisch für unseren Lifestyle. Einer zahlt immer drauf. Meist sind es die Mütter. Sind wir mal ehrlich. Wie oft habe ich meinen Mann beneidet, weil er statt ins Krankenhaus ins Büro gehen kann? Und wie oft hat er mich beneidet, dass ich bei unserem Sohn sein darf, während er arbeiten muss. Eigentlich sollten wir zusammen sein können. Zu dritt. Aber das geht nicht. Stattdessen zahlen wir drauf. Finanziell und mit unserer Psyche. Wir sehnen uns nach Gemeinsamkeit und streiten über den Mental Load. Wenn wir zuhause sind, versuchen wir dort anzuknüpfen, wo wir zuvor aufgehört haben und schaffen es nicht. Es ist zu viel liegen geblieben. Nicht nur die Rechnungen. Auch die Behördenbriefe, der Müll, die Wäsche, der Staub. Wir kommen völlig ausgelaugt zuhause an und wissen nicht wo beginnen. Alle wünschen uns ein schönes Ankommen zuhause. Wir fragen uns nur: wie um Himmels willen sollen wir zuhause ankommen, wenn unser Leben die Zwischenwelt ist? Die Berge von Verpackungsmaterialen erschlagen mich und machen die Wohnung wenig barrierefrei. Wenn ich jetzt einen Aufbewahrungsschrank im Internet bestelle, dann baut diesen wahrscheinlich nie jemand auch und die erste Mahnung liegt quasi schon im Briefkasten. Wir wissen nicht, wo wir diesen normalen Alltag einer Familie unterbringen sollen, neben dem medizinischen Wahnsinn, der Pflege und dem Überleben. Also zahlen wir weiterhin drauf, ohne uns zu beschweren. Ein Guthaben gibt es leider nicht. Schade Schokolade.

Die Sommerreihe: Ferien mit behindertem Kind – Sich getragen fühlen

by Bárbara Zimmermann

Es gibt zwei Dinge, die mich richtig glücklich machen, und ich nutze jede Gelegenheit, um sie zu kriegen. Ich war bis jetzt sogar bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen, wenn das nötig war – so wie diesen Sommer. Damit meine ich nicht, dass ich höhere Geldpreise zahle, , sondern vielmehr, dass ich mehr Aufwand im Alltag betreiben muss. Sonne und Meereswasser auf der Haut zaubern mir ein richtiges Glücksgefühl! (Ja, ich weiß, dass ich nicht unbedingt das richtige Land als Wohnort mir dafür ausgesucht habe, aber gut, das ist ein anderes Thema.)

In diesem Sommer verbrachten wir zehn Tage auf einem Campingplatz auf Fehmarn an der Ostsee. Wir hatten einen Stellplatz mit Meeresblick und das war traumhaft! Das Wetter hat gut mitgespielt und wir waren mit  super lieben Freund*innen, die ebenfalls mit uns gezeltet haben. Wir waren viele: insgesamt zwölf Erwachsene plus sechzehn Kinder (!!!) und dann noch die tolle Überraschungsbegegnung mit der allerliebsten Sonja und ihrer Familie, die ein paar Tage nach uns dort ankamen. D.h. wir waren vierzehn Erwachsene plus neunzehn Kinder (!!!!!!). Keine Sorge, wir hingen nicht alle immer zusammen ab.

Ach, war die Bárbara glücklich!

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Die Sommerreihe – Welche Mutter bin ich? Ein Gastbeitrag von Claudia

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Ein Gastbeitrag von Claudia (Instagram @claudiastaudi) zu unserer Serie “Ferien mit behindertem Kind”.

Ich bin nicht die Mutter, die es im Urlaub genießt, sich morgens im Bett nochmal umzudrehen, weil das schon wache Kind alleine spielt.
Ich bin nicht die Mutter, die sich am Strand im Liegestuhl zurücklehnt und ihre Kinder beim Spielen im Sand beobachtet, hin und wieder „Paß auf!“ rufend.
Ich bin nicht die Mutter, die mit schickem Handgepäck durch den Flughafen schlendert, an jeder Hand ein Kind, das einen Koffer in Tierform hinter sich her zieht.
Ich bin nicht die Mutter, die abends mit neuen Bekanntschaften bei einem Glas Wein vor dem Zelt zusammensitzt, während die Kinder gemeinsam mit den Fahrrädern über den Platz düsen.
Ich bin nicht die Mutter, die ihre Kinder in der Kinderbetreuung des Hotels abgibt, um dann Zweisamkeit mit dem Mann zu genießen.

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Als ich zusammen mit meiner Gynäkologin geweint habe

by Bárbara Zimmermann

Letzten Herbst habe ich Mut gefasst, als ich zu meiner Gynäkologin ging. Mut, weil es manchmal Kraft kostet, neue Räume für intime Gespräche zu schaffen, die nicht im Skript stehen. Mut, weil es nicht immer leicht ist, schmerzhafte Erinnerungen aus der Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen. Das bedeutet, sich erneut dem Schmerz stellen zu müssen und dabei seine Vulnerabilität unserem Gegenüber zu zeigen.

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Behandlungsfehler unter der Geburt

by Gastbeitrag Kaiserinnenreich

Auf Kaiserinnenreich wollen wir ein Raum für vielfältige Lebensrealitäten von pflegenden Eltern sein. Dazu gehört auch Melissas (Instagram: @melissa_und_klein_a) Geschichte. Sie berichtet uns über ein Thema das leider noch Realität in Deutschland ist: dass Geburt nicht immer eine sichere Erfahrung für viele gebärende Personen und Babys ist. Strukturelle Probleme, von denen wir viele in der Geburtshilfe haben, erhöhen das Risiko von u.a. Geburtsschäden. Melissas Baby ist auf Grund von Behandlungsfehlern mehrfachbehindert auf die Welt gekommen.

Mother Hood e.V. ist eine wichtige Stimme in Deutschland und setzt sich für sichere Geburten und die Rechte von Frauen und Familien ein. “Personalmangel sowie zeitliche Verzögerungen in der Hinzuziehung eines Arztes oder der Ärztin, der Entscheidung und in der Durchführung von Interventionen und bei Verlegungen/ Transporten” sind Risikofaktoren, die zu Geburtsschäden führen können, berichtet Mother Hood.

Es ist Aufgabe der Politik in die Geburtshilfe gemäß zu investieren, damit Familien wie Melissas eine andere Geschichte leben und schreiben können, als diese die sie mit uns teilt.

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Über Annas und Elsas. Über Katheterisieren und Politik

by Bárbara Zimmermann

„Es tut uns leid, aber Ihr Kind ist uns zu billig“, hörte Manuela die Absage vom Pflegedienst.

Sie lebt mit ihrer Familie in der Stadt, war damals mit ihrem zweiten Kind hochschwanger und sehr erleichtert, als sie nach mehreren Monaten endlich einen Pflegedienst gefunden hat, der – so dachte sie – auch Kinder betreut.

Ihr erstes Kind hat Spina bifida, wie auch meins. Laura wird mehrmals am Tag katheterisiert (d.h. die Einführung eines Einwegkatheters in die Harnröhre für die Entleerung der Blase), was während der Kindergartenzeit von einer Pflegekraft eines Pflegedienstes übernommen wird. Nein, nicht von dem Pflegedienst der ihr diese unverschämte Antwort lieferte – es ist mir klar, dass wenn ein Pflegedienst so eine Aussage gibt, dass sie auch Ausdruck der Pflegekrise ist, die stark in Deutschland herrscht. Manuela und ihr Mann mussten weitersuchen, bis sie endlich Glück hatten. Ja, in einem Bereich wie Pflege und Inklusion, in dem eine angemessene Unterstützung eigentlich selbstverständlich sein sollte, sind wir in Deutschland darauf angewiesen, Glück zu haben. Pech kommt aber leider auch oft vor. Es sind viele Verhandlungen und guter Wille nötig. 

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Powerfrau, Supermom, Workingmom, pflegende Mutter – Gedanken zum Frauentag

by Simone

Ich bin eine Frau und ich bin eine pflegende Mutter. Meistens bin ich weniger Frau und mehr Mutter und ganz viel Pflege. Und es gibt Menschen, die finden, dass ich mich als Frau echt verändert habe in den letzen sieben Jahren, als ich Mutter wurde und dann auch noch pflegende Mutter. Ich wurde anstrengend. Vorher war ich angepasst und habe funktioniert. Ich hatte einen gesellschaftlich anerkannten Job, bin Akademikerin und einen intellektuellen Freundeskreis. Ich ging ins Theater, auf Reisen und diskutierte. Jetzt pflege ich. Frau bin ich immer noch. Aber ich stelle Ansprüche und Erwartungen, dass pflegende Mütter mehr Sichtbarkeit bekommen und mehr gesellschaftliche Anerkennung. Ich bin politisch geworden.

Jetzt finden Menschen mich unbequem. Sie nennen mich feministisch. Sie fragen, warum ich mich nicht einfach um mein Kind kümmere. Und, dass es doch normal ist, dass ich mein Kind pflege. Denn ich bin Mutter und Frau. Das sei doch meine Aufgabe. Warum regt es mich denn so auf, dass ich wegen der Pflege meines Kindes nicht mehr Vollzeit arbeiten gehen kann? Ich kann doch zufrieden sein. Ich habe einen Mann, der das Geld nach Hause bringt, der für uns da ist. Er sorgt für uns. Das ist doch gut. Und ich antworte trotzig: ich will aber arbeiten! Ich arbeite gerne und ich will mein eigenes Geld verdienen! Ich mag es, meinen Verstand zu beschäftigen. Ich gehe gerne arbeiten und ich will das selbst entscheiden dürfen. Und nicht fremdbestimmt werden, nur weil die Pflege meines Kindes so aufwendig ist, dass ich 4 Jahre nicht mehr arbeiten konnte, weil wir als Familie einfach überhaupt keine Unterstützung bekommen haben.

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Über Pflegen, Mutterschaft, Sex und die Frau, die ich auch noch bin

by Bárbara Zimmermann

Ich wollte einfach nach Hause. Mein Körper wollte angefasst und geliebt werden, gerettet von der ernüchternden Routine einer pflegenden Mutter* im Krankenhaus. So fühlte ich mich im Frühling, als ich für eine Woche mit meinem Kind stationär war.

Es wird momentan viel (aber längst noch nicht genug) über Mutterideale gesprochen und geschrieben. Aber wie zeigen sich diese gesellschaftlichen Erwartungen gegenüber pflegenden Müttern? Was wird von uns erwartet, während wir z.B. stationär unsere Kinder im Krankenhaus begleiten? Darf eine pflegende Mutter etwas komplett anders machen wollen, als nur in der Exklusivität für das Kind zu sein? Wie viel darf es von dieser Frau jenseits der Rolle der pflegenden Mutter geben, während sie pflegt, liebt und begleitet?

Was, wenn sie schnell aus dem Krankenhaus und zurück nach Hause gehen will, weil sie Lust auf Sex hat? Oder darf sie nur zurück zu ihren anderen Kindern wollen, die seit einigen Tagen oder Wochen ohne sie sind? Sie vermisst bestimmt die Kinder, ja, aber was wenn nicht nur? Vielleicht vermisst sie auch den Sex, ihr Bett mit ihre*m Partner*in. „Mütter sind sexuelle Mischwesen – auf der einen Seite werden sie übersexualisiert, Stichwort Milf, auf der anderen Seite am liebsten als heilige asexuelle, treusorgende Mütter gesehen“, schreibt Mareice Kaiser in Das Unwohlsein der modernen Mutter.

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